Reflexionen · Rezension

Marktversagen oder Governanceversagen?

Zwei Bücher zur Klimapolitik

Gerhard Sardemann, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe (gerhard.sardemann@kit.edu)

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TATuP Bd. 27 Nr. 1 (2018), S. 64–65, https://doi.org/10.14512/tatup.27.1.64

Simonis, Georg (Hg.) (2017): Handbuch globale Klimapolitik. Paderborn: Ferdinand Schöningh, 556 S., 49,99 EUR, ISBN 9783825286729

Edenhofer, Ottmar; Jakob, Michael (2017): Klimapolitik. Ziele, Konflikte, Lösungen. München: C. H. Beck, 128 S., 9,95 EUR, ISBN 9783406688744

Der Unterschied zwischen den beiden Büchern, um die es in der folgenden Rezension gehen wird, kann größer gar nicht sein. Bei „Klimapolitik“ von Ottmar Edenhofer und Michael Jakob, handelt es sich um ein schmales, handliches Bändchen von 128 Seiten, erschienen in der populärwissenschaftlichen Reihe „Wissen“ des Verlages C. H. Beck. Das „Handbuch Globale Klimapolitik“, herausgegeben von Georg Simonis in der UTB-Reihe „Grundkurs Politikwissenschaft“, ist hingegen mit seinen großformatigen 556 Seiten besser auf dem Schreibtisch oder im Lesesaal der Uni-Bibliothek aufgehoben. Auch inhaltlich gibt es interessante Unterschiede. Edenhofer und Jakob fokussieren auf die global gültige Einführung eines CO2-Preises als wesentliches Ziel und Daseinsberechtigung der internationalen Klimaverhandlungen, gehen aber nicht explizit auf das Thema Governance ein. Umgekehrt im Handbuch von Simonis: In diesem politikwissenschaftlichen Fachbuch ist das Thema Governance zentral, während die Bepreisung von Kohlenstoffemissionen eher eine Nebenrolle im Zusammenhang mit dem Emissionshandel spielt.

Klimapolitik als Mittel zur Korrektur von Marktversagen?

Ottmar Edenhofer ist Chefökonom des Potsdams-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Direktor des von der Stiftung Mercator und dem PIK gegründeten Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC). Er war bis 2015 Ko-Vorsitzender der Arbeitsgruppe III des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Michael Jakob, Physiker und Ökonom, ist ebenfalls am MCC in Berlin beschäftigt und hat an mehreren Kapiteln des von AG III des IPCC verantworteten dritten Bandes des 5. Assessmentreports des IPCC mitgeschrieben. Wie dieser Bericht beginnt auch „Klimapolitik“ mit einer Abwägung der Wahrscheinlichkeiten für das Eintreten des Klimawandels, was durch eine Wette veranschaulicht wird, bei der man auf frühe Vermeidung setzen kann oder aber auch auf Abwarten. Es geht danach um die Entwicklung der als Hauptverursacher für einen Klimawandel ausgemachten Treibhausgasemissionen, und eine Bestandsaufnahme der bisherigen Klimapolitik soll zeigen, wieweit wir noch von den in Paris im Dezember 2015 vereinbarten Zielen entfernt sind. Ein zentrales Kapitel behandelt die technischen und politischen Optionen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu beschränken, sie womöglich sicherer zu deponieren als in der Atmosphäre oder eventuell der Wirkung von Treibhausgasen durch Climate Engineering entgegenzusteuern. Das letzte Kapitel führt ein gewisses Schattendasein, es wird im Vorwort nicht erwähnt und taucht auch in der Kopfzeile nicht auf. Außerdem bringt es einen etwas irritierenden Perspektivwechsel. Während die Autoren zuvor als Mitglieder des IPCC sprechen, richten sie nun den Blick kritisch von außen auf diese Institution und auf die Grenze zwischen Expertentum und „Realpolitik“, an der sich der IPCC bewähren muss, um letztendlich eine „Kartographie alternativer Politikpfade“ abliefern zu können (S. 116 f. und 121).

Laut Edenhofer und Jakob ist internationale Klimapolitik vor allem ein Mittel, um einen einheitlichen Preis für die „Deponierung“ von Treibhausgasen in der Atmosphäre auszuhandeln. Auf der einen Seite geht es hier darum, aus Gerechtigkeitsgründen die Fortentwicklung der ärmeren Länder zu ermöglichen und ihren finanziellen und anderweitigen Forderungen Rechnung zu tragen. Auf der anderen Seite gilt es, das Problem der Free-Rider und des Carbon Leakage zu vermeiden. Dabei weisen die Autoren auf das Versagen des Kyoto-Regimes hin, aber auch auf das „Marktversagen“, dem man entgegensteuern müsse, beispielsweise um dringend nötige Innovationen und Investitionen zu befördern und nicht abzuwürgen. Im Falle des Treibhausgashandels, in dem sich der Preis je nach Angebot und Nachfrage eigentlich selbst einstellen sollte, plädieren die Autoren für eine Untergrenze des Kohlenstoffpreises und fordern, dass sich dieses mit dem Kyoto-Protokoll eingeführte Instrument und andere Maßnahmen, die zu einer Reduzierung der Treibhausgasemissionen führen sollen, nicht gegenseitig behindern dürften.

In Zukunft könnte die Zunahme regenerativer Energieträger den Trend zu mehr Kohle verstärken, wenn diese aufgrund abnehmender Nachfrage noch billiger werden sollte.

Ein Beispiel illustriert diese Forderung: Der derzeit unverhältnismäßig niedrige Preis für CO2 führt in Deutschland dazu, dass zur Stromerzeugung auf Basis fossiler Energieträger (die weiterhin knapp 50% zum erzeugten Strom beitragen) wieder mehr auf billige Kohle zurückgegriffen wird, während aufgrund der Merit-Order teurere, aber moderne CO2-arme Gaskraftwerke nur im Falle hoher Nachfrage auf dem Strommarkt zum Tragen kommen. Nach Edenhofer und Jakob könnte in Zukunft auch die Zunahme der Verwendung regenerativer Energieträger global gesehen den Trend zu mehr Kohle wieder verstärken, wenn diese aufgrund der langfristig abnehmenden Nachfrage noch billiger werden sollte. Ähnliche Mechanismen dürften während des Fracking-Booms in den USA dazu geführt haben, dass die stärkere Gasnutzung hier zwar CO2-Emissionen vermindert hat, dafür aber aufgrund des billigeren Exports von Kohle an anderer Stelle eben mehr Emissionen verursacht wurden.

Den Optimismus der Autoren, dass ein steuerndes Eingreifen gegen derartiges Marktversagen gelingen kann, wird nicht jeder teilen. Andererseits wird dadurch eine rationale Erklärung vieler Vorgänge möglich. Manche Leser mag das zufriedenstellen, anderen öffnet sich hier vielleicht ein erster Blick auf die Komplexität der Zusammenhänge.

Wicked Problems und Polyzentrische Governancestrukturen

Das „Handbuch Globale Klimapolitik“ untersucht nach den Worten des Herausgebers und Mitautors Georg Simonis, Professor Emeritus für Internationale Konflikte und Umweltpolitik, welche Ergebnisse die globale Klimapolitik in den 25 Jahren seit dem „Erdgipfel“ von Rio erreicht hat, indem es „Sachwissen über die Struktur, Funktionsbedingungen und Leistungen des vergleichsweise noch jungen Politikfeldes“ vermittelt (S. 21).[1]

Das Handbuch besteht aus sechs Teilen, von denen sich der erste Teil mit den „Transdisziplinären Grundlagen“ beschäftigt, d. h. mit dem naturwissenschaftlich formulierten Problem des anthropogen verursachten Klimawandels und der daraus folgenden Forderung nach einer Transformation der energetischen Basis der Industriegesellschaft. Das 2010 auf der Klimakonferenz in Cancun vereinbarte Zwei-Grad-Ziel stellt die Schnittstelle zur „Sphäre der Politik“ dar. Die Darstellung naturwissenschaftlicher Grundlagen hätte allerdings durch Zusammenarbeit mit oder Korrektur durch einen Naturwissenschaftler verbessert werden können, um z. B. Formulierungen zu vermeiden wie jene, dass die Strahlenenergie durch die Tropopause gebremst würde (S. 56). Der zweite Teil führt in die „problemzentrierte Governanceanalyse“ ein, wobei die Offenheit zu den benachbarten sozialwissenschaftlichen Disziplinen unterstrichen wird. Im dritten Teil geht es um Klimagovernance als ein Mehrebenensystem, in welchem das internationale UN-Klimaregime nur eine der möglichen Ebenen darstellt. Im vierten Teil wird auf die Transformationsgovernance eingegangen, die die Umsetzung des Dekarbonisierungsziels in den unterschiedlichen Regionen zum Ziel hat. Der vorletzte Teil beschäftigt sich mit Themen wie Innovationsgovernance oder freiwillige Klimagovernance, während der letzte Teil sich wieder allgemeiner mit den Problemen der Komplexität und dem Governanceversagen befasst. Jeder Teil besteht aus mehreren Kapiteln, die jeweils mit einem ausführlichen Literaturverzeichnis und zusätzlichen Hinweisen auf Quellen im Internet ausgestattet sind. Einleitung und Schlusskapitel rahmen das Buch ein und können als Kurzfassung gelesen werden. Gleichzeitig ist es als Lehrbuch konzipiert, dessen Lektüre auch als Ganzes lohnend ist.

Die Entstehungsgeschichte des Handbuchs wird im Vorwort kurz angedeutet und reicht zehn Jahre zurück. Viele Textteile behandeln ein Themenfeld in sich abgeschlossen, was insbesondere den Lesefluss beim Übergang zwischen den einzelnen Unterkapiteln stört und auch keine logische Entwicklung des behandelten Themas zulässt. Es kommt zu Wiederholungen bei der Argumentation und anderen Déjà-vu-Erlebnissen. Dies kann jedoch durchaus auch als Stärke eines Handbuches gewertet werden, wenn es Hintergrundmaterialien für den Lehrbetrieb zur Verfügung stellen will und in einzelnen Kapiteln durchgearbeitet wird. Dass es mehrerer Ansätze zur Fertigstellung des Handbuches bedurfte, merkt man dem Buch leider an. So sind viele Passagen in der Zeit vor dem Pariser Abkommen geschrieben, was nicht weiter schlimm wäre, wenn nicht über die weitere Entwicklung und den zu erwartenden Fortschritt der Klimaverhandlungen spekuliert würde, der ja nun schon stattgefunden hat und auf den an anderer Stelle im Handbuch schon eingegangen wird.

Was bedeutet es, wenn im Falle der Klimagovernance beim Nichterreichen der Klimaziele tatsächlich Governanceversagen konstatiert werden muss?

Ist der Governance-Ansatz ein Analyseinstrument oder der Untersuchungsgegenstand? Simonis weist auf Grenzen des Governance-Ansatzes als Analyseinstruments hin sowie auf die Schwierigkeit, „die Effektivität des gegenwärtigen Governancesystems mit seinen polyzentrischen Governancestrukturen und -formen für die kommenden Jahrzehnte einigermaßen exakt zu prognostizieren“ (S. 499). An anderer Stelle fragt der Autor, ob die Problemlösungsperspektive des Governance-Ansatzes nicht zu naiv sei (allerdings sollte er diese Frage nicht allein auf diesen beschränken), weil sie „nicht wahrhaben möchte, dass sich viele Problemlösungsstrategien mit gesellschaftlich umkämpften Wandel und Governanceversagen verbinden“ (S. 139). Probleme, mit denen sich die transdisziplinäre Forschung beschäftigt, sind häufig so komplex, dass der Lösungsprozess rekursiv sein muss und keine eindeutigen Lösungen existieren.

Am Ende fragt sich der Leser, was es bedeutet, wenn im Falle der Klimagovernance beim Nichterreichen der Klimaziele tatsächlich Governanceversagen konstatiert werden muss. Klimagovernance ist ja nicht der Versuch, ein mehr oder weniger begrenztes Problem in einem Staatswesen oder in einem Unternehmen zu lösen. Können wir uns eine Abkehr von bislang als überlebenswichtig eingestuften Zielen überhaupt leisten? Läuft alles auf die Abschaffung des Klimawandels als ein wichtiges Problem hinaus, wie es der derzeitige US-Präsident vorführt? Oder geht die Entwicklung in Richtung einer Geoengineering Governance, zunächst mit dem gut gemeinten Ziel, unbedachtes Handeln zu verhindern, letztendlich aber doch das „verantwortliche“ Herumpfuschen im System selbst (also dem Klimasystem) zu ermöglichen. What a wicked world!

Fußnoten

[1] Für weitere Autoren siehe die Verlagsinformationen unter http://www.utb-shop.de/autoren/simonis-georg/handbuch-globale-klimapolitik-9308.html