Carbon Capture and Storage – Politische und gesellschaftliche Positionen in Deutschland

Schwerpunkt: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung – Beiträge von TA und Energiesystemanalyse

Carbon Capture and Storage – Politische und gesellschaftliche Positionen in Deutschland

von Wolfgang Fischer, Jürgen-Friedrich Hake, Wilhelm Kuckshinrichs, Olga Schenk und Diana Schumann, FZ Jülich

Die Europäische Union weist „Carbon Capture and Storage“ (CCS) eine wichtige Rolle in einem CO2-armen Energiesystem zu. Sie forciert Forschung und Entwicklung, die Bereitstellung von Finanzmitteln für Demonstrationskraftwerke und hat die CCS-Richtlinie verabschiedet. In Deutschland wird sie voraussichtlich so umgesetzt, dass bis 2017 nur Demonstrationsprojekte für Speicherung zulässig sind. Möglicherweise zeichnet sich eine veränderte Einschätzung der Rolle von CCS für die deutsche Energiepolitik ab: CCS für fossile Kraftwerke steht nicht mehr im Vordergrund, sondern der Einsatz für Industrieprozesse, um die dann anfallende geringere Menge von CO2 als Wertstoff zu nutzen. Transportinfrastruktur, Speicherung und Akzeptanzprobleme könnten an Bedeutung verlieren. Jedoch wäre das eine Abkehr von dem bisherigen Konzept, CCS als nationale Klimaschutzoption für die Energiewirtschaft zu sehen.

1     Warum gibt es und was ist CCS?

Die Reduktion von Treibhausgasemissionen, die Verbesserung der Energieeffizienz und der Ausbau der Erneuerbaren Energien zählen zu den ambitionierten Zielen der Energie- und Klimapolitik der Europäischen Union und Deutschlands. Technologien zur Abscheidung von Kohlendioxid (CO2) mit anschließendem Transport und Speicherung in geologischen Formationen („Carbon Capture and Storage“, CCS) zielen auf die Vermeidung der Emission von CO2 in die Atmosphäre.

CCS-Technologien, so Szenarien der Internationalen Energieagentur (IEA), kommt bei weltweiten Klimaschutzstrategien eine besondere Bedeutung zu (IEA 2008). In einem Business-as-usual-Szenario rechnet die IEA mit einer Verdopplung der globalen CO2-Emissionen bis 2050 auf etwa 62 Mrd. t CO2. In einem Minderungsszenario stellt sie Optionen für eine Reduktion auf ca. 14 Mrd. t CO2 vor. Die Stromerzeugung leistet hier den größten Beitrag und CCS ist dabei die Einzelmaßnahme mit dem größten Reduktionsbeitrag. Die Szenarien zeigen, dass mit zunehmenden Minderungszielen CCS an Attraktivität gewinnt – eine Sicht, die nicht von allen Experten geteilt wird (Praetorius, Stechow 2009).

Technologien zur CO2-Abscheidung sind z. B. bei der Erdgasreinigung oder der Förderung von Erdgas und Erdöl (Enhanced Gas/Oil Recovery), aber auch für die Nutzung von CO2 in der Nahrungsmittelindustrie oder der chemischen Industrie seit Jahren etabliert. Neu ist die Betrachtung der CO2-Abscheidung als Option für den Klimaschutz und ihr großtechnischer Einsatz insbesondere im Bereich fossil befeuerter Kraftwerke, aber auch in einigen Industrien (z. B. Zement, Stahl, Chemie), wo sie zur Verringerung prozessbedingter CO2-Emissionen genutzt werden können. Der großtechnische Einsatz ist mit vielen technischen Neuerungen verbunden (z. B. Energie- und Stoffflussmanagement, Einbindung in den Kraftwerksprozess, Optimierung von Dampfentnahmen) und befindet sich derzeit in der Entwicklungs- und Demonstrationsphase. Neu ist auch, dass das abgeschiedene CO2 im Rahmen des Klimaschutzes sicher und dauerhaft gespeichert werden soll. Speicheroptionen sind v. a. geologische Formationen wie saline Aquifere und entleerte Gas- bzw. Ölfelder. Die Einpressung von CO2 in die Tiefsee ist durch das Übereinkommen zum Schutz der Meeresumwelt des Nordostatlantiks völkerrechtlich untersagt, die Einbringung unter den Meeresboden jedoch zulässig. Auch der Aufbau eines großen Transportnetzes ist eine Herausforderung, die technisch geleistet werden kann (Gale, Davison 2004), für die aber politisch-regulative Unsicherheiten hinsichtlich des Baus neuer Pipelines, insbesondere auch grenzübergreifende, bestehen (Roggenkamp, Woerdmann 2009).

Die derzeit diskutierten Technologien zur Abscheidung von CO2 können in Prozessfamilien eingeteilt werden:

Die Favorisierung einer dieser Prozessfamilien ist derzeit nicht in Sicht. Alle Technologien sind sehr kapitalintensiv und benötigen viel Energie, so dass Einbußen des Kraftwerkswirkungsgrads von bis zu 14 Prozentpunkten erwartet werden. Da alle Technologien noch erhebliche Effizienzpotenziale aufweisen, wird mittel- bis langfristig mit Wirkungsgradeinbußen von acht bis zehn Prozentpunkten und mit sinkenden Investitionskosten gerechnet. Darüber hinaus sind langfristig weitere Effizienzsteigerungen durch neue Trennprozesse denkbar. Derzeit wird auch keine Speicheroption international klar favorisiert. Sie werden alle hinsichtlich der geologischen Voraussetzungen, der Umweltauswirkungen, der Gesundheitsrisiken sowie der Kosten untersucht (Kuckshinrichs et al. 2010).

Zunehmend gerät das Potenzial von CO2 als Wertstoff in den Blick, insbesondere für die chemische Industrie. Allerdings kann eine solche Nutzung von CO2 nur einen geringen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Denn, verglichen mit den energiebedingten CO2-Emissionen, werden nur kleine Mengen für einen begrenzten Zeitraum fixiert. Zudem kommt es bei vielen Produkten nur zu einer Nettovermeidung von CO2, wenn die Energie zur Herstellung der Produkte aus nicht-fossilen Energien stammt (Kuckshinrichs et al. 2010).

Um einen zukünftigen Einsatz von CCS zu ermöglichen, müssen nicht nur die Marktreife der Technologien sowie der Aufbau und Betrieb einer Infrastruktur für Transport und unterirdische Lagerung von CO2 gewährleistet sein, sondern auch ein Rechtsrahmen für CCS und die politische sowie gesellschaftliche Akzeptanz dieser Technologien. Der Fokus des Beitrags liegt auf diesen beiden Bedingungen.

2     CCS in der Europäischen Union

Die EU verfolgt international und innerhalb der Union eine aktive CCS-Politik, um ihre energie-, wirtschafts- und klimapolitischen Ziele in Übereinstimmung zu bringen (vgl. Schenk 2011/i. E.). Sie hat sich verpflichtet, bis 2015 den Bau von bis zu 12 Demonstrationsanlagen zu fördern, hat einen Rechtsrahmen für CO2-Speicherung geschaffen und Instrumente entwickelt, um, ergänzend zu nationalen Förderprogrammen, die CCS-Forschung und -Entwicklung sowie Demonstrationsvorhaben finanziell zu unterstützen und so eine technologische Führungsrolle einzunehmen.

Eine zentrale Bedeutung nimmt die CCS-Richtlinie zur geologischen Speicherung von CO2 ein, mit der die EU den weltweit ersten Rechtsrahmen für die dauerhafte Speicherung von CO2 und für einheitliche Umweltschutz- und Sicherheitsstandards geschaffen hat (European Commission 2009). Die Richtlinie legt v. a. die Rahmenbedingungen, Kriterien und das Verfahren für die Auswahl, Genehmigung, Schließung, Überwachung und den Betrieb der CO2-Speicherstätten fest. Sie bestimmt auch das Vorgehen im Fall einer Leckage, definiert das Verfahren bei der Schließung sowie Übertragung der Verantwortung für die Speicherstätte an die zuständige nationale Behörde und definiert die Grundlagen für den Zugang Dritter zum Transportnetz und zu Speicherstätten. Die Richtlinie führt als Ergänzung einer EU-Richtlinie über Großfeuerungsanlagen den „capture-ready“-Ansatz ein: Neue fossile Kraftwerke ab 300 MW sollen so ausgelegt werden, dass sie mit CO2-Abscheidungsanlagen nachrüstbar sind. Nicht durchgesetzt hat sich die Auffassung, neue Kraftwerke nur noch mit CCS-Technologie zuzulassen.

Die rasche Entwicklung und Verabschiedung der CCS-Richtlinie zeigt, wie wichtig der Gemeinschaft das Ziel ist, CCS bis 2020 zur Marktreife zu bringen. Dabei sind zwei Stichtage von Bedeutung:

Daher ist die zügige nationale Umsetzung der CCS-Richtlinie nicht nur europarechtlich geboten, sondern auch notwendig, falls sichergestellt werden soll, dass sich nationale Projekte für die EU-Förderung qualifizieren können.

Die öffentliche EU-Forschungsförderung reicht zurück bis in das Dritte EU-Rahmenprogramm für Forschung und Technologieentwicklung (RP 1990-94) und steigt seitdem: Von 16 Mio. EUR im RP5 (1998-2002) auf 70 Mio. EUR im RP6 (2003-06), und eine weitere Steigerung im RP7 (2007-13) ist zu erwarten. Schon im ersten Aufruf des RP7 werden 18 CCS-Projekte mit ca. 64 Mio. EUR gefördert.[1] In der EU hat sich die Position durchgesetzt, großtechnische Demonstrationsvorhaben sowohl auf der europäischen als auch auf der nationalen Ebene zu unterstützen. Dafür wurden, als Reaktion auf Forderungen der Industrie nach erhöhter öffentlicher Finanzierung, Mechanismen entwickelt: Das EEPR fördert sechs CCS-Demonstrationsprojekte mit einem Gesamtbudget von ca. eine Mrd. Euro. In Deutschland wird durch dieses Programm die Demonstrationsanlage von Vattenfall in Jänschwalde bezuschusst. Weiterhin stellt die EU rund 300 Mio. Emissionsrechte aus dem New Entrants’ Reserve (NER) des EU-Emissionshandels zur Verfügung. Die Auswahl der Projekte erfolgt in einem zweistufigen Verfahren. Zuerst sammeln und prüfen die Mitgliedsstaaten die Projektanträge, die sie dann bis zum 31.12.2010 bei der Europäischen Investitionsbank einreichen können. Die EU-Kommission entscheidet bis zum 31.12.2011 über die endgültige Projektauswahl.

3     CCS in Deutschland

CCS ist in den politischen Grundsatzdokumenten zur Klima- und Energiepolitik sowie zur Forschungspolitik (5. Energieforschungsprogramm 2005-10)[2] verankert. Im Zusammenhang mit der nationalen Umsetzung der Europäischen 20-20-20-Strategie[3] stellte die Bundesregierung 2007 das Integrierte Energie- und Klimaprogramm (IEKP)[4] vor. Es definiert CCS als eine Option zur Emissionsreduktion bei Kohlekraftwerken und entwickelt ein Maßnahmenpaket, das die Förderung von FuE über die gesamte Technologielinie, die Erprobung von zwei bis drei CCS-Kraftwerken und die Ausarbeitung eines Rechtsrahmens umfasst. Das neue Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010[5] könnte aber auf eine veränderte Haltung gegenüber CCS hindeuten: An erster Stelle wird CCS als eine Option für energieintensive Industrien mit hohen prozessbedingten Emissionen und erst danach für fossile Kraftwerke genannt. Zudem findet sich CCS nicht unter den Schwerpunkten des für 2011 geplanten 6. Energieforschungsprogramms, so dass es offen bleibt, ob das 6. Programm, wie das noch im vorherigen Programm der Fall war, CCS als einen Förderschwerpunkt berücksichtigen wird (Schenk 2011/i. E.).

Die Zuständigkeit für CCS ist über drei Bundesministerien verteilt: Wirtschaft und Technologie (BMWi), Bildung und Forschung (BMBF) sowie Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU). Bei FuE ist das BMWi zuständig für Kraftwerkstechnik, CO2-Abscheidung und -Transport, zu dem auch das Programm „COORETEC“ gehört (s. http://www.cooretec.de). Deren Aktivitäten umfassen Projektförderung, Informationsaustausch zwischen Bundes- und Landespolitik, Industrie und Forschung sowie Beratung des BMWi durch einen Beirat, dem Vertreter von Bund, Ländern, Wissenschaft sowie Industrie angehören. Von 2004 bis 2008 wurden 239 Projekte bewilligt; die öffentliche COORETEC-Finanzierung betrug 129 Mio. Euro, der Industrieanteil belief sich auf weitere ca. 104 Mio. Euro. Für die CO2-Speicherung dagegen ist das BMBF zuständig: Das FuE-Programm „GEOTECHNOLOGIEN“ hat Technologien zur Speicherung von CO2 als einen Schwerpunkt (http://www.geotechnologien.de). Zwischen 2005 und 2011 wurden 21 Projekte gefördert, die meist Grundlagenforschung zuzuschlagen sind. Das Fördervolumen des BMBF beträgt 18 Mio. Euro, der Anteil der Industrie beläuft sich auf weitere sechs Mio. Euro. Beispiele für CCS-Pilotanlagen in Deutschland sind einige Post-Combustion-Projekte von E.ON, die Anlage zur CO2-Wäsche von RWE in Niederaußem, die Oxyfuel-Pilotanlage am Kraftwerk Schwarze Pumpe in Spremberg (Vattenfall) sowie CO2SINK in Ketzin, Brandenburg.[6] Die geplanten Demonstrationsanlagen und CO2-Speicherungsprojekte fasst Tabelle 1 zusammen. Ferner sind deutsche Unternehmen an Projekten im Ausland beteiligt.[7]

Tab. 1:   Demonstrationsanlagen in Deutschland

Projekt Technologie Projektstatus,Laufzeit Projektpartner Anteilöffentlicher Finanzierung Budget
RWE IGCC-CCS KraftwerkHürth, NRW CO2-Abscheidung, Transport, Speicherung Ausgesetzt u. a. wegen fehlender Akzeptanz und Nichtberücksichtigung in EEPR -   2 Mrd. EUR
Vattenfall Oxyfuel and Post-Combustion-Demonstrationsprojekt Jänschwalde, BB CO2-Abscheidung, Oxyfuel und Post-Combustion, Transport, Speicherung In Planung seit 2008, in Betrieb voraussichtlich ab 2015 - 180 Mio. EUR EU Förderung aus EEPR 1,6 Mrd. EUR
CLEANAltmark, ST CO2-Speicherung mit CO2-Nutzung zur Steigerung der Entleerungsraten bei Erdgasförderung In Betrieb,2008-2011 Verbundkoordination GeoForschungsZentrum Potsdam und 15 weitere Institutionen 15 Mio. EUR BMBF über GEOTECHNOLOGIEN -

Quelle:   Eigene Darstellung; Stand Mitte 2010

Für die Umsetzung der EU-Richtlinie in nationales Recht sind das BMWi und das BMU federführend. Jedoch scheiterte der erste Gesetzentwurf im Sommer 2009 u. a. am Widerstand einzelner Landesregierungen. Eine wichtige Rolle spielt dabei Schleswig-Holstein, das mit massiven lokalen Protesten wegen eines geplanten Speicherprojekts von RWE Power im nördlichen Schleswig-Holstein konfrontiert war. Die Gegner der Projekts verwiesen auf das Risiko einer CO2-Freisetzung, sahen den Tourismus gefährdet und fürchteten um das Image des Landes als Standort für Windkraft (Uken 2009). Geologische Speicherformationen finden sich v. a. in der Norddeutschen Tiefebene, d. h. in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Hingegen fehlen sie u. a. in Nordrhein-Westfalen, wo fossile Kraftwerke konzentriert sind. In ihrer Position zu CCS bilden jedoch die Länder, die über CO2-Speicherkapazitäten verfügen, keine geschlossene Front; auch sind die Positionen der Landesregierungen nicht einfach nach Parteizugehörigkeit ihrer jeweiligen Regierungen zu ordnen. So unterstützt die Landesregierung Brandenburgs (SPD und LINKE) mit Blick auf das Lausitzer Braunkohlerevier die Nutzung der CCS-Technologien und beabsichtigt, dort die gesamte CCS-Technologielinie zu realisieren. Allerdings gibt es dort auch auf regionaler und kommunaler Ebene Widerstände, die sich nicht nach Parteimitgliedschaft, sondern nach der lokalen Betroffenheit durch CCS-Projekte organisieren.[8] Während der Bundesratsdebatte zum ersten CCS-Gesetzesentwurf[9] forderte die Mehrheit der Länder mit potenziellen Speicherstätten, ungeachtet der Besonderheiten in ihrer Einstellung zu CCS, die Implementierung einer Speicherabgabe in Anlehnung an die Förderabgabe im Bergrecht.

Der 2010 überarbeitete CCS-Gesetzesentwurf[10] versucht auf Befürchtungen hinsichtlich der Risiken der Technologie einzugehen und erfüllt die Forderungen der Speicherländer nach finanziellem Ausgleich. Der Betreiber eines Speichers muss betroffenen Gemeinden einen Ausgleich in Höhe von zwei Prozent des durchschnittlichen Wertes der jährlich eingesparten EU-Emissionsberechtigungen zahlen. Abweichend vom ersten, gescheiterten Entwurf sieht der neue Gesetzesentwurf nun vor, nur Erprobungs- und Demonstrationsprojekte zuzulassen und sie zeitlich zu beschränken: Die Anträge auf CO2-Speicherung müssen bis Ende 2015 gestellt werden, wobei die maximale jährliche Speichermenge von CO2 drei Mio. Tonnen pro Speicher und acht Mio. Tonnen bundesweit nicht übersteigen darf. Ob die Länder Speicherprojekte zulassen müssen oder sie faktisch untersagen können („opt out“), ist noch zwischen dem Bund und insbesondere Schleswig-Holstein und Niedersachsen strittig. Die Evaluierung der Erfahrungen mit dem Gesetz wird 2017 erfolgen. Dann soll entschieden werden, ob die Technologie für den kommerziellen Einsatz geeignet ist. Der aktuelle Gesetzesentwurf, der auch weiterhin Kritik auf sich zieht, muss noch die gesetzgeberischen Hürden des Bundestages und v. a. des Bundesrates nehmen, um in Kraft zu treten. Diese politischen Unsicherheiten und der enge Zeitrahmen für Erprobung und Evaluierung erschweren Investitionsentscheidungen.

4     Positionen politischer und gesellschaftlicher Akteure zu CCS

In Deutschland gibt es unterschiedliche Vorstellungen über die Notwendigkeit des Einsatzes von CCS, und darin spiegeln sich Differenzen über den künftigen Energiemix und speziell über die Zukunft der (einheimischen) Braun- und (vorwiegend importierten) Steinkohle in Deutschland wider.

Die politischen Parteien haben seit 2005 ihre Positionen zu CCS auf Bundesebene in Anlehnung an ihre Haltung zur weiteren Nutzung der Kohle festgelegt (Praetorius, Stechow 2009). In den Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2009 bekannten sich CDU/CSU, FDP und SPD grundsätzlich zur Entwicklung und Nutzung von CCS als entscheidende Technologie für eine künftige Kohlenutzung, während Bündnis90/Die Grünen und Die Linke CCS und die Kohlenutzung insgesamt ablehnten. Diese Positionen bestimmten auch die Haltung zu dem gescheiterten CCS-Gesetz im Sommer 2009. Sie sind nicht immer mit den Positionen in Übereinstimmung, die die jeweiligen Parteien in den Bundesländern (und vor Ort) vertreten. Seitdem haben sich die Positionen einiger Parteien auf Bundesebene leicht verändert, wie sich aus einer Bundestagsdebatte vom 8.7.2010[11] schließen lässt. Bündnis 90/Die Grünen will weiterhin keine Mittel für CCS-Kraftwerksprojekte bereitstellen, stehen nun aber einer Unterstützung der CCS-Forschung für Vermeidung und Verringerung prozessbedingter Emissionen von Industrieanlagen aufgeschlossener gegenüber. Bei der Bestimmung des hauptsächlichen Anwendungsbereichs der CCS-Technologien nähert sich die SPD dieser Position an: Während CCS bislang v. a. auf Kohlekraftwerke bezogen wurde, werden nun die prozessbedingten Emissionen als Hauptaufgabe für CCS betrachtet. Zudem gewinnt der Einsatz von CCS bei mit Biomasse befeuerten Kraftwerken an Bedeutung. Trotzdem plädiert die SPD für öffentliche Unterstützung von CCS-Kohleverstromungsprojekten, da sie ein wesentlicher Bestandteil der Technologieerprobung sind. Während die Linke zuvor für ein CCS-Forschungsgesetz plädierte, lehnt sie nun jegliche staatliche Unterstützung für CCS sowie dessen Erprobung und Einsatz in Deutschland ab – obwohl sie in der brandenburgischen Koalition eine andere Position stützt. CDU/CSU und FDP unterstützen prinzipiell den Einsatz von CCS bei der Kohleverstromung wegen der Bedeutung der heimischen Kohle für Versorgungssicherheit und der so möglichen Wahrung der technologischen Führerschaft im Kraftwerksbereich sowie zur Bekämpfung des Klimawandels im Rahmen einer internationalen Strategie zum Klimaschutz – was aber Parteifreunde nicht davon abhält, die Speicherung von CO2 in ihrem Bundesland abzulehnen. Das gerade verabschiedete Energiekonzept der Bundesregierung hinterlässt jedoch Zweifel, ob diese prinzipiell positive Orientierung noch so ungebrochen ist.

Auch große deutsche Umweltschutzorganisationen unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Einstellung zu CCS (Fischedick et al. 2008): Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie Greenpeace lehnen diese Technologie ab. Hingegen hält der deutsche „World Wide Fund for Nature“ den Einsatz von CCS auch in Deutschland für zumindest zeitweise nötig, und Germanwatch betrachtet Kohle mit CCS als eine mögliche Übergangstechnologie. Eine Zwischenposition nimmt der Naturschutzbund Deutschland ein: Für ihn ist es unwahrscheinlich, dass CCS in Deutschland einen entscheidenden Beitrag zur CO2-Minderung leistet, aber aus globaler Perspektive wäre es unklug, frühzeitig auf die Option zu verzichten.

Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, ein Zusammenschluss von vier energiewirtschaftlichen Verbänden, befürwortet die CCS-Entwicklung und eine rasche Umsetzung der CCS-Richtlinie, während der hinsichtlich CCS skeptischere Bundesverband Erneuerbare Energien darauf drängt, dass Nutzungskonkurrenzen zwischen CO2-Speicherung, Geothermie und Druckluftspeichern nicht zuungunsten der beiden letzten Nutzungsformen gelöst werden. Der Bundesverband der Industrie sieht CCS als eine klimafreundliche Innovation, die Kohle auch künftig zu einer Säule des Energiemix machen könnte. Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund, der Unverständnis über die Verzögerung der CCS-Gesetzgebung äußert, steht CCS positiv gegenüber.

Da die stabile gesellschaftliche Akzeptanz der CCS-Technologien eine wichtige Voraussetzung für ihre großindustrielle Erprobung und ihren zukünftigen kommerziellen Einsatz ist, spielt neben der Haltung organisierter gesellschaftlicher Akteure die Akzeptanz der Bevölkerung generell und v. a. dort eine wichtige Rolle, wo eine CCS-Infrastruktur aufgebaut werden soll. Wesentliche Voraussetzung für Akzeptanz sind Bekanntheit und Wissen über die Technologien.

5     Bekanntheit, Wissen und Pseudo-Meinungen über CCS

Da über die Akzeptanz dieser Technologien in der deutschen Bevölkerung bisher nur wenige empirische Ergebnisse vorliegen, wurden Ende 2009 drei repräsentative Bevölkerungsbefragungen zu den Themen Umwelt, Energiequellen und CCS durchgeführt (Schumann 2010). Erstmals fanden dabei parallel zu einer bundesweiten Befragung zwei regionale Befragungen statt: in der „Rheinschiene“, die eine Region repräsentiert, in der ein CCS-Demonstrationskraftwerk geplant war (Hürth), und im „Nördlichen Schleswig-Holstein“, um eine Region abzubilden, in der es potenzielle Speicherstätten gibt.

Die Ergebnisse der Befragungen verdeutlichen, dass CCS in der Bevölkerung nicht mehr unbekannt ist. Rund 43 Prozent aller Befragten in „Deutschland*“[12] haben schon von CCS gehört (vgl. Tab. 2). In der Region „Nördliches Schleswig-Holstein“ gab sogar über die Hälfte der Befragten an, schon von CCS gehört zu haben. Dies verdeutlicht, dass die öffentlichen Proteste und der Widerstand der Landesregierung gegen die Speicherung von CO2 im Nördlichen Schleswig-Holstein u. a. dazu geführt haben, dass dort die Bekanntheit zumindest des Begriffs „CO2-Abscheidung und -Speicherung“ deutlich höher ist als in der Region Rheinschiene und in Deutschland*.

Tab. 2: Bekanntheit von CCS nach Regionen

    Nein, noch nie gehört Ja, schon gehört, weiß aber nichts oder kaum etwas darüber Ja, schon gehört und weiß einiges oder vieles darüber Gesamt
Rheinschiene Anzahl 291 147 62 500
% 58,2 % 29,4 % 12,4 % 100,0 %
Nördliches Schleswig-Holstein Anzahl 237 174 89 500
% 47,4 % 34,8 % 17,8 % 100,0 %
Deutschland* Anzahl 545 255 81 881
% 61,9 % 28,9 % 9,2 % 100,0 %
Gesamt Anzahl 1073 576 232 1881
% 57,0 % 30,6 % 12,3 % 100,0 %

„Deutschland*“ = Deutschland ohne Rheinschiene und Nördliches Schleswig-Holstein

Quelle:   Schumann et al. 2010, S. 54

Die Tatsache, dass Bürgerinnen und Bürger diesen Begriff schon einmal gehört haben, bedeutet jedoch nicht, dass sie auch wissen, worum es sich dabei handelt. Nur 9,2 Prozent aller Befragten in Deutschland* gab an, dass sie „einiges oder vieles“ über CCS wissen. Hingegen waren es in der Region „Nördliches Schleswig-Holstein“ fast doppelt so viele Befragte und in der Region Rheinschiene waren es 12,4 Prozent. Allerdings wussten von den Befragten in Deutschland*, die angaben, dass sie „einiges oder vieles“ wissen, nur 58 Prozent, dass CCS einen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung leisten kann. Im Nördlichen Schleswig-Holstein waren es 65,2 Prozent und in der Region Rheinschiene 71 Prozent.

Obwohl nur ein geringer Anteil der Befragten wusste, welche Probleme durch CCS-Technologien reduziert werden können, lehnte ein hoher Anteil der Befragten ihren Einsatz spontan ab (Schumann et al. 2010). Dabei war die spontane Ablehnung mit 51,8 Prozent im Nördlichen Schleswig-Holstein am größten und in Deutschland* mit 37 Prozent am niedrigsten. In der Rheinschiene entsprach sie mit 41,8 Prozent dem Gesamtdurchschnitt. Nach dem Erhalt von knappen Informationen zu den drei Prozessschritten Abscheidung, Transport und Speicherung stieg die Ablehnung der CCS-Technologien bei allen Befragten um rund 4 Prozentpunkte (Schumann et al. 2010).

Diese Ergebnisse veranschaulichen, dass Laien Meinungen zu einem Thema entwickeln können, die in der Forschung zur Meinungsbildung als „Pseudo-Meinungen“ bezeichnet werden, weil sie sich weder auf fundierte Kenntnisse noch auf eine eigenständige Beurteilung eines Tatbestands gründen (de Best-Waldhober et al. 2009). Sie sind daher vorwiegend instabil, sodass die Bereitstellung von Informationen leicht zu einer Veränderung führen kann – inwieweit es sich hierbei um eine dauerhafte Änderung handelt und in welche Richtung diese gehen wird, kann jedoch noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden.

Daher ist es notwendig, in Kommunikationsprozesse einzutreten, die es ermöglichen, eigenständige und wohlüberlegte Meinungen zu CCS entwickeln zu können. Dabei sollten regionale und zielgruppenspezifische Unterschiede berücksichtigt, unterschiedliche Bewertungen der drei CCS-Prozessschritte beachtet, Fehleinschätzungen von CCS thematisiert, CCS in den Kontext von Kohlenutzung und Energieversorgung eingebettet sowie vertrauenswürdige Informationsquellen einbezogen werden.

6     Auf dem Weg zu einer Neuorientierung der deutschen CCS-Politik?

Um CCS als Option für den globalen Klimaschutz zu etablieren, ist es notwendig, einen gesetzlichen Rahmen für CCS zu schaffen, den Aufbau von Demonstrationsanlagen zu fördern, Voraussetzungen für eine CCS-Infrastruktur zu schaffen und FuE fortzuführen. Die EU, die CCS eine wichtige Rolle bei einem CO2-armen Energiesystem zuweist, nimmt weltweit bei der Entwicklung von CCS einen Spitzenplatz ein: Sie forciert FuE, stellt Gelder für Demonstrationskraftwerke bereit und hat mit der CCS-Richtlinie das rechtliche Rahmenwerk speziell für die Deponierung von CO2 geschaffen. In Deutschland sind die Gesetzgeber dabei, die Richtlinie so umzusetzen, dass sie vorerst nur Demonstrationsprojekte zulässt. Wie es dann weitergeht, soll 2017 entschieden werden.

Möglicherweise zeichnet sich mit der energiepolitischen Strategie der Bundesregierung, die den erneuerbaren Energien den Vorrang gibt und für eine längere Übergangszeit die Kernkraft nutzen will, eine veränderte Einschätzung der Rolle von CCS ab: CCS für fossile Kraftwerke steht nicht mehr im Vordergrund, was implizit zumindest die langfristige Kohlenutzung in Deutschland infrage stellt. Hingegen scheint die industriepolitische Bedeutung von CCS an Gewicht zu gewinnen: CCS könnte für prozessbedingte Emissionen wichtiger Industrien eingesetzt und das CO2 als Wertstoff genutzt werden. Speicherung, eine aufwändige Transportinfrastruktur via Pipeline und Akzeptanzprobleme könnten an Bedeutung verlieren. Freilich wäre das für die deutsche Politik eine Abkehr von dem bisherigen Konzept, CCS als nationale Klimaschutzoption für die Energiewirtschaft zu sehen. International wird jedoch, angesichts des steigenden Einsatzes fossiler Energieträger in den nächsten Dekaden, CCS ein wichtiger Baustein in einem Portfolio von Technologien für den Klimaschutz sein. Wenn deutsche Unternehmen CCS-Technologien für einen globalen Markt entwickeln sollen, müssen die gesellschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen werden.

Anmerkungen

[1]  Eigene Berechnung nach http://ec.europa.eu/research/energy/eu/projects/index_en.cfm#results (download 21.9.10).

[2]  http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Energie/energieforschung,did=220074.html (download 21.9.10).

[3]  Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen um 20 %, Steigerung der Anteils der erneuerbaren Energien auf 20 %, Erhöhung der Energieeffizienz um 20 % jeweils bis 2020.

[4]  http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/energie,did=254042.html (download 21.9.10).

[5]  Neun Punkte für eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare Energieversorgung (Entwurf), http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/energie,did=357356.html (download 21.9.10)

[6]  Ketzin wird vom GeoForschungsZentrum Potsdam zusammen mit weiteren Einrichtungen betreut.

[7]  Überblick: Scottish Carbon Capture & Storage, http://www.geos.ed.ac.uk/sccs/storage/storageSitesFree.html (download 21.9.10).

[8]  Vgl. z. B. die Position des CDU-Bundestagsabgeordneten von Marwitz: „Widerstand gegen CCS in Brandenburg kann nicht länger ignoriert werden“; http://www.von-der-marwitz-mdb.de/index.php?ka=1&ska=4&idn=26 (download 21.9.10).

[9]  Text des Entwurfs: http://www.bmu.de/files/pdfs/allgemein/application/pdf/gesetzentwurf_ccs.pdf (download 21.9.10).

[10]  Gesetz zur Demonstration und Anwendung von Technologien zur Abscheidung, zum Transport und zur dauerhaftem Speicherung von Kohlendioxid. Referentenentwurf, Bearbeitungsstand vom 23.7.2010; Text unter http://oliver-krischer.eu/fileadmin/user_upload/gruene_btf_krischer/2010/Referentenentwurf_CCS_Gesetz.pdf (download 21.9.10).

[11]  http://www.bundestag.de/dokumente/protokolle/plenarprotokolle/17055.pdf (download 21.9.10).

[12]  „Deutschland*“ meint hier Deutschland ohne Rheinschiene und Nördliches Schleswig-Holstein.

Literatur

De Best-Waldhober, M.; Daamen, D.; Faaij, A., 2009: Informed and Uninformed Public Opinions on CO2 Capture and Storage Technologies in the Netherlands. In: International Journal of Greenhouse Gas Control 3/3 (2009), S. 322–332

European Commission, 2009: Directive 2009/31/EC of the European Parliament and of the Council of 23 April 2009 on the geological storage of carbon dioxide. Brussels; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:140:0114:0135:EN:PDF (download 21.9.10)

Fischedick, M.; Pietzner, K.; Kuckshinrichs, W., 2008: Gesellschaftliche Akzeptanz von CO2-Abscheidung und -Speicherung in Deutschland. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 58/11 (2008), S. 20–23

Gale, J.; Davison, J., 2004: Transmission of CO2 – Safety and Economic Considerations. Energy 29 (2004), S. 1319–1328

IEA – International Energy Agency, 2008: Energy Technology Perspectives. Scenarios & Strategies to 2050. Paris

Kuckshinrichs, W.; Markewitz, P.; Linssen, J. et al., 2010: Weltweite Innovationen bei der Entwicklung von CCS-Technologien und Möglichkeiten der Nutzung und des Recyclings von CO2. Schriften des Forschungszentrums Jülich, Reihe Energie & Umwelt, Band 60. Jülich

Praetorius, B.; von Stechow, C.V., 2009: Electricity Gap versus Climate Change: Electricity Politics and the Potential Role of CCS in Germany. In: Meadowcroft, J. et al. (Hg.): Catching the Carbon: The Politics and Policy of Carbon Capture and Storage. Cheltenham, S. 125–157

Roggenkamp, M.M.; Woerdman, E., 2009: Looking Beyond the Legal Uncertainties of CCS. In: Roggenkamp, M.M.; Woerdman, E. (Hg.): Legal Design of Carbon Capture and Storage. Antwerp-Oxford-Portland, S. 347–360

Schenk, O., 2011/i. E.: Influence of international technology-oriented agreements on CCS policy formulation in the EU, Schriften des Verlags im Forschungszentrum Jülich. Jülich (in Vorbereitung)

Schumann, D., 2010: Erhebung des Einflusses der CCS-Kommunikation auf die breite Öffentlichkeit sowie auf lokaler Ebene („CCS-Kommunikation“). Abschlussbericht. STE Research Report 09/2010, Forschungszentrum Jülich

Schumann, D.; Pietzner, K.; Esken, A., 2010: Umwelt, Energiequellen und CCS: Regionale Unterschiede und Veränderungen von Einstellungen der deutschen Bevölkerung. In: Energiewirtschaftliche Tagesfragen 60/5 (2010), S. 52–56

Uken, M., 2009: Der neue Endlager-Streit. In: ZEIT ONLINE, 25.6.2009; http://www.zeit.de/online/2009/26/ccs-protest (download 21.9.10)

Kontakt

MA Wolfgang Fischer
Institut für Energieforschung, Systemforschung und Technologische Entwicklung (IEF-STE)
Forschungszentrum Jülich
52425 Jülich
Tel.: +49 2461 61-5204
E-Mail wo.fischer∂fz-juelich.de