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Klimaschonender Zement. Systemanalyse zu zementären Bindemitteln
Klimaschonender Zement
Systemanalyse zu zementären Bindemitteln
von Matthias Achternbosch, Christel Kupsch, Eberhard Nieke und Gerhard Sardemann, ITAS
Seit über zwei Jahren begleitet ITAS den Entwicklungsprozess eines neuen Zements. Um das im Labormaßstab erprobte Verfahren zu einem industriell nutzbaren Produktionsprozess weiterzuentwickeln, wurde im Februar 2009 zusammen mit dem Industriepartner SCHWENK die Celitement GmbH gegründet. Es wird erwartet, dass der neue Zement Klima und Ressourcen schont. Im Folgenden werden einige Informationen zum Stoff Zement gegeben, um anschließend erste Erkenntnisse über mögliche Vorteile des neuen zementären Bindemittels Celitement gegenüber herkömmlichem Zement oder anderen Neuentwicklungen aufzuzeigen.
1 Der Gegenstand
Zement ist ein mineralisches, hydraulisches Bindemittel und Grundstoff für Beton, dem nach Wasser global am häufigsten verwendeten Material der Grundversorgung. Die Zementproduktion weist während der letzten zehn Jahre große Zuwachsraten auf (s. Abb. 1): 2008 wurden ca. 2,9 Mrd. Tonnen Zement weltweit verbraucht, für 2012 wird aktuell eine Zementproduktion von 3,77 Mrd. Tonnen prognostiziert (Commodity Online 2009). Dieser Anstieg wird insbesondere durch die stark wachsenden Märkte Asiens hervorgerufen. Schon 2003 erfolgte ein Drittel der Weltproduktion in China, 2008 waren es bereits 50 Prozent.
Abb. 1: Weltweites Zementaufkommen (1992–2008)
Quelle: US Geological Survey
Der weltweit mengenmäßig bedeutendste Zement ist der „Portlandzement“, der zu ca. 95 Prozent aus Portlandzementklinker besteht und gegebenenfalls noch andere Bestandteile wie z. B. Hüttensand, Kalkstein, Puzzolane oder Flugasche und Gips enthält. Um Portlandzementklinker herzustellen, werden die Rohstoffe Kalkstein, Mergel und Ton, eventuell unter Zugabe von für eine exakte Zusammensetzung von Zementklinker notwendigen Korrekturstoffen (z. B. Sand, Eisenerz), in einem Drehrohrofen bei Temperaturen von 1.450 °C gebrannt. Beim Brennen der Rohstoffe entstehen neue Mineralphasen wie Tricalciumsilikat mit der Bezeichnung „Alit“, dem Gehalten > 60 % wichtigsten hydraulischen Mineral im Klinker. Beim Brennprozess wird Kohlendioxid (CO2) freigesetzt.
Um Beton herzustellen, wird Zement mit Zuschlagstoffen (Sand, Kies) und bauchemischen Zusätzen vermischt und dann mit Wasser angemacht. Mit Wasser reagiert das Mineral Alit zu zwei Teilen Portlandit (Ca(OH)2) und einem Teil Calcium-Silikat-Hydrat (CSH), dem eigentlichen Träger der Festigkeit.
2 Das konventionelle Klinker-Zementsystem und klimaschonende Maßnahmen
Da die Herstellung von Zement sehr ressourcen- und energieintensiv und mit hohen CO2-Emissionen verbunden ist, wird weltweit nach Möglichkeiten gesucht diesen Massenbaustoff unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu optimieren. Für die Erzeugung einer Tonne Portlandzementklinker werden ca. 1,5 Tonnen Rohmaterialien benötigt. Beim Klinkerbrennprozess (Bildung von Alit) entstehen je nach Anlageneffektivität zwischen 730 und 1.000 Kilogramm CO2 pro Tonne Klinker. Mehr als 500 Kilogramm CO2 pro Tonne Klinker sind rohstoffliche CO2-Emissionen, die bei der Entsäuerung des Kalksteins freigesetzt werden. Durch die dazu notwendigen hohen Temperaturen entstehen zusätzlich brennstofflich bedingte CO2-Emissionen. Insgesamt sind in Deutschland etwa 80 Prozent aller CO2-Emissionen der Zementindustrie der Entsäuerung des Rohstoffs Calciumcarbonat zuzuordnen. Darüber hinaus wird die emittierte Menge CO2 von der eingesetzten Technologie und den verwendeten Brennstoffen bestimmt. Man schätzt, dass die Zementindustrie zurzeit für mehr als 5 Prozent des globalen anthropogenen CO2-Ausstoßes verantwortlich ist. Die Tendenz ist, angesichts eines weltweit wachsenden Zementbedarfs, weiter steigend.
Das konventionelle Zementsystem auf Klinkerbasis gilt auf Grund seiner positiven Eigenschaften und universellen Einsetzbarkeit als unverzichtbar. Durch die für seine Herstellung notwendigen hohen Temperaturen haben die Energiekosten einen großen Anteil an der Wertschöpfung (ca. 40 Prozent). Um Zement klimaschonender herzustellen, wurde bereits vor einigen Jahren mit der Umsetzung verschiedener Maßnahmen begonnen:
- Einsatz von Sekundärbrennstoffen mit hohem biogenem Anteil: Der Einsatz von biogenen Sekundärbrennstoffen gestattet der Zementindustrie, die mit diesen Stoffen verbundenen CO2-Emissionen aus der CO2Bilanz der Anlage herauszurechnen. Dies ist ein durch die klimapolitischen Entscheidungen der Politik geförderter Effekt. Zudem weisen Abschätzungen der „Cement Sustainability Initiative” (CSI) darauf hin, dass derzeit ohnehin weniger als zwei Prozent der gesamten thermischen Energie durch alternative Brennstoffe einschließlich Biomasse gedeckt werden (Geraghty 2008). Zukünftig sind wegen der begrenzten Verfügbarkeit und der steigenden Nachfrage nach brauchbaren Sekundärbrennstoffen durch andere Industriezweige wie z. B. durch Kraftwerke auf der Basis von Ersatzbrennstoffen (Konkurrenzsituation) keine deutlichen Verbesserungen zu erwarten.
- Substitution von Portlandzementklinker in Zement durch latent hydraulische Zumahlstoffe und inerte Füller: Einige Sekundärressourcen sind technologie- und konjunkturabhängig wie z. B. Hüttensand, der wegen seiner guten Eigenschaften bei der Betonherstellung eine echte Alternative zum Portlandzementklinker darstellt. Er hat eine niedrige Reaktionswärme und ermöglicht gute Endfestigkeiten des Bauteils. Hüttensand ist granulierte Hochofenschlacke aus der Roheisenherstellung (weltweites jährliches Aufkommen ca. 180 Mio. t). Die Höhe seines Aufkommens ist von der Stahlnachfrage und der bei der Eisenverhüttung eingesetzten Technologie abhängig. Kalkstein steht weltweit nahezu unbegrenzt zur Verfügung, lässt sich aber ausschließlich als Füller einsetzen. Sein Substitutionspotenzial ist dadurch begrenzt. Nach den europäischen Regelwerken, können z. B. nicht mehr als 35 Prozent Portlandzementklinker durch Kalkstein substituiert werden. Als dritte Sekundärressource stehen Flugaschen aus Kohlekraftwerken – insbesondere aus Steinkohlekraftwerken – in zunehmendem internationalem Interesse. Allerdings ist die Verfügbarkeit ebenfalls begrenzt (jährliches Aufkommen weltweit ca. 500 Mio. t). Ihre Reaktivität ist gegenüber Portlandzementklinker zwar etwas verzögert, auf Grund ihrer Feinkörnigkeit verdichtet sie jedoch die Betonmatrix und erhöht damit dessen Festigkeit. Dem klimatischen Vorteil des Einsatzes von sekundären Zumahlstoffen können jedoch eventuelle negative Umweltauswirkungen z. B. durch die möglicherweise enthaltenen problematischen Spurenelemente gegenüberstehen.
- Substitution veralteter Technik durch „Best Available Technologies“ sowie zusätzliche Prozessoptimierungen: Das technische Potenzial zur Reduktion der Emission klimaschädlicher Gase ist gering, da der Portlandzementklinkerherstellungsprozess während der letzten Jahre energetisch und technisch bereits so weit optimiert wurde, dass nun kaum noch ein weiterer Spielraum zur Verfügung steht.
Da die Möglichkeiten zur CO2-Reduktion also begrenzt sind, wurden in der Vergangenheit unterschiedliche alternative Ansätze wie Belit- oder Sulfoaluminatzement entwickelt, die aber wegen der fehlenden Reaktivität von Belit oder ungünstigen ökonomischen Bedingungen keine wirkliche Alternative zum herkömmlichen Zement darstellen. Während der letzten Jahre wurden neue Entwicklungen medienwirksam angepriesen, die jedoch noch nicht marktreif sind. Fast alle beruhen auf alten Konzepten und haben eine deutliche ökologische Stoßrichtung, die durch die Klimadebatte motiviert ist. In diesem Zusammenhang sind zu nennen: Calera, Greensol, TecEco, Novacem. Es handelt sich dabei entweder um bereits bekannte, aber modifizierte lufthärtende Magnesiummörtel oder um Substanzen, die nur die Vorstufe für die Herstellung eines herkömmlichen mineralischen Bindemittels sind. Mit diesen Verfahren kann zum gegenwärtigen Stand der Entwicklung nach unserer Einschätzung kein dem herkömmlichen Zement vergleichbares Massenprodukt hergestellt werden.
3 Celitement – Verfahren, Vorteile und Pilotanlage
Seit 1994 werden im Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Campus Nord (vormals Forschungszentrum Karlsruhe) Untersuchungen zur Struktur und zu den Reaktionen von Calcium-Silikat-Hydraten durchgeführt. Mitarbeitern des Instituts für Technische Chemie (ITC) des KIT ist es nun gelungen, eine neue Familie von hochleistungsfähigen hydraulischen Mineralverbindungen („Zementen“) auf Basis von Calciumhydrosilikaten zu entwickeln. Diese Entwicklung wurde unter dem Namen Celitement[1] geschützt und mit mehreren Basispatenten gesichert. Eine wichtige Voraussetzung für diese Arbeiten waren vor Ort die vorhandenen Analysemöglichkeiten, wie z. B. die Angströmquelle Karlsruhe (ANKA[2]).
Für die Produktion von Celitement werden natürliche, weltweit verfügbare Rohstoffe eingesetzt. Das Verfahren besteht aus drei Schritten:
- Herstellung von gebranntem Kalk aus Kalkstein (Calciumträger);
- Herstellung eines wasserhaltigen Vorprodukts aus Calcium-Trägern (z. B. gebranntem Kalk) und Silikat-Trägern (Feldspate, Quarz, Gläser, etc.) im hydrothermalen Autoklaven, wie es z. B. bei der Produktion von Porenbeton eingesetzt wird. Der Prozess findet bei Temperaturen zwischen 150 bis 300 °C unter Sättigungsdampfdruck statt;
- Überführung des getrockneten Vorprodukts in ein hydraulisch aktives Bindemittel durch gemeinsame Mahlung mit einem weiteren Silikatträger (z. B. Quarzsand).
Celitement weist gegenüber herkömmlichem Zement auf Basis hoher Klinkeranteile oder anderen Neuentwicklungen eine Vielzahl von Vorteilen auf:
- Geringer Calciumcarbonatbedarf: molares Verhältnis Calcium zu Silizium liegt unter dem Faktor 2;
- Niedrige Herstellungstemperatur; Verminderte Kohlendioxidemissionen aus Rohstoffen und Energieträgern;
- Bekannte Verfahrenstechnik: die Prozess-schritte sind aus der Herstellung von Zement oder von Porenbeton bekannt und bewährt;
- Kompatibel zu konventionellen Zementen: Mischbarkeit mit Portlandzement, herkömmliche Verarbeitungsmöglichkeiten und bekannte Festigkeitsentwicklung. Einfache Zusammensetzung ermöglicht gezielte Steuerung der Abbindereaktion und der Produkteigenschaften;
- Gute Beständigkeit und Dauerhaftigkeit durch hohen Vernetzungsgrad der Silikatbaueinheiten.
In der Laboranlage des KIT am Campus Nord können derzeit unterschiedliche Typen Celitement im Kilogramm-Maßstab hergestellt werden. Im Frühjahr 2009 haben die vier Erfinder aus dem ITC gemeinsam mit dem Forschungszentrum Karlsruhe und der Schwenk-Gruppe als Industriepartner die Celitement GmbH gegründet, um die Entwicklung der Produkte zur Marktreife und die Vermarktung von Schutz-rechten zu „Celitement“ voranzutreiben. Auf dem Gelände des KIT-Campus-Nord wird eine Pilotanlage errichtet, die pro Tag rund 100 Kilogramm des neuen Bindemittels liefern soll. Die Fertigstellung ist für das Jahr 2011 geplant. In dieser Anlage soll das Verfahren bis zur Praxisreife entwickelt und getestet werden.
4 Systemanalytische Arbeiten – Sachstand und Ausblick
Seit 2007 wird das Projekt von den ersten Entwicklungsschritten an systemanalytisch durch das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) begleitet. Dabei kann auf Erfahrungen aus zurückliegen Projekten aufgebaut werden.[3] Um die Vor- und Nachteile des neuen Bindemittels besser bewerten zu können, fokussieren sich die bisher im Rahmen dieses Projekts durchgeführten systemanalytischen Arbeiten auf eine Analyse des konventionellen Zements in Bezug auf:
- Monitoring der globalen Zementindustrie und der aktuellen Entwicklungen im Bereich alternativer Zemente;
- Energieverbräuche und CO2-Ausstoß bei der Zementherstellung: länderspezifische, regionale und globale Bilanzen und Szenarien für die zukünftige Entwicklung;
- Analyse der Strategien und Maßnahmen der Zementindustrie zur Reduktion der klimaschädlicher Gase (CO2): Bewertung des Einsatzes sekundärer Roh- und Brennstoffe, der Substitution von Klinker im Zement durch Hüttensand, Kalkstein, Flugasche oder Puzzolane; der Möglichkeiten weiterer Optimierung der eingesetzten Technik;
- klimapolitische Aspekte: insbesondere flexible Instrumente wie der Emissionshandel, Clean Development Mechanisms und Joint Implementation.
Zur Bewertung konventioneller Zemente und der daraus resultierenden Anforderungen an innovative Bindemittel soll zunächst ein Indikatorsystem aufgebaut werden, das sowohl Nachhaltigkeitskriterien (Klimaschutz, Ressourcenproblematik) wie auch die Materialeigenschaften des daraus hergestellten Betons umfasst. Mit diesem Indikatorsystem können bei der Entwicklung von Celitement schon frühzeitig Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden und die Materialeigenschaften auf die Marktanforderungen hin zugeschnitten werden. Darüber hinaus können vergleichende Bewertungen mit herkömmlichen Zementen und anderen alternativen Bindemitteln durchgeführt werden.
Des Weiteren soll der Innovationsprozess als solcher näher untersucht werden. Überlegungen zur bestmöglichen Organisation eines Innovationsprozesses und den notwendig zu beteiligenden Akteuren sollen auf die realen Bedingungen des aktuellen Innovationsprozesses von Celitement angewendet werden. Ein besonderer Fokus soll dabei auf die fördernden und hemmenden Faktoren gelegt werden.
Um die ressourcen- und klimarelevanten Auswirkungen der Produktion des neuen Bindemittels bewerten zu können, soll zunächst unabhängig von dem Bau der Pilotanlage, basierend auf definierten Abläufen und Strukturen des Herstellungsprozesses, die dem jeweiligen Status der Entwicklung von Celitement angepasst werden können, eine Anlage mit einer Jahresproduktionskapazität von 100.000 Tonnen Celitement durch ITAS modelliert werden. Für diese Anlage sollen die Investitions- und die Betriebskosten, der Energiebedarf und der CO2-Ausstoß abgeschätzt werden. Die Erfahrungen mit der zukünftigen Pilotanlage im KIT werden in die Modellierung gegebenenfalls mit einfließen.
Liegen ausreichend praktische Erfahrungen in Bezug auf die Materialeigenschaften und die ökonomischen Eckdaten der Pilotanlage vor, soll eine Analyse der technischen, volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aspekte der Marktchancen von Celitement (Potenziale, Chancen und Hemmnisse) im Vergleich zur herkömmlichen Technologie durchgeführt werden. Reine Marketingstrategien für eine Produkteinführung stehen nicht im Mittelpunkt der Untersuchungen.
Anmerkungen
[1] http://www.celitement.de
[2] „ANKA“ steht für ANgströmquelle KArlsruhe
[3] „Mitverbrennung von Sekundärbrennstoffen in Zementwerken“ (1999–2001) und „Untersuchung des Einflusses der Mitverbrennung von Abfällen in Zementwerken auf die Schwermetallbelastung des Produktes im Hinblick auf die Zulässigkeit der Abfallverwertung“ (2000–2003).
Literatur
Commodity Online, 2009: Slump in global cement industry momentary. April 6th 2009; http://www.commodityonline.com/news/Slump-in-globalcement-industry-momentary-16697-3-1.html (download 1.10.09)
Geraghty, E., 2008: Getting the numbers right. A database for the cement industry, Cement Sustainability Initiative Workshop Future Technologies and Innovations in the Cement Sector in China, 16-17 November 2008, Beijing, China; http://www.wbcsdcement.org/pdf/8geraghty_gnr_eng.pdf (download 1.10.09) USGS – U.S. Geological Survey, 1992–2009; http://minerals.usgs.gov/minerals/pubs/commodity/cement/ (download 1.10.09)
Kontakt
Dr. Matthias Achternbosch
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-24570
E-Mail: matthias.achternbosch∂kit.edu