Nachhaltige Energieversorgung in Megacities. Das Beispiel Santiago de Chile

Schwerpunkt: Auf dem Weg zu einer nachhaltigen Energieversorgung – Beiträge von TA und Energiesystemanalyse

Nachhaltige Energieversorgung in Megacities

Das Beispiel Santiago de Chile

von Volker Stelzer, Jürgen Kopfmüller und Adriana Quintero, ITAS, sowie Sonja Simon, DLR

Megacities beeinflussen insbesondere auf Grund ihrer hohen und dynamisch wachsenden Konzentration von Bevölkerung und Wirtschaftskraft den globalen Wandel (Borsdorf, Coy 2009; Kraas, Nitschke 2006) und sind entsprechend Zentren starker Energienachfrage. Dies bedeutet, dass ihre Versorgung mit genügend Energie besondere Ansprüche stellt, dass dort aber auch Maßnahmen für eine nachhaltigere Energieversorgung ein besonderes Wirkungspotenzial besitzen. Im Rahmen des von der Helmholtz-Gemeinschaft finanziell unterstützten deutsch-chilenischen Verbundprojekts „Risk Habitat Megacity“ wurden für die Metropolregion Santiago de Chile eine Bestandsaufnahme der Energiesituation anhand ausgewählter Indikatoren durchgeführt, explorative Szenarien analysiert und auf dieser Basis Empfehlungen zur Verbesserung der Nachhaltigkeit im Energiesystem erarbeitet.

1     Einleitung

Die gegenwärtige Form der Versorgung moderner Gesellschaften mit Energie impliziert häufig die Übernutzung knapper nicht-erneuerbarer Ressourcen und Umweltschädigungen. Sie findet damit zu Lasten heutiger wie auch zukünftiger Generationen statt und ist insoweit nicht nachhaltig. Mit rund zwei Prozent der globalen Landfläche und über 50 % der Weltbevölkerung sind Städte für rund zwei Drittel des globalen Energieverbrauchs und knapp 75 % der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich (IEA 2008). Es liegt daher nahe, bei der Suche nach Lösungen für eine nachhaltigere Energieversorgung Städte verstärkt in den Blick zu nehmen. Megacities stellen hierbei aufgrund ihrer Größe und ihrer hohen Konzentration an Kapital und Wirtschaftsleistung eine besondere Herausforderung dar.

In Santiago de Chile leben mit derzeit 6,5 Mio. Einwohnern rund 40 % der Bevölkerung des Landes, und beinahe 50 % der nationalen Wirtschaftsleistung sind hier konzentriert. Damit kommt der Stadt eine herausragende Bedeutung für die Entwicklung Chiles zu und sie stellt darüber hinaus einen wichtigen wirtschaftlichen und politischen Knoten im Netzwerk Lateinamerikas dar.

2     Methodisches Vorgehen

Das deutsch-chilenische Verbundprojekt „Risk Habitat Megacity“ (RHM) hatte zum Ziel, Strategien und Maßnahmen für eine nachhaltigere Entwicklung der Metropolregion Santiago de Chile (MRS) zu erarbeiten (Kopfmüller et al. 2009). Innerhalb der Laufzeit des Projektes (2006 bis 2010) wurden u. a. auch Strategien und Maßnahmen für das Energiesystem entwickelt, die in diesem Beitrag vorgestellt werden. Die Nachhaltigkeitsanalyse der Energiesituation erfolgte in fünf Schritten.

Als Grundlage für diese Betrachtungen wurde zunächst eine Bestandsaufnahme der Beschaffenheit des Energiesystems auf der Basis von statistischen Daten und Experteninterviews durchgeführt. In einem zweiten Schritt wurden zur Bewertung der Nachhaltigkeitssituation Indikatoren ausgewählt und Zielwerte für diese ermittelt. Basis hierfür war die Auswertung einschlägiger nationaler und internationaler Literatur sowie das „Integrative Konzept Nachhaltiger Entwicklung“ der Helmholtz-Gemeinschaft mit seinen substanziellen und instrumentellen Nachhaltigkeitsregeln (Kopfmüller et al. 2001), die auf den Energiesektor der MRS angewendet wurden.

Der dritte Schritt bestand in der Erarbeitung von explorativen Szenarien. Basierend auf einer Auswertung der wichtigsten internationalen Szenarienstudien wurden Rahmenszenarien für den Energiebereich der MRS erarbeitet. Es wurden drei alternative globale Entwicklungsoptionen bis 2030 entworfen – Business-as-usual (BAU), Corporate Identity (CR) und Market Individualism (MI) – und für die spezifischen Gegebenheiten in Chile bzw. der MRS übersetzt (detailliertere Erläuterungen hierzu s. u.). Sie bildeten den Rahmen für die Analyse der künftigen Entwicklung des Energiesystems. Für einen Teil der Nachhaltigkeitsindikatoren war es möglich, ihre Entwicklung in den einzelnen Szenarien mit dem Computermodel MESAP/Planet („Modular Energy System Analysis and Planning Environment/Planning Network“) zu modellieren, das am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt für die Analyse von Energiesysteme genutzt wird (Krewitt et al. 2009) und mit welchem bereits nationale chilenische Energieszenarien erstellt wurden (Greenpeace et al. 2009). Andere konnten nur qualitativ beschrieben werden.

Der vierte Schritt bestand in der Bewertung der Szenarienergebnisse an Hand der Indikatoren und Zielwerte, der Feststellung von Zielabweichungen (mit Hilfe der distance-to-target-Methode) und der Identifizierung der jeweils drängendsten Nachhaltigkeitsdefizite. Auf der Grundlage der Bewertungsergebnisse wurden Vorschläge für Strategien und Maßnahmen zur Verringerung der festgestellten Probleme erarbeitet.

Energieversorgung in SantiaDas Energiesystem in Chile ist gekennzeichnet durch einen hohen Privatisierungsgrad und eine hohe ökonomische Konzentration der Energiedienstleister, die durch die nationale Energiekommission (CNE) und das neu geschaffene Energieministerium kontrolliert werden. Der Energieverbrauch der MRS entspricht dem einer Großstadt eines Schwellenlandes, d. h. er ist geprägt von starkem Wachstum und einer starken Abhängigkeit von fossilen Energierohstoffen (s. Abb. 1). Diese werden nahezu vollständig aus dem Ausland importiert.

Abb. 1:   Energieverbrauch der Metropolregion Santiago de Chile

Energieverbrauch der Metropolregion Santiago de Chile

Quellen:   CNE 2008a; SEC 2006; SEC 2007; SEC 2008

Den höchsten Anteil am gesamten Endenergieverbrauch im Jahre 2008 von 248 PJ hatte der Verkehr mit rund 40 % gefolgt von der Industrie mit 25 %, den Haushalten mit 20 % und Handel und Dienstleitungen mit 15 %. Das Stromversorgungssystem ist in Chile in vier voneinander unabhängige Netze unterteilt, wobei die MRS vom größten Netz „Sistema Interconectado Central“ (SIC) versorgt wird. Die Region kann sich zu 25 % selbst mit Strom versorgen, wobei 50 % des in der MRS produzierten Stroms aus Wasserkraft entsteht.

Der Stromverbrauch pro Kopf stellt sich in den einzelnen Stadtteilen von Santiago sehr unterschiedlich dar. Während in Las Condes und Vitacura – den Kommunen mit den durchschnittlich höchsten Haushaltseinkommen – 2.500 bis 3.000 kWh pro Kopf und Jahr verbraucht werden, sind es in den „ärmeren“ Kommunen Cero Navia, Lo Prado und San Ramon nur gut 500 kWh (Vargas 2008). Den größten Anteil am Stromverbrauch in der MRS hat mit 30 % die Industrie, gefolgt von den Haushalten mit 26 % sowie Handel und Gewerbe mit 22 %. Der Bergbau macht 7 %, die Landwirtschaft 2 % und die sonstigen Sektoren 13 % aus.

3     Auswahl der Indikatoren

Zunächst wurde eine Analyse der internationalen Literatur zum Thema Energieindikatoren durchgeführt.[1] Auf dieser Basis wurde ein umfassender Satz von 44 Indikatoren erstellt. Daraus wurden 16 „Kern-Nachhaltigkeitsindikatoren“ ausgewählt; dies geschah v. a. mit Blick auf eine angemessene Abbildung der Nachhaltigkeitsregeln des Integrativen Konzepts. Schließlich wurden primär anhand der Kriterien (a) Möglichkeit, Zielwerte für die Indikatoren festzulegen und (b) Verfügbarkeit von Daten die folgenden acht Indikatoren für die Bewertung der Ist-Situation und der künftigen Entwicklung ausgewählt:

  1. Anteil der Haushalte im ländlichen Teil der MRS ohne Zugang zu Strom,
  2. Dauer der Unterbrechung der Stromversorgung in der MRS,
  3. Endenergienutzung pro Kopf in der MRS,
  4. Energieintensität in Chile,
  5. Anteil des aus nicht konventionellen erneuerbaren Energien erzeugten Stroms an der Stromproduktion im SIC-Netz,
  6. Energiebedingte CO2-Emissionen in der MRS,
  7. Anteil des Endenergieverbrauchs, der auf der Nutzung in die MRS importierter Energieressourcen basiert.
  8. Grad der ökonomischen Konzentration im Energiebereich in der MRS.

Für einige der Indikatoren wurden Werte für die nationale oder regionale Ebene erhoben, da für die MRS keine ausreichenden Daten verfügbar waren. Für alle Indikatoren wurden Zielwerte auf der Grundlage von existierenden lokalen, regionalen oder nationalen Werten festgelegt oder in den Fällen, wo dies nicht möglich war, auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertise vorgeschlagen.

4     Santiago 2030

Die Steuerung von Großstädten wie Santiago de Chile stellt eine erhebliche Herausforderung dar – zum einen bedingt durch ihre Größe und Komplexität, zum anderen, weil sie von verschiedenen nationalen und internationalen Faktoren abhängig sind. Zur Abschätzung, wie sich die Nachhaltigkeitssituation des Energiebereichs in Santiago in Zukunft entwickeln wird, wurde die Szenariomethodik angewendet. Es wurden drei globale explorative Rahmenszenarien entlang verschiedener, gesellschaftliche Entwicklung treibender Faktoren wie ökonomische Entwicklung, institutioneller Rahmen/Governance, Demographie, technologische Entwicklung, soziales Wertesystem, Klimawandel oder Bildung erarbeitet (Barton et al. 2009a). Dies geschah auf der Grundlage einer Auswertung der wichtigsten vorliegenden internationalen Szenarienstudien – etwa von Global Scenario Group (2002), Shell (2005), IPCC (2007), UNEP (2007) oder U.S. National Intelligence Council (2008). Die drei Rahmenszenarien wurden dann unter Nutzung von Expertenwissen und vorhandener Literatur für die spezifischen Bedingungen Chiles und der MRS übersetzt.[2] Die Grund-„Philosophien“ der drei Szenarien sind nach Barton, Kopfmüller (2009) die folgenden drei:

Business-as-usual (BAU): Hier wird die bestehende starke Marktorientierung in Politik und Gesellschaft fortgeführt. Sie wird weiterhin teilweise abgefedert durch soziale Sicherungsmechanismen für die Ärmsten. Primäres Ziel ist die Auslöschung von extremer Armut, erst danach geht es um Gerechtigkeitsfragen. Die Begrenztheiten des bestehenden politischen Systems und der sozioökonomischen Machtstrukturen bleiben jedoch bestehen. Es wird daher weiterhin eine zweigeteilte Sozioökonomie existieren, in der Klassen- und Statuskategorien einen starken Einfluss auf soziale Organisation und ökonomische Verteilung haben.

Market Individualism (MI): In diesem Szenario werden die individuelle Wahl- und Handlungsfreiheit zur wesentlichen Entwicklungsgrundlage. Die Zielsetzung einer weitgehenden Eigenverantwortung und des individuellen Rechts auf rationale Entscheidungen zum eigenen Nutzen lässt den Markt zum dominanten Mechanismus für alle gesellschaftlichen Aktivitäten werden. Die weitgehende Reduzierung der Rolle des Staates auf die Bereiche Sicherheit und Schutz der Eigentumsrechte reduziert auch Marktverzerrungen. Regulierung dient v. a. der schnelleren Marktanpassung und der Erleichterung des Marktzugangs für Produzenten und Konsumenten. Da die Individuen über Märkte entsprechend ihrer individuellen Präferenzen agieren, finden alle Veränderungen von sozialen Strukturen eher über diesen Weg und weniger durch staatliche Eingriffe statt. Ressourcen und Dienstleistungen werden erzeugt und verteilt gemäß Angebot und Nachfrage mit dem Preis als Knappheitsregulationsmechanismus.

Corporate Identity (CR): Hier wird ein Wandel der regionalen sozioökonomischen und sozioökologischen Bedingungen angenommen. Umverteilungsmaßnahmen wird eine erhebliche Bedeutung zukommen im Umgang mit strukturellen Verteilungsdefiziten und mit Marktversagen in bestimmten Bereichen von Wirtschaft und Dienstleistungen. Basis hierfür ist die Ethik der Chancengleichheit in der regionalen Entwicklung. Soziale und ökologische Gerechtigkeit werden zu einem zentralen Ziel staatlicher Regulierungen. Dementsprechend verlieren traditionelle Eliten allmählich an Macht und Wohlstand wird weniger ungleich verteilt. Die Anwendung von Technik wird stärker an sozialen Werten sowie an Umwelt- und Ressourcenschutzzielen orientiert.

Entsprechend dieser Szenariengrundausrichtungen wurden in den drei Varianten für die genannten Treiber und die sie konkretisierenden Faktoren auf der Basis von Expertenwissen und der Ergebnisse mehrerer Stakeholder-Workshops Annahmen darüber erarbeitet, wie sich diese bis 2030 verändern werden. Für einen Teil der Treiber, die quantitativen Variablen, wurden konkrete Zahlenwerte bis 2030 angenommen (Barton et al. 2009b).

All dies bildete den Rahmen, der in einem nächsten Schritt in spezifische Szenarien für den Energiebereich übersetzt wurde. Hierzu wurden die möglichen Zusammenhänge zwischen Treibern bzw. quantitativen Variablen (z. B. Bevölkerungs- oder Wirtschaftsentwicklung) und z. B. dem Energieverbrauch für die drei Szenarien abgeschätzt (Stelzer et al. 2009). Diese Energieszenarien sowie die Vorschläge für die Nachhaltigkeitsindikatoren und Zielwerte wurden in einem Workshop mit Stakeholdern vor Ort diskutiert. Die Ergebnisse dieses Prozesses sind in die endgültige Ausgestaltung der Energieszenarien eingeflossen. Ausgewählte Parameter dieser Energieszenarien sind in Tabelle 1 aufgeführt.

Tab. 1: Ausprägung von ausgewählten Energieparametern in den Energieszenarien 2030

Bereich BAU CR MI
Rolle der Wasserkraft Realisierung der Groß-Anlage HidroAysen Fokus auf kleine Wasserkraftanlagen Realisierung der Groß-Anlage HidroAysen
Rolle der nicht-konventionellen erneuerbaren Energieträger Implementierung der beschlossenen Zielwerte
(5 % für 2010 / 10 % für 2024)
Starke Zunahme von Kraft-Wärme-Kopplung, Wind, Solar, Geothermie, Biomasse Verstärkter Zuwachs bei der Stromerzeugung durch Wind und Solarkollektoren
Rolle fossiler Brennstoffe Weitere Investitionen in Kohlekraftwerke Gas als Backup für erneuerbare Energien Weitere Investitionen in Kohlekraftwerke
Transportsektor:
Anteil der Elektroantriebe am Pkw-Bestand
6 % 10 % 10 %

Quelle: Eigene Darstellung

Im Rahmen dieser Energieszenarien wurde die künftige Entwicklung der Indikatoren abgeschätzt und bewertet, was z. T. gestützt auf das Modell MESAP/PlaNet erfolgte. Dieses Modell berechnet Energie- und Emissionsbilanzen für Energiereferenzsysteme.

Die Szenarienergebnisse zeigten z. B., dass sich beim MI- und beim BAU-Szenario ähnliche Werte beim Primärenergieverbrauch, bei den CO2-Emissionen und beim Energieträger-Mix einstellen. Wasserkraft bleibt in allen drei Szenarien die tragende Säule der Stromversorgung. In CR wird der Energieverbrauch deutlich weniger steigen als in den anderen Szenarien und nicht konventionelle erneuerbare Energien werden hier mit rund 35% deutlich mehr zur Stromproduktion beitragen (Abb. 2).

Abb. 2:   Primärenergieverbrauch in der Metropolregion Santiago de Chile nach Energiequellen

Primärenergieverbrauch in der Metropolregion Santiago de Chile nach Energiequellen

Quelle:   Eigene Darstellung nach Simon et al. 2011/i. E.

5     Nachhaltigkeitsbewertung

Die Nachhaltigkeitsanalyse des Ist-Zustandes und der Szenarienentwicklung der Indikatoren zeigt ein heterogenes Bild. In einigen Fällen sind die Entwicklungen positiv, in anderen ist noch eine große Abweichung von den Zielwerten zu konstatieren. An dieser Stelle kann exemplarisch nur auf den Indikator „Anteil des Endenergieverbrauchs, der auf der Nutzung in die MRS importierter Energieressourcen basiert“ eingegangen werden.

Eines der für Chile (wie auch die MRS) zu konstatierenden Nachhaltigkeitsdefizite liegt in der hohen Abhängigkeit von Energierohstoffimporten, da sie das Land verwundbar macht gegenüber Lieferausfällen. Seit vielen Jahren importiert Chile mehr als zwei Drittel der verbrauchten Energieressourcen. Die Importquote auf Primärenergiebasis stieg von 50 % im Jahr 1990 auf heute über 70 % (CNE 2008a). Die Ursachen hierfür sind sowohl die steigende Energienachfrage als auch die geringen Vorkommen an konventionellen Energieträgern in Chile.

Besonders stark hat in der Vergangenheit der Import von Erdgas aus Argentinien zugenommen. In den Jahren 2006/2007 hat Argentinien den Erdgasexport nach Chile – unter Verletzung vertraglicher Vereinbarungen – dramatisch reduziert, was zu ernsten Problemen für Chiles Industrie und auch für private Haushalte führte. Daraufhin wurde Gas weitgehend durch Diesel und Kohle ersetzt, was zwischen 2005 und 2007 zu einer Verdreifachung der Dieselimporte führte. Auch der Import von Öl und Kohle ist in diesem Zeitraum signifikant gestiegen. Bis 2010 sind in Chile rund 1 Mrd. US-Dollar in zwei große Überseehäfen (Quintero und Mejillones) mit einer Kapazität von ca. 16 Mio. m3 Flüssiggas (LNG) pro Tag investiert worden, um die Gaslieferausfälle aus Argentinien so schnell wie möglich zu kompensieren.

Um künftig weniger von riskanten Lieferungen, aber auch von den Schwankungen auf den Energierohstoffmärkten abhängig zu sein, wäre eine Reduzierung der Energieimportabhängigkeit auf unter 50 % anzustreben. Unter den bestehenden Rahmenbedingungen wird sie sich allerdings weiter erhöhen, z. B. aufgrund der zunehmenden Installation von kohlebefeuerten thermischen Kraftwerken, die in den nächsten Jahren in Betrieb gehen werden bzw. geplant sind (IEA 2009a; IEA 2009b). Die CNE sagt einen Anteil solcher Kraftwerke von 26 % an der Elektrizitätsversorgung für 2020 voraus.

Die Szenarienergebnisse zeigen, dass hier unterschiedliche Entwicklungen möglich sind. Im BAU und im MI-Szenario wird die Importabhängigkeit zwar prozentual verringert, es erhöht sich jedoch die absolute Menge importierter Energierohstoffe. Nur in CR würde sich sowohl eine absolute als auch eine relative Abnahme ergeben. Dies resultiert sowohl aus der hier deutlich geringeren Zunahme der Energienachfrage, aber auch aus dem verstärkten Einsatz heimischer erneuerbarer Energien (s. Abb. 3). In diesem Szenario könnten 50 % Importabhängigkeit erreicht werden.

Abb. 3:   Abhängigkeit der Metropolregion Santiago de Chile von Energieimporten aus dem Ausland

Abhängigkeit der Metropolregion Santiago de Chile von Energieimporten aus dem Ausland

Quelle:   Eigene Darstellung nach Simon et al. 2011/i.&xnbsp;E.

6     Politik für ein nachhaltigeres Energiesystem

Chile hat in den letzten Jahren einige energiepolitische Schritte in Richtung einer nachhaltigeren Energieversorgung unternommen. So ist auf nationaler Ebene ein eigenständiges Energieministerium geschaffen worden, es ist ein Programm für Energieeffizienz ins Leben gerufen worden und die für die MRS zuständige Regionalregierung arbeitet an einem Energieplan für die Metropolregion, der im März 2011 vorgelegt werden soll. In einer dem CR-Szenario entsprechenden Zukunft wäre es möglich – wie etwa beim Indikator Importabhängigkeit – einige der Nachhaltigkeitszielwerte für die ausgewählten Indikatoren zu erreichen. In einer dem BAU- oder MI-Szenario entsprechenden Welt sähe dies jedoch anders aus. Unter Vorsorgegesichtspunkten wäre es demnach in jedem Fall notwendig, weitere Maßnahmen zu ergreifen.

Eine wichtige Maßnahme dabei wäre, anstatt Kohlekraftwerken Gaskraftwerke zu installieren, die flexibler regelbar und damit besser geeignet sind, eine kontinuierliche Energieversorgung in Verbindung mit Kraftwerken zu gewährleisten, die auf von klimatischen Bedingungen abhängigen erneuerbaren Energieträgern basieren. Desweiteren sollten bestehende Aktivitäten, mit denen das von der CNE für Chile formulierte Ziel einer 20%igen Effizienzsteigerung bis 2020 erreicht werden könnte, ausgebaut werden (CNE 2008b).

Weiterhin wäre es von großer Bedeutung, dass Chile sein immenses Potenzial an regenerativen Energien noch stärker nutzt. Zu diesen vorhandenen regenerativen Energien gehören

Dabei sollte mit der Suche nach und Analyse von solchen Potenzialen in der RMS begonnen werden, da die Risiken transportbedingter Leitungsverluste mit zunehmender Entfernung der Energiequelle steigen. Relativ einfach zu realisieren wäre etwa eine auf einer „Befliegung“ der MRS basierende Auswertung der Nutzbarkeit bestehender Dachflächen für die Produktion von Solarenergie, wie dies z. B. in Osnabrück derzeit durchgeführt wird (FH Osnabrück/Stadt Osnabrück 2010).

Zur Realisierung der notwenigen Ziele einer Steigerung der Energieeffizienz und der Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energie an der Energieerzeugung sind neben den technischen Maßnahmen die Setzung geeignet politischer Rahmenbedingungen erforderlich, die bislang in Chile und der MRS noch kaum existieren. Zu nennen sind hier insbesondere die Einführung entsprechender Steuern und Abgaben auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern sowie der erleichterte oder vorrangige Stromnetzzugang für erneuerbare Energien.

Anmerkungen

[1]  Hierzu wurden v. a. folgende Studien herangezogen: UN-CSD (2007), United Nations Secretary-General (2007), Southeast False Creek Steering Committee (2005), CEPAL (2007), OECD (2007), Atkinson et al. (2004), Berman, Phillips (2000), Böhnke (2001), Hacking (2005), Shookner (2002), Van der Maesen, Walker (2006), Arancon Sanchez (2009).

[2]  Zu dieser Literatur gehörten z. B. Galetovic 2006; Paz, Larraín 2004 sowie Larraín et al. 2003a und dies. 2003b.

Literatur

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