Innovations- und Technikanalyse im Internet

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Innovations- und Technikanalyse im Internet

von Henning Banthien und Jochen Herz, IFOK - Institut für Organisationskommunikation

Die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an der Diskussion und Entscheidung technologischer Fragen mit gesellschaftlicher Relevanz (Gentechnik, Atomenergie) wird zunehmend eingefordert. Der vorliegende Bericht fasst Ergebnisse des Projekts "Evaluation internetgestützter Diskurse zur Innovations- und Technikanalyse" (ITA) zusammen, mit dem das Institut für Organisationskommunikation (IFOK) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung betraut war. Er erörtert Chancen und Grenzen internetgestützter Kommunikation für Technologiediskurse. Das Projekt hat gezeigt, dass virtuelle ITA-Diskurse auf vielfältige Weise konzipiert und organisiert werden können. Nach realistischer Einschätzung ist allerdings festzustellen, dass ausschließlich internetgestützte ITA-Verfahren, die zudem ein komplexes technisches Thema mit einem breiten und vielfältigen Teilnehmerkreis diskutieren sollen, derzeit nur wenig Erfolgschancen haben. Zu begründen ist dies mit besonders hohen Anforderungen an die (fachlichen, motivationalen, kommunikativen usf.) Voraussetzungen der Teilnehmer und an die Professionalität der Prozessorganisation.

1     Partizipative ITA-Diskurse im Internet - Gestaltungsmöglichkeiten und Perspektiven

Politische Eliten neigen häufig dazu, sich den Problemlösungen aus Expertengutachten anzuschließen, weil sie sich auf diese Weise auf eine wissenschaftsgeschützte Legitimationsgrundlage berufen können. Umgekehrt trachten Experten danach, über ihre gutachterliche Rolle in den Entscheidungsprozess einzugreifen und bisweilen selbst politische Funktionen im Entscheidungssystem zu übernehmen. Sachkunde und Problemlösungswissen "einfacher Bürger" gelten häufig als Störfaktoren in Interaktionsprozessen zwischen Experten und Politik. Dagegen machen Bürger zunehmend ihren Partizipationswillen und die Forderung nach einer "Demokratisierung der Expertise" geltend (Leggewie 2001). Die Themen von Technikdiskursen verlangen neben hochspezialisiertem Fachwissen gleichzeitig eine Reflexion der z. T. weitreichenden gesellschaftlichen Implikationen technischer Innovationen. Insofern ist die Konsultation fachlicher Expertise ebenso notwendig wie die Beteiligung von verschiedenen Stakeholdergruppen an der Diskussion gesellschaftlich relevanter Technologiefragen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung beschreitet hierbei mit dem Arbeitsschwerpunkt Innovations- und Technikanalyse (ITA) neue Wege (Brüntink 2000). Mit dem Begriff ist die Zielsetzung verknüpft, Gestaltungsspielräume auszuloten und Voraussetzungen für nachhaltige und gesellschaftlich akzeptierte Lösungen zu schaffen. Dabei nimmt der Diskurs eine zentrale Stellung ein. Als vielversprechendes Medium für diese Diskurse gilt das Internet, da es prinzipiell einen interaktiven Austausch über räumliche und soziale bzw. zielgruppenspezifische Grenzen hinweg ermöglicht.

Das Projekt "Evaluation internetgestützter Diskurse zur Innovations- und Technikanalyse" (ITA), mit dem das Institut für Organisationskommunikation (IFOK) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein Jahr lang (2001) befasst war, hatte zwei aufeinander aufbauende Fragestellungen: 

2     Internetgestützte Diskurse zur Innovations- und Technikanalyse

Die in diesem Themenfeld verwandten Begriffe Diskurs, Internetkommunikation sowie Innovations- und Technikanalyse haben zwei Gemeinsamkeiten: Mit ihnen sind einerseits hohe Erwartungen und Ideale verknüpft, andererseits beschreiben diese Begriffe komplexe, schwer eingrenzbare Themenfelder. Daher ist die Definition "internetgestützter Diskurse zur Innovations- und Technikanalyse" keineswegs feststehend. Mit dem Begriff der "Innovations- und Technikanalyse" sollen die bisherigen Gegensätze Innovation und Technikfolgenabschätzung integriert werden. Eine Technologie soll nicht mehr im Nachhinein in seinen Konsequenzen bewertet werden. Vielmehr soll eine vorsorgende, auf Szenarien und Pfadentwicklungen beruhende, partizipative Alternativendiskussion stattfinden. Dabei wird Technik nicht als feststehendes Artefakt betrachtet, sondern der Entwicklungsprozess von technischen Innovationen und deren Einbettung in die Gesellschaft stehen im Zentrum der Betrachtungen (Gleich 2001). Der Begriff "Diskurs" wird im Rahmen dieser Untersuchung als Kommunikationsprozess verschiedener Akteure verstanden, die sich um ein gemeinsames Verständnis eines Themas bemühen; hinzukommen dessen organisatorische und mediale Rahmenbedingungen. Ziel eines Diskurses ist eine verbesserte Lösungsfindung auf der Grundlage eines fairen, regelgeleiteten, transparenten Austauschs von Argumenten und Wissen (IFOK 2002). Mit dem Begriff "Internetkommunikation" sind Hoffnungen auf demokratischere Informations- und Kommunikationsstrukturen verbunden. Die dezentrale Struktur verspricht im Grunde gleichen Zugang für alle, Interaktivität, Informationsfreiheit und die Möglichkeit einer gleichberechtigten Diskussion zwischen verschiedenen Akteuren.

Angesichts der hohen Ideale stellte sich in der beobachteten Praxis eine fast zwangsläufige Ernüchterung ein. Das Internet wird bisher wenig zur zielgerichteten Diskussion von gesellschaftlich relevanten technologiebezogenen Fragestellungen genutzt. Es finden sich zwar vielfältige Verfahren, in denen politische, gesellschaftliche oder technologische Fragestellungen diskutiert werden, jedoch sind in der Regel Ziel und Reichweite unklar. Zielgruppe dieser Diskussionsverfahren ist häufig einfach "die breite Öffentlichkeit" oder "interessierte Fachleute mit speziellen Kenntnissen" (IFOK 2002). Obwohl gerade das Internet interaktive Kommunikationsstrukturen ermöglicht, ist die gegenseitige Bezugnahme der Teilnehmer und eine echte Weiterentwicklung von Argumenten selten zu beobachten. Auch bei der Gestaltung von Diskursumgebungen bleiben viele Potenziale des Internets ungenutzt. Die in der Studie abgeleiteten Handlungsempfehlungen beschäftigen sich daher vorrangig mit dem Anstoß und der Aufrechterhaltung einer zielgerichteten Diskussion verschiedener Akteure in Technikkontexten.

3     Gestaltung von internetgestützten Diskursen

Internetgestützte Diskurse haben nur dann praktische Bedeutung, wenn sie einen echten Mehrwert bringen, und nicht eine netzbasierte Wiederholung physischer (d. h. nicht-virtueller) Diskursformen sind. Angesichts der ungenutzten Potenziale virtueller Kommunikation wird deutlich, dass internetgestützte ITA-Diskurse in der Regel einer Konzeption und begleitender, professioneller Unterstützung bedürfen. Im Folgenden werden diese Probleme und allgemeine Erfolgsfaktoren knapp skizziert, die bei der Gestaltung internetgestützter Diskursverfahren berücksichtigt werden sollten.

3.1     Technische Umsetzung

Grundlegend für internetgestützte Diskurse ist die Art der Kommunikation. Es gibt eine Vielzahl von virtuellen Kommunikationsformen, die sich für Diskurse eignen (z. B. Net-Video-Conferencing, E-Mail, Newsletter, Foren oder Chats). Insbesondere die Passung von Kommunikationsform (technisch-konzeptionelle Form) und Diskursaufgabe (Ziel und Umfang) ist dafür entscheidend, ob Nutzer sich an der Diskussion beteiligen. Eine zentrale Stärke des Internets besteht in seiner dezentralen Datenorganisation und Datenhaltung. In internetgestützten Diskursen, die Entscheidungskompetenz besitzen sollen, ist jedoch zur Gewährleistung von Identität und Authentizität der Nutzer sowie zur Datensicherheit eine zentrale Verwaltung und Steuerung erforderlich. Auch erfordern manche Internetdiskurse eine Kombination aus zentraler und dezentraler Struktur (z. B. erfordern Plattformen zentrale Server, E-Mails dagegen eine dezentrale Verwaltung). Es sind folglich Architekturen zu entwickeln, die eine bestmögliche Kopplung zwischen Diskursaufgabe, Kommunikationsform und technischer Infrastruktur ermöglichen (Märker 2001). Dabei ist unbedingt auf einfache Bedienbarkeit und Schnelligkeit zu achten.

3.2     Themengestaltung

Ausgangspunkt eines internetgestützten Diskurses ist ein gemeinsames Thema, unter dem sich interessierte Gesprächsteilnehmer zusammenfinden. Handelt es sich um einen initiierten Diskurs, beeinflusst die Wahl und die konkrete Präsentation des Themas in hohem Maße wer und wie viele Diskutanten zusammenkommen. Das Eingangsthema wird von den Initiatoren vorgegeben, und im Laufe der Diskussion von den Teilnehmern differenziert und verändert. Welche Kriterien sind für die Wahl und Gestaltung eines geeigneten Themas zu beachten? Ob ein Thema einen hohen Zulauf hat, lässt sich schlecht vorhersagen. Anhaltspunkte für einen Diskussionsbedarf sind ein aktueller gesellschaftlicher Bezug, z. B. eine anstehende Entscheidung oder ein konkret zu lösendes Problem. Attraktiv wird ein internetgestütztes Diskussionsforum dann, wenn es Vorteile gegenüber präsenzgebundenen Verfahren bietet, z. B. wenn Informationen schneller und gebündelter ausgetauscht werden können, Kontakte geknüpft werden können, die anderswo nicht entständen oder ein konkreter politischer Nutzen entsteht. Hindernisse für einen regen Zulauf können in ganz profanen Gegebenheiten, etwa der Tages- oder Jahreszeit, schönem Wetter, etc. bestehen. Die - sehr unberechenbare - Attraktivität von Themen kann gestärkt werden, indem die Initiatoren selbst Kontexte für ein Thema aufbauen, z. B. durch Agenda Setting in wichtigen Institutionen. Die wichtigste Voraussetzung für das Vertrauen der Teilnehmer und eine glaubwürdige Auseinandersetzung ist die Ergebnisoffenheit der Fragestellung.

3.3     Teilnehmer

Die Zusammensetzung des Teilnehmerkreises hat immer Auswirkungen auf die Legitimation von Diskursen. Mögliche Grundlage für Legitimation von Diskursen sind neben der Entscheidungsbefugnis die Fachkenntnis und die Repräsentativität. Für ITA-Diskurse kann bei der Wahl der Zielgruppe ein Konflikt zwischen Fachkenntnis und Repräsentativität beschrieben werden. Kommt ein kleiner Expertenkreis zusammen, ist ein hoher Grad an Fachkompetenz erreicht, es fehlt aber die Repräsentativität; setzt man den Diskurs auf Bürgerebene an, so ist oftmals die Fachkompetenz nicht im erwünschten Maße gegeben, aber die Repräsentativität hoch (Leggewie 2001). Ist es gewünscht, Bürgerdiskurse auf ein gewisses fachliches Niveau zu bringen oder Experten- und Laien miteinander zu verknüpfen, dann sind unbedingt professionelle Konzeptionen von Wissensmanagement und Prozessorganisation erforderlich.

Auch wenn in ITA-Diskursen eine breite Beteiligung angestrebt wird, muss berücksichtigt werden, dass die Internetnutzer nicht 1:1 der Gesamtbevölkerung entsprechen. Die große Mehrheit der Diskussionsteilnehmer verfügt über einen höheren Bildungsabschluss oder eine Berufsausbildung. In Deutschland sind gegenwärtig 41,8 % der Internetnutzer Frauen (NetValue 2002). Die Tendenz eines zunehmenden Frauenanteils spiegelt sich auch in den untersuchten Diskussionsforen wieder, wobei themenabhängig große Unterschiede auftreten. Die größte Altersgruppe machen die Zwanzig- bis Fünfzigjährigen aus, wobei sich bei der Befragung von Diskussionsteilnehmern eine vergleichsweise hohe Anzahl Fünfzig- bis Siebzigjähriger abzeichnete. In Deutschland verfügen etwa 70 % der Haushalte noch nicht über einen Netzzugang (Focus 2002). Wird eine breite Beteiligung angestrebt, ist die Kontaktaufnahme über andere Medien, die Bereitstellung von Zugangsmöglichkeiten, die Schulung von Internetkompetenzen und eine Kopplung mit Präsenzveranstaltungen notwendig.

Ein weiteres Spezifikum internetgestützter Diskussionen besteht darin, dass Elemente einer "Internetkultur" in den Diskurs getragen werden. Dies geschieht insbesondere durch die Teilnahme von netzerfahrenen, überwiegend jungen Teilnehmern. Mit dieser "Netiquette" sind bestimmte Werte verknüpft, z. B. der einer gleichberechtigten Diskussion ohne das Ansehen von sozialer Stellung, eine Empfindlichkeit gegenüber Diskussionseingriffen/Zensur und ein spielerischer, oft flapsiger Umgangston. Daher ist eine transparente Prozessgestaltung und Moderation gerade in Internetdiskursen besonders wichtig.

3.4     Motivation und Beteiligung

Internetgestützte Diskurse zeichnen sich durch divergierende Interessen der Beteiligten aus. Dies gilt insbesondere, wenn verschiedene Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft und Internetcommunity zusammenkommen. Bei der näheren Betrachtung und Interpretation von Teilnehmerbeiträgen und Einführungstexten lassen sich eine Reihe unterschiedlicher Beweggründe für die Teilnahme finden wie das Interesse an sachlicher Information und Auseinandersetzung, Partizipations-, Mitteilungs- und Diskussionsbedürfnis, Lust an Kontroverse und Provokation, der Spieltrieb oder die Selbstdarstellung und Selbsterfahrung im Umgang mit dem Medium Internet. Die Online-Befragung einer kleinen Gruppe von Teilnehmern der Bundestagsforen legte den Schluss nahe, dass wichtige Beweggründe für die Teilnahme Sachinteresse, der Wunsch nach politischer Einflussnahme und Mitsprache sowie ein Interesse am Meinungsaustausch sind. Interessanterweise schätzten gleichzeitig viele der Befragten die Einflussmöglichkeiten durch ihre Teilnahme als gering ein (IFOK 2002).

In den Diskursbeiträgen der Teilnehmer zeichnet sich ein hohes Maß an Reflektiertheit, Sachlichkeit und Klarheit ab. Die Schwelle zum Ausstieg aus Diskussionen ist jedoch sehr niedrig und der Ausstieg oft endgültig. Umgekehrt bietet das Internet die Möglichkeit, neue Diskussionsteilnehmer problemlos in bereits begonnene Diskussionen einzubeziehen, z. B. durch "History-Funktionen", in denen übersichtliche Zusammenfassungen der bisherigen Diskussion gegeben werden. Den aktiven Teilnehmern steht meist eine große Gruppe (Zaungäste) gegenüber, die die Texte anderer zunächst rezipieren, sich aber nicht mit eigenen Beiträgen beteiligen. Ein besonderes Problem internetgestützter Diskurse besteht darin, dass trotz der technischen Möglichkeiten echte Interaktivität im Sinne einer gegenseitigen Bezugnahme oder gar einer Weiterentwicklung von Argumenten die Ausnahme bildet.

3.5     Moderation

Je vielfältiger die Teilnehmerschaft und je mehr Aspekte eines Themas diskutiert werden, desto wichtiger wird die Unterstützung durch Moderatoren, um eine ergebnisorientierte Diskussion zu erreichen. Ihre Rolle zeichnet sich durch Allparteilichkeit und die Enthaltung von einer inhaltlichen Beteiligung sowie durch die Unterstützung der Selbstorganisation der Diskutierenden aus. Zu ihren Aufgaben gehören zunächst die Vereinbarung von Spielregeln und ihre Durchsetzung. Als virtueller Gastgeber sorgen Moderatoren für eine angenehme Atmosphäre, indem sie die Teilnehmer empfangen, vorstellen und - im Sinne einer Vorbildfunktion - einen gemeinsamen Umgangston einführen. Durch diese Tätigkeiten sowie durch ihre Zuständigkeit und Erreichbarkeit fördern sie Vertrauen und Verbindlichkeit sowie eine Gruppenzugehörigkeit. Dies ist in virtuellen Umgebungen besonders wichtig (IFOK 2002). Je nach Zielsetzung der Diskussion kann den Moderatoren unterschiedlich starkes Eingreifen in den Diskussionsprozess zugebilligt werden. Zu den Grundfunktionen gehören die Aufklärung von Missverständnissen, die "Übersetzung" von Beiträgen aus verschiedenen Fachsprachen oder Subkulturen und die Diskussionen zu strukturieren und zu bündeln, um den Diskussionsstrang für alle Teilnehmer präsent zu halten. Der "rote Faden" einer Diskussion ist in virtuellen deutlich schwieriger zu erhalten als in physischen face-to-face-Diskussionen. Daneben kann es auch stimulierend für die Diskussion sein, wenn Fragen an alle Teilnehmer zurückgegeben oder Themen zugespitzt werden. Zu vermeiden sind ausgeprägte Dialoge zwischen nur zwei Mitgliedern, da dies im Internet einen Workshop für die übrigen Teilnehmenden noch unattraktiver macht als in einer face-to-face-Situation (man liest ja nur seitenweise Text).

3.6     Wissensmanagement

Gerade bei technologischen Themen kommt dem Wissensmanagement eine hohe Bedeutung zu. Ein Vorteil internetgestützter Kommunikation besteht darin, dass Wissensunterschiede der Teilnehmer gezielt ausgeglichen werden können. Bei divergierenden Wissensständen können die Teilnehmer durch die zeitlich versetzte Kommunikation an beliebigen Stellen Lernschleifen einlegen, um später angemessen auf die Beiträge anderer zu reagieren. Für solche Lernschleifen sollte ein Informations- und Wissensmanagement angeboten werden, das auf Themenstellung, Teilnehmerkreis und Zielsetzung abgestimmt werden muss.

3.7     Prozessorganisation

Um die Vorteile internetgestützter Kommunikation nutzen zu können, bedarf es sorgfältig geplanter Konzepte. Die Prozessorganisation, d. h. alle strukturellen Vorgaben, müssen speziell auf Teilnehmer, Zielsetzung und Thema abgestimmt werden. Bei der Betrachtung der gegenwärtigen Diskussionspraxis in internetgestützten Diskursen kam im Laufe des Projekts zunehmend die zielgerichtete Kopplung von internetgestützten und präsenzgebundenen Verfahrensteilen und die parallele Nutzung klassischer Medien in den Blick. Zunächst stellte sich die Frage, welche Medien für welche Diskussionsaufgaben geeignet sind. Im Diskursprozess lassen sich drei Phasen unterscheiden: die Problemfindung, in der zunächst alle Aspekte eines Problems gesammelt werden, die Lösungsfindung, in der verschiedene Alternativen zur Lösung des Problems entwickelt und nach zu vereinbarenden Maßstäben bewertet werden, sowie abschließend eine Entscheidungsphase für eine der generierten Lösungswege. Die Analyse ergab, dass sich Diskurse zur Ideen- und Problemfindung im Sinne eines Brainstormings sehr gut virtuell führen lassen. Gerade wenn vielfältige Beiträge gewünscht werden, um ein möglichst breites Spektrum zu erfassen, bieten internetgestützte Verfahren Vorteile gegenüber präsenzgebundenen, da die Teilnehmer ohne großen logistischen Aufwand ihre Meinung äußern können. Diskurse zur Lösungsfindung mit dem Ziel, ein Problem zu definieren und abstimmbare Lösungsalternativen zu entwickeln, stellen ungleich höhere Anforderungen an Teilnehmer und Organisatoren. Sie erfordern ein hohes Maß an Ergebnisorientierung, d. h. in der Regel einen festen Teilnehmerkreis, der auch über längere Zeit zusammenarbeitet, ein hohes Maß an Interaktivität und die Fähigkeit zur virtuellen strukturierten Zusammenarbeit. Diese Voraussetzungen sind derzeit für ausschließlich internetgestützte Diskurse nur schwer zu erfüllen. Entscheidungsdiskurse, in denen über verschiedene Alternativen abgestimmt wird, kommen im Internet vor allem als unverbindliche Meinungsbilder zum Tragen. Hier zeigt sich eine Überlegenheit virtueller Kommunikation, da sie schnell und ohne großen Aufwand generiert werden können. Sollen jedoch legitimierte Entscheidungen getroffen werden, stellen sich gegenwärtig vor allem technische und rechtliche Hindernisse in den Weg.

Schlussfolgerungen

Der Diskurs an sich ist kein Allheilmittel für die Lösung gesellschaftlicher Probleme. Vor allem aber entsteht er nicht von selbst. Jemand muss ihn pflegen, betreuen, voranbringen, dann lässt er sich auch nutzen. Die Frage ist nur, wer ihn pflegt und wer ihn nutzt - also letztlich eine klassische ökonomische Frage von Investition und Dividende. In persönlichen Gesprächen ist uns das bewusst: wir pflegen und wir nutzen Gesprächszusammenhänge. Bei öffentlichen Diskursen können sich die Rollen trennen: Ein Initiator eröffnet einen bestimmten Diskurszusammenhang, er schafft ein Forum und pflegt die Rahmenbedingungen - und erhofft sich einen bestimmten Nutzen davon. Die Teilnehmer treten in den Diskurs ein, fühlen sich aber für die Pflege der Rahmenbedingungen nicht zuständig.

Dies gilt auch und gerade für internetgestützte Diskurse. Elektronische Kommunikation bedarf sehr viel weniger Aufwand als personale Kommunikation: Ein wenig auf der Tastatur hämmern und dann ein Mausklick, fertig ist der Beitrag zum Diskurs. Hinterher ist man dann enttäuscht über das Niveau des Diskurses. Wer virtuelle Diskurse anstößt, erwartet und verlangt meist zu viel Nutzen im Verhältnis zu der Investition, die einzugehen er dafür bereit ist. Erfolgreiche Diskurse setzen intensive und kompetente Pflege voraus, das heißt, sie müssen sorgfältig moderiert, vor- und nachbereitet und an den jeweiligen Kontext der Kommunikation angepasst werden. Umso mehr Pflege ist erforderlich, je komplexer die Sachverhalte und die politischen Kontexte sind. Beides ist für ITA-Diskurse der Fall: Die möglichen Konsequenzen von Innovationen und Technologien beschreiben ein hochkomplexes Themenfeld. Und die Bewertung dieser Konsequenzen, die erforderlichen Handlungen sind politisch in der Regel ziemlich brisant. Vor diesem Hintergrund sowie der hier erreichten Projektergebnisse, stellt sich die Professionalisierung der Online-Moderation als eine der vordringlichen Forschungsfragen für den weiteren Umgang mit internetgestützten ITA-Diskursen heraus. Dazu benötigt man eine handhabbare Architektur und Navigation, eine redaktionelle Bearbeitung und eine umsichtige Gesprächsführung, womit hier stets "technisch-organisatorische" und "menschliche" Faktoren zusammenwirken. Ansonsten sind Internet-Diskurse noch oberflächlicher als die Minuten-Statements für die Zuschauerdemokratie oder Event-Gesellschaft oder sie sind noch abgehobener als der ausschließlich output-orientierte Austausch der Experten. Die Herausforderung liegt in der Prozesskonzeption und im Management - nicht so sehr in der Technologie.

Anmerkungen 

[1] Die Darstellung der im Projekt entwickelten Modellverfahren ist im Abschlussbericht nachzulesen (siehe IFOK 2002).

Literatur

Brüntink, C., 2000:
Neukonzeption des BMBF zur Innovations- und Technikananylse und weitere Perspektiven. Vortrag im Rahmen des "ITA Gesprächskreises" des BMBF, 06./07.12.2001 bei der Akademie für Technikfolgenabschätzung.

Focus, 2002:
Internetnutzer. Wie viele Menschen sind online?
http://www.focus.de/D/DD/DD36/DD36A/dd36a.htm,
Zugriff am 15.05.2002

Gleich, A. von, 2001:
it@ partizipativ. Verfahren und Methoden der Technikanalyse und -bewertung durch Experten und Laien. Vortrag im Rahmen der 2. Denkfabrik des Projekts "Evaluation internetgestützter ITA-Diskurse", Berlin, 20.4.2001,
http://www.internetdiskurse.de.

IFOK (Institut für Organisationskommunikation) (Hrsg.), 2002:
Evaluation internetgestützter Diskurse zur Innovations- und Technikanalyse. Endbericht. (Autoren: Banthien, Henning und Herz, Jochen unter Mitarbeit von Schroer, Miriam und Wiek, Per) In Druck, zu beziehen über http://www.ifok.de.
Der Bericht sowie weiterführende Literatur liegen auch unter
http://www.internetdiskurse.de bereit.

Leggewie, C., 2001:
Thesenpapier 2. Denkfabrik. Vortrag im Rahmen der 2. Denkfabrik des Projekts "Evaluation internetgestützter ITA-Diskurse". Berlin, 20.4.2001;
http://www.internetdiskurse.de.

Märker, O., 2001:
Informationstechnik und Kommunikation. Vortrag im Rahmen der 2. Denkfabrik des Projekts "Evaluation internetgestützter ITA-Diskurse". Berlin, 20.4.2000,
http://www.internetdiskurse.de

NetValue, 2002:
Vergleich des prozentualen Anteils männlicher und weiblicher Internetnutzer (Abb. 2).
http://de.netvalue.com/presse/index_frame.htm?fichier=cp0054.htm,
Zugriff am 15.05.2002

Kontakt

Henning Felix Banthien
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Internet: http://www.ifok.de

Jochen M. Herz
IFOK - Institut für Organisationskommunikation
Berliner Ring 89, 64625 Bensheim
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