Homo Technicus - Wissenschafts- und Technikentwicklung aus Sicht der Feministischen Theorie

Schwerpunktthema - Genderforschung und Technikentwicklung

Homo Technicus

Wissenschafts- und Technikentwicklung aus Sicht der Feministischen Theorie

von Bettina-Johanna Krings, ITAS

Der folgende Artikel vertritt die These, dass die Feministische Kritik an der westlichen Wissenschafts- und Technikentwicklung ein bedeutsames Wissen für die Bewertung neuer Technologien bereitstellt. Diese These wird mit Hilfe einer historischen Darstellung der Feministischen Wissenschafts- und Technikkritik nachvollzogen. Zunächst wird der Prozess der modernen Wissenschafts- und Technikentwicklung beschrieben, aus dem sich die theoretischen Grundlagen der Feministischen Kritik konstituierten. Im Anschluss wird dieser Diskurs auf die neuen Technologien angewendet, wobei gezeigt werden soll, dass sich hier die Schwerpunkte des Diskurses verlagert haben, ohne dass das originäre Anliegen der Feministischen Theorie aufgegeben wird.

1     Einleitung

Vor einigen Wochen wurde im Rahmen des Institutskolloquiums des ITAS ein Vortrag über Robotertechnologien gehalten. [1] Der Referent, ein Physiker, präsentierte die zentralen Probleme einer Technikfolgenabschätzung (TA) von Robotertechnologien. Diese wurden am Beispiel von "care-robot" vorgestellt, einem Roboter, der in der Lage ist, hilfsbedürftige Menschen zu füttern oder zu betten. Die Frage nach der Problemorientierung für den Einsatz dieser Technologie lag für den Expertenkreis dieser Studie weitgehend auf der Hand: der "care robot", der derzeit in Japan und den USA versuchsweise in der Altenpflege eingesetzt wird, könnte im Hinblick auf die Überalterung von westlichen Gesellschaften, bzw. der explodierenden Kosten der Altenversorgung zu einer wichtigen Technologie zukünftiger Gesellschaften werden. Zeitraubende und teure Tätigkeiten in der Altenpflege könnten von Computertechnologien übernommen werden.

Als zentrales Problem der TA hat sich, nach Angabe des Referenten, die juristische Dimension dieser Technologie ergeben. Im möglichen Falle einer Schadensforderung konnte bisher noch nicht geklärt werden, mittels welcher juristischen Kategorie "care robot" behandelt werden kann. Diskutiert wurden die Kategorien "Automat", "Sklave" oder "Mensch". Alle drei erschienen offensichtlich als unzulänglich und höchst problematisch.

Auf Anfrage nach der sozialen Akzeptanz von "care robot" wurden wir darüber informiert, dass Studien eine hohe soziale Akzeptanz ergeben hätten. Der unpersönliche Kontakt mit der Technologie, beispielsweise beim Füttern, vermeide Gefühle der Scham oder Unsicherheit auf Seiten der bedürftigen Menschen, wenn sie kleckern oder mehr Zeit in Anspruch nehmen als üblich.

Ohne im einzelnen auf die sehr lebhafte Reaktion auf diese Studie einzugehen, kann an dem Beispiel des "care robot" verdeutlicht werden, dass das abendländische "Projekt Technik" (Scheich 1996) eine historisch neue Qualität erreicht hat. Die Schwierigkeit, ein Koordinatensystem zu finden, um diese Technologie zu bewerten, weist auf die Tatsache, dass hier neue soziale und gesellschaftliche Dimensionen berührt werden. Beispielsweise zeigt die Diskussion im Hinblick auf die Robotertechnologien, dass hier eine technische Realität geschaffen wird, in der sich die Grenzen zwischen dem Natürlichen und Künstlichen, Subjekt und Objekt, Maschine und organischem Körper zusehends mehr auflösen. Diese Aussage kann ebenfalls für die reproduktiven Technologien sowie die Informationstechnologien gemacht werden.

Die Feministische Theorie als wissenschaftlicher Diskurs hat diesen Tatbestand zum Gegenstand ihrer Forschung gemacht.

Ausgehend von den Faktizitäten der Diskriminierung von Frauen und deren Lebenskontexten [2] hat sie ihre eigene kritische Lesart der Wissenschafts- und Technikentwicklung [3] von modernen Gesellschaften sowie ihr eigenes theoretisches Bezugssystem entwickelt. Dieser Diskurs hat sich Anfang der 80er Jahren vor allem in den USA als Reaktion auf die Radical Science-Bewegung entwickelt. Die Ausblendung der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse im Rahmen dieser neuen sozialwissenschaftlichen Perspektive auf die Naturwissenschaften führte zu einer feministische Kritik an der Wissenschafts- und Technikentwicklung in der Moderne (Harding 1994, 1999). Diese Kritik hatte einen sehr großen Einfluss auf den deutschen Diskurs feministischer Technikkritik. [4]

Dieser Diskurs, der teilweise sehr kontrovers geführt wurde, hat in den letzten zwei Jahrzehnten ein Wissen begründet, welches - und das ist die These der nachfolgenden Ausführungen - besonders für die gesellschaftliche Bewertung der neuesten Technikentwicklungen (Künstliche Intelligenz, Reproduktionstechnologien, Informationstechnologien) von großer Bedeutung sein könnte. Der spezifische Blickwinkel auf die Geschlechterasymmetrien, bzw. die Grenzziehungen zwischen Natur - Kultur, Mensch - Maschine, Frau - Mann u. a., die die Konstituierung der Moderne charakterisiert, hat eine spezifisch weibliche Erfahrung begründet. Auch wenn diese Erfahrung nicht als "besser" oder "vollständiger" gewertet werden kann, so liegt ein wesentlicher Unterschied in den Eingriffen und Verlusten, "die auf den weiblichen Körper, auf die körperliche Differenz zielen" (Scheich 1996, S. 14).

Die Feministische Theorie hat diese Eingriffe und Verluste im Hinblick auf weibliche Seinsformen zum Fokus ihrer Problemanalyse sowie der Bewertung des sozialen Wandels gemacht und die gesellschaftlichen Zusammenhänge daran gespiegelt. Aus dieser Sichtweise entstand eine spezifische Kritik an den Grundlagen der moderner Wissenschafts- und Technologieentwicklung, die sich an der Frage nach den Herrschaftsverhältnissen orientiert. Diese Frage umfasst Themen wie beispielsweise die historische Darstellung der sozialen Reproduktion von Gesellschaften, die Analyse der Strukturen des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses oder etwa die Auswirkung des wissenschaftlich-technologischen Prozesses auf die Organisation der Geschlechter (Becker-Schmidt und Knapp 1995, 2000).

Die normative Dimension der Feministischen Theorie und Praxis, nämlich Theorie am Leitfaden des Interesses an der Befreiung der Frau zu entwickeln, hat sich als Theorie der Freiheit mit einer Reihe von Begriffen auseinanderzusetzen. Hier können Begriffe wie "Handlung", "Macht", "Politik" und "Geschichte" genannt werden (Nagl-Docekal 2001, S. 23). Die intensive Auseinandersetzung mit diesen Begriffen hat im Laufe der Theorieentwicklung dazu geführt, den Fokus der Betrachtung weniger auf die Differenz zwischen den Geschlechtern, als vielmehr auf die Anerkennung der Differenz von Frauen zu lenken. Da ein "Metasubjekt: Frau" (Knapp und Wetterer 2001) nicht hergestellt werden kann, muss der Problemhorizont der Frauen immer wieder differenziert, konkretisiert, relativiert und neu bestimmt werden. Auf diese Weise befindet sich die Feministische Theorie in einem dauernden Spannungsverhältnis zwischen normativer Kritik und selbstkritischer Reflexivität (Knapp und Wetterer 2001). [5]

Im Folgenden wird die Feministische Kritik an der Wissenschafts- und Technikentwicklung nachgezeichnet, wobei der Schwerpunkt auf der jüngeren Theorieentwicklung liegt, die sich auf die historisch neue Qualität der Wissenschafts- und Technikentwicklung bezieht. Diese neue Qualität wird der Beobachtung der sozialen und gesellschaftlichen Folgen dieser Technologien zugrunde gelegt. Diese Folgen sind jedoch in die Kontinuität des historischen Verlaufs der wissenschaftlich-technischen Entwicklung eingebettet. Diese zeichnet sich insgesamt durch den Trend aus, alles was technisch möglich ist, den Menschen, dem Lebendigen zuzumuten. Dies wird derzeit besonders in den Techniken zur künstlichen generativen Reproduktion deutlich.

Im ersten Teil der nachfolgenden Ausführungen werden die Grundzüge der Feministischen Theorieentwicklung in der Moderne nachgezeichnet. Im zweiten Teil wird die Debatte im Rahmen der jüngeren Technikentwicklung vorgestellt, die sich seit Anfang der 90er Jahre in Deutschland konstituiert und spezifische erkenntnistheoretische Prämissen entwickelt hat. Der dritte Teil stellt einen Ausblick dar.

2     Die Herrschaft über die Natur

Carolyn Merchant beschreibt den Übergang der traditionellen Gesellschaften zur Moderne als die Ablösung des organischen durch das mechanische Weltbild, was den Erfolg der wissenschaftlich-technischen Naturbeherrschung begründete. [6] Als "Vater der modernen Naturwissenschaft" wird Francis Bacon (1561-1621) genannt, der ein wissenschaftliches Programm entwickelte, dessen Ziel die Beherrschung der Natur zum Wohle des Menschen war. Er stand als Begründer der induktiven Methode, als Philosoph sowie als spiritus rector der Royal Society of London in Kontakt mit den wichtigsten Strömungen seiner Zeit und wandte sich entschieden gegen die mittelalterliche Auflage des Klerus, die göttlichen Geheimnisse der Natur auszukundschaften. Durch die wissenschaftliche Herangehensweise in Verbindung mit mechanischer Technik schuf Bacon ein neues Instrumentarium, das Erkenntnis mit materieller Macht vereinigte. Er begründete mit Unterstützung der Royal Society sowie der Academia del Cimento in Florenz das moderne Labor, in dem Mäuse, Ratten und Pflanzen erstmalig aus ihrem natürlichen Zustand heraus in Apparate und mechanische Vorrichtungen gesperrt wurden. [7]

Sein Ziel war, sich "immer tiefer in den Schacht der Naturerkenntnis graben", um die verlorene Herrschaft über die Natur zurückzugewinnen (Merchant 1987, S. 180). [8] Die Philosophie Bacons vertrug sich außerordentlich gut mit der im 17. Jahrhundert aufkommenden mechanistischen Naturphilosophie, welche die Natur in atomare Teile zerlegt und neu ordnet. Das Grundprinzip der Ordnung ging hierbei von der Beobachtung aus, dass der organische Kosmos langsam zerfalle. Diese Vorstellung spiegelte den Zusammenbruch der Ordnung in Gesellschaft, Religion und Kosmologie wieder, der um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert zu einer geistigen Unsicherheit und sozialen Unruhen führte. Gesucht wurde nun ein rationales Gegengewicht, das neue Formen der gesellschaftlichen Ordnung einführte. Die Maschine wurde Mitte des 17. Jahrhunderts zur Metapher für dieses neue Ordnungsprinzip, "das animistische und organische Annahmen über den Kosmos endgültig verdrängte" (Merchant 1987, S. 193).

Merchant u. a. zeigen in ihren Arbeiten, dass die aufkommende mechanische Weltanschauung auf Annahmen über die Natur basierte, die sich an der Gewissheit physikalischer Gesetze sowie der symbolischen Kraft der Maschinen orientierten. Obgleich auch alternative philosophische Konzepte zur Verfügung standen, entwickelten sich die Werte und Konzepte der europäischen Kultur mit einem grundlegenden Charakteristikum der Maschine: die Natur zu beherrschen und zu kontrollieren. [9]

Für dieses Vorgehen waren folgende Voraussetzungen über die Struktur des Seins, der Erkenntnis und der Methode notwendig (Merchant 1987, S. 232 ff):

Diese fünf Punkte begründeten ein wissenschaftlich-technisches Programm, das in seinen Auswirkungen und seinem Zusammenspiel einen ungeahnten gesellschaftlichen Paradigmenwechsel einleitete. Alle fünf Voraussetzungen wurden in ihren kulturellen Auswirkungen sowohl für die Entwicklung der westlichen Industriegesellschaften als auch für deren geistige Grundlage zentral. Hierbei beruhte die Beherrschung der Natur auf zwei Vorstellungen: zum einen auf der Idee des Menschen als Operator, was den Faktor der Macht betont; zum anderen auf der Idee des Menschen als Verwalter, was das Bedürfnis nach Ordnung und Rationalität als Kriterien für Fortschritt und Effizienz betont. Die Feministische Theorie hat in der historischen Darstellung der Wissenschafts- und Technikentwicklung aufgezeigt, dass der durchschlagende Erfolg dieses neuen Weltbildes eng mit den gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen verbunden ist. Indem die Frauen der Sphäre der Natur zugeordnet wurden, wurden diese dem gleichen Kontroll- und Unterdrückungsmechanismus unterworfen wie die Natur selbst (Honegger 1978, 1991, Harding 1999). [10]

Ohne hier erneut die allseits bekannten Zitate von namhaften Wissenschaftlern über die "Naturhaftigkeit" oder das "Wesen der Frau" im Laufe der Wissenschaftsgeschichte zu wiederholen, kann als ein grundlegendes Ergebnis der feministischen Wissenschaftskritik festgehalten werden, dass sich die Wissenschaft gerade über die Geschlechterdifferenz als "moralische und politische Ressource" (Harding 1999, S. 118) konstituiert hat. Dieses Motiv kann bis in die Antike zurückverfolgt werden. Die ideologische Abgrenzung von den Frauen sowie die Abwertung von Frauen konnte für die Durchsetzung des eigenen Erfolgs der Wissenschaft genutzt werden. Dies führte zum konsequenten Ausschluss von Frauen aus dem wissenschaftlich-technischen Prozess, was teilweise zu erbitterten sozialen Auseinandersetzungen führte. Die Geschichte der Gynäkologie und Geburtshilfe Ende des 19. Jahrhunderts zeigt sehr eindrucksvoll, wie sich hier nochmals das rational wissenschaftliche Weltbild gegen einen der letzten weiblichen Kulturbereiche durchsetzte (Honegger 1991, Laqueur 1992). Erst die Entwicklung des Bürgertums mit seinen Gleichheitspostulaten schaffte für Frauen den politischen Boden, um ideologische Zuschreibungen abzuwehren.

Die erste Phase feministischer Wissenschaftskritik richtete sich in ihrer Kernstruktur auf das neuzeitliche wissenschaftliche Wissen und das ihr zugrunde liegende Konzept von Rationalität. In einer fortlaufenden Diskussion wurden dieser Begriff selbst sowie die Kriterien "Objektivität" und "Universalität" von wissenschaftlicher Erkenntnis in Frage gestellt. Die (künstliche) Trennung der Wissenschaft vom Alltag, von Körperlichkeit, von Emotionalität und von der Natur wurde als androzentrisches Merkmal kritisiert (Gerhard 1978).

Die Argumentationsstrategie zeigte Ähnlichkeit zur konstruktivistisch orientierten Wissenschaftsforschung, die betont, dass Wissenserzeugung niemals nur ein deskriptiver, sondern auch ein konstruktiver Prozess sei. Demnach ist Wissenserzeugung immer kontextgebunden: Wissenschaftlich erzeugtes Wissen ist das Produkt von Menschen mit spezifischen Interessen in einer spezifischen historischen und kulturellen Situation (Aulenbacher und Siegel 1995). Darüber hinaus ist die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes nicht beliebig, sondern mit bestimmten Problemstellungen und einem spezifischen Erkenntnisinteresse verbunden, hinter denen Werte und Ideen stehen (Knorr-Cetina 1984). Diese Kritik verwies sehr stark auf die Tatsache, dass nahezu ausschließlich Männer die erkennenden Subjekte in der Wissenschafts- und Technikentwicklung waren und sind und über deren Inhalte entscheiden. Diese Prämissen haben, trotz vielschichtiger Nuancierungen, bis heute ihre Aktualität nicht eingebüßt und wurden in unterschiedlichsten Forschungsfeldern empirisch aufgearbeitet.

Inhaltliche Verschiebungen entstanden in der Frage nach der Rolle der Frauen im Wissenschaftsprozess. Nachdem Evelyn Fox Keller noch in den 80er Jahren die Idee einer "better science" (Keller 1986) vertrat, wenn Frauen der Zugang zu wissenschaftlichen Einrichtungen eröffnet würde, so wurde diese Vorstellung radikal demontiert (Wacjman 1994 u. a.). Die Kritik daran betraf zunächst den Entstehungskontext von Wissen. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung der Moderne hatte zwar zu unterschiedlichen Erfahrungen, Lebenskontexten und Problemlagen von Frauen geführt, diese "Andersartigkeit" könne jedoch nicht als Utopie einer wissenschaftlichen Entwicklung gelten. Sie wird ebenfalls als ein Ergebnis kultureller Konstruktionsprozesse betrachtet, die sich im Rahmen der gesellschaftlichen Entwicklung vollziehen (Seifert 1992). Dasselbe gilt für den Begriff der "Rationalität", der in der Kritik an der Trennung von Rationalität und Emotionalität/Körperlichkeit überzeugend nachvollzogen wurde. Die Feministische Theorie hat ihn inzwischen als vielschichtigen Begriff ausgewiesen, da er einerseits gleichermaßen Herrschafts- und Befreiungsinstrument darstellt und andererseits sehr vielseitige Vorstellungen von Rationalität existieren können (Seifert 1992, Aulenbacher und Siegel 1995).

Diese interdisziplinär geführten Debatten erhielten in Deutschland Mitte der 90er Jahre eine gewisse Aktualität, da im Zuge neuerer technologischer Entwicklungen die überkommenen Grenzziehungen von Natur und Kultur, Mensch und Maschine aufgebrochen wurden.

3     Die Herrschaft über den Leib

Die neuen Erkenntnisse der Informationstechnologie, Gentechnologie, Nanotechnologie oder Künstlichen Intelligenz vereinigt der Traum vom "postbiologischen Zeitalter" (Becker-Schmidt 1996, S. 337). Der Übergang vom mechanischen zum biologischen Grundprinzip innerhalb der Wissenschaften kann als der Sprung in ein neues technisches Zeitalter gelten. 

    "Eine mechanische Logik - die Mechanik des Technos - erzeugt nur einfache Geräte. Wirklich komplexe Systeme, wie etwa eine Zelle, eine Wiese, eine Volkswirtschaft oder ein Gehirn, bedürfen einer streng nichttechnologischen Logik. Wir erkennen jetzt, dass keine Logik außer der Bio-Logik eine denkende Apparatur oder gar funktionierende Systeme von jedweder Größe kreieren kann. Die Natur hat dem Menschen fortwährend ihr Fleisch überlassen. Erst nahmen wir Naturstoffe für Nahrung, Kleidung und Schutz. Dann lernten wir Rohstoffe aus der Biosphäre der Natur abzubauen, um eigene, neue synthetische Materialien zu erzeugen. Nun gibt das Lebendige uns sein Bewusstsein. Wir übernehmen seine Logik" (Kevon Kelly, zitiert in Becker-Schmidt 1999, S. 337).

In diesem Zitat wird der Bedeutungswandel der gesellschaftlichen Naturkonzepte sichtbar: Mit der Wende von der organischen zur synthetischen (künstlich-technischen) Biologie und dem Übergang von der synthetischen Chemie zur Biochemie formiert sich die Vorstellung einer biokybernetischen Machbarkeit des Lebens (Schultz 1996). Dieser Übergang vollzieht sich von der reduktionistischen Vorstellung, dass das Gen die grundlegende Einheit des Lebens sei, zu der Vorstellung des komplexen Organismus als Grundlage des Lebens. Stützte sich das Wissen über die Funktion von Genen auf Metaphern wie Information, Code und Befehl, so werden in der aktuellen Diskussion die weiterentwickelten Konzepte der Systemtheorie verwendet. Diese bedienen sich der Metaphern wie Netzwerke, Kommunikation, Koordination sowie Funktionalität im Rahmen der Organismen.

Modell des Organismus ist der Computer, eine Maschine zur Verarbeitung, Umwandlung und Erzeugung von Informationen. Maschine und Organismus werden in der systemanalytischen Herangehensweise einander angeglichen, mit Hilfe von Codes formalisiert und austauschbar. Vor allem die Information zur Erzeugung von Organismen unterliegt diesem Prinzip. Information und Körper sind durch technische Standardisierung dasselbe geworden. Gene werden zu Codes formalisiert und der Idee der Schöpfung unterworfen (Scheich 1993, 1996, List 1996, Becker-Schmidt 1999).

Diese Entwicklungen zeigen, dass sich diejenigen Grenzen langsam auflösen, die in der Moderne für essentiell gehalten wurden: die Grenze zwischen Mensch und Tier, zwischen Maschine und Organismus, zwischen Materiellem und Immateriellem. Ähnliches gilt für Raum und Zeit, wo beispielsweise durch die Informationstechnologien ein Raum, der Cyberspace, entsteht, der die Grenze zwischen Subjekt und Objekt, Mann und Frau zunehmend auflöst.

In den USA wird diese Entwicklung seit Mitte der 80er Jahre beobachtet. Als Auftakt einer leidenschaftlich geführten Debatte kann das "Cyborg-Manifest" der US-amerikanischen Biologin und Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway gelten (Haraway 1995). Dieses Manifest schrieb sie bewusst gegen die technikkritischen Strömungen der Frauenbewegung, besonders im Rahmen der Reproduktionstechnologien.

"We all are Cyborgs" meint Haraway, Zwitterwesen aus Maschine und Organismus (Braun 1998, S. 153). Diese Zwitterwesen denkt sie zunächst als eine Imagination, als die reelle Auflösung des Denkens in Dualismen, wie sie sich in der westlichen Zivilisation herausgebildet hat. Gleichzeitig versteht sie die neuen Technologien als eine Radikalisierung des wissenschaftlich-technischen Prozesses, der weitere Zerstörungen und Entfremdungen zur Folge hat. Eine besondere Rolle in diesem Prozess spielen die Informations- und Reproduktionstechnologien, da diese Technologien die Welt in ein Codierungssystem übersetzen. Alles wird Text: codierbar, lesbar und beschreibbar (Haraway 1995, S. 51). Sie ruft jedoch die Frauen auf, dem Zusammenbruch der Dichotomien keine Träne nachzuweinen, da sich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung sowie die Abwertung der Frau historisch nach diesem Muster gebildet hat. Ihr Manifest fordert die Frauen auf, sich an einer verantwortungsvollen Neugestaltung der technischen Entwicklung zu beteiligen (Braun 1998).

Das Cyborg-Manifest und seine Rezeption im angelsächsischen Raum hatten einen großen Einfluss auf die deutsche Feministische Wissenschafts- und Technikkritik. Übereinstimmungen existieren in der Analyse der jüngsten Wissenschafts- und Technikentwicklung sowie deren Konsequenzen für die Gesellschaft und das Individuum. So wird auch hier zum einen eine neue Qualität der Technikentwicklung diagnostiziert, da es zu einer Verschmelzung der natürlichen und technischen Sphäre kommt, die traditionelle Grenzziehungen auflöst. Die Evolution setzt sich ins Technische, "in den Bio-Logos fort" (Scheich 1996, S. 28). Zum anderen existiert Übereinstimmung in der gesellschaftlich-politischen Dimension von Technikentwicklung, die mit Hilfe von Rhetorik und Sprache umgesetzt wird. [11] Beispielsweise können die Informationsnetzwerke als machtvolle Technologien betrachtet werden, die materiell das hervorbringen, was unbekümmert "globale Kultur" oder "globales Dorf" genannt wird. Gen, chip, Fötus, Datenbank und Samen sind Metaphern für das, was als lokales Wissen in die neuen Weltordnungen eingespeist wird (Haraway 1996). Die neue Art, über die Welt und das Leben zu sprechen, entspricht der effektiven Herstellung biologischer, technologischer und sozialer Überlagerungen. Diese erhalten einen globalen und transnationalen Charakter.

Inhaltliche Differenzen existieren in der Bewertung dieser Technikentwicklung, bzw. in der Frage, inwieweit sich nun die Voraussetzungen für die Geschlechterdifferenz verändern. Wenn sich die Dichotomien der Moderne wie beispielsweise Natur - Kultur oder Organismus - Maschine auflösen, was bedeutet dies für die Frauen? Wer repräsentiert dann "das Ausgegrenzte", die Andersartigkeit im bio-logischen Zeitalter?

In Deutschland hat sich im Rahmen der Feministischen Theorieentwicklung eine Abgrenzung zum dekonstruktivistischen Ansatz Haraways [12] entwickelt. Wie auch ausländische Beobachterinnen schon bemerkt haben, hat die deutsche Diskussion eine ausgeprägte sozialhistorische Ausrichtung (Knapp 1996, 1998, Becker-Schmidt und Knapp 2000). Die Bewertung der neuen Technologien wird vor allem in Bezugnahme auf die ältere Kritische Theorie vorgenommen. Die besondere Bedeutung liegt hierbei darin, dass die Tradition der Aufklärung nicht aufgegeben wird. So bewegt sich die Feministische Theorie zwischen radikaler Fortschrittsskepsis und emanzipatorischem Beharren auf Abschaffung von Herrschaft im Geschlechterverhältnis, zwischen Rationalitätskritik und dem Interesse an vernünftigen gesellschaftlichen Verhältnissen, zwischen Theorie und Praxis, Wissenschaft und Politik (Knapp 1996, Schultz 1996, Klinger 1998). Hierbei ist die Feministische Theorie auf eine gegenwartsbezogene und empirisch orientierte Gesellschaftsanalyse angewiesen. Die Widersprüchlichkeit und Pluralität der gesellschaftlichen Einbindung von Frauen führt zu einem unorthodoxen Verhalten in Bezug auf die unterschiedlichen Richtungen. So weist sie sich als keine einheitliche Forschungsrichtung aus, sondern speist sich aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Disziplinen und theoretischer Strömungen, was vor allem in der Bewertung von Technologien zu einem ganzheitlichen Ansatz sowie zu methodischen Erfahrungen geführt hat (Krings 2001). [13]

Die Kritik im Hinblick auf die aktuelle Wissenschafts- und Technikentwicklung kreist insgesamt sehr stark um den Begriff der "technischen Vergesellschaftung" (Scheich 1993), was den instrumentellen Charakter der Technikentwicklung in den Vordergrund rückt. Die Thesen, die hier diskutiert werden, können wie folgt zusammengefasst werden (vgl. Becker-Schmidt 1999, Scheich 1996): 

Diese Thesen richten sich radikal gegen die Ansätze des "anything goes" der modernen Wissenschaften. Übereinstimmung herrscht im Rahmen dieses Diskurses in der Forderung nach der Kontextualisierung der technologischen Entwicklung. Das Nachdenken, bzw. die Reflexion über die Wissenschafts- und Technikentwicklung sollte dringender denn je in die historische und soziale Entwicklung der Gesellschaften eingebunden werden. Denn genau hier sehen die Autorinnen einen enormen Widerspruch zu dem aktuellen Ausmaß der Verstrickung und Verknüpfung technischer, sozialer und gesellschaftlicher Erfahrungsräume. Diese Verstrickungen führen zu einem "wissenschaftlich-technologischen Sachzwang" (Becker-Schmidt 1999), der politische und wirtschaftliche Interessen verschleiert. Der parallel dazu verlaufende wissenschaftliche Diskurs des bio-logischen Zeitalters hat seine Eindeutigkeit und seine normativen Inhalte aufgegeben und sich in der Relativität von Wissensdiskursen, Expertisen, Erkenntnissen und Körpern verloren. Die Feministische Theorie richtet sich hier gegen die "unmarkierte Subjektposition" (Scheich 1996) der wissenschaftlich-technologischen Entwicklung. Dieses Motiv ist nicht neu, sondern knüpft in verschärfter Weise an die Kritik an der Moderne an, wobei der Fokus der Kritik verlagert wurde.

Wird nun die alte Frage der Feministischen Theorie wieder gestellt, welches die Eingriffe in den und die Verluste des weiblichen Seinszustandes angesichts der neuen Technologien sind, so kreist die Antwort um den Verlust der Leiblichkeit [14] . Dieser Verlust wird in vielerlei Facetten beschrieben und bezeichnet den Verlust der subjektiven inneren Wahrnehmung angesichts der zunehmenden Standardisierung der äußeren Welt.

Nicht der Norm zu entsprechen, schafft einen marginalisierten Standort. Die konstruktive Auseinandersetzung mit dieser Abweichung mündet letztlich in die zentrale Frage cui bono, wem zum Vorteil? (Haraway 1996, Bock 1988). Wer entspricht dem Maßstab, den diese neue technologische Welt verkörpert? Diese Frage beinhaltet für das Individuum immer, sich zwischen den Kategorien "Außenwelt" und "Innenwelt" aufzuhalten, aber dennoch in Beziehung zu beiden Welten zu bleiben. Die sensible Wahrnehmung des eigenen Standpunktes, die Suche nach dem eigenen Empfinden innerhalb der technisch geprägten Welt, wird zum unumgänglichen Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit ihr. [15] Die Kultur der Subjektivität wird auf diese Weise ein konstitutiver Bestandteil der wissenschaftlich-technologischen Praxis.

Das ursprüngliche Ziel sowie die Intention der Feministische Theorie wird angesichts dieser neuen Formen der subjektiven Auseinandersetzung mit den neuen Technologien nicht aufgegeben. Es geht darum, die Erlebniswelt derer zu benennen, die an den technologischen Entwicklungen entweder nicht teilnehmen oder die den Maßstäben des neuen technologischen Zeitalters nicht gerecht werden können. Das Konzept des "multiplen Subjekts" (Harding/ Haraway) ist in der Feministischen Theorie eine zentrale wissenschaftliche Komponente geworden. Erkenntnisse entstehen in diesem Sinne in der Anerkennung des Gegenüber. Die Theorie der Anerkennung der Differenz betrachtet grundsätzlich das eigene Wissen wie das Wissen der "Anderen" als begrenzt und situiert. Das "situierte Wissen" (Donna Haraway) wird zur Grundlage des Erkenntnisinteresses der Feministischen Theorie, was die Würdigung unterschiedlichster Erfahrungswelten mit einschließt. Auf diese Weise wird nicht Universalität, sondern Partialität die Bedingung für rationales Denken und Handeln. Dieser Anspruch setzt eine hohe Sensibilität für kulturelle Vielfalt und Verantwortung voraus (Scheich 1996, Schultz 1996).

4     Feministische Theorie als Ort der Erinnerung, der Reflexion und des Innehaltens [16]

Der Psychoanalytiker Erich Fromm äußerte angesichts der Auffassung, dass Maschinen konstruiert werden, die sich im Denken, Fühlen und anderen Funktionen nicht von Menschen unterscheiden, den Verdacht, dass "die Anziehungskraft der Vorstellung eines Computermenschen häufig Ausdruck einer Flucht vor dem Leben ist - aus der humanen Erfahrung in die mechanische und rein intellektuelle" (Fromm 1974 zitiert in Krell 1986, S. 152).

Der Begriff der "Intellektualisierung der Natur" (Becker-Schmidt 1999) als eine kritische Beschreibung der technologischen Entwicklung nimmt nahezu dreißig Jahre später einen zentralen Stellenwert in der Feministischen Wissenschafts- und Technikanalyse ein. Vor der Frage, welche Bedeutung die o. g. Thesen für das weibliche Geschlecht haben, stimmen die Autorinnen darin überein, dass aufgrund des gesellschaftlichen Wandels eine Verschiebung des Verhältnisses Kultur - Natur stattfindet. Die hochkomplexe, technisierte Wissensgesellschaft braucht für ihre Existenz sowie ihre Erhaltung den flexiblen, im hohen Maße anpassungsfähigen, "entgrenzten" Menschen. Dieser Mensch entwickelt sich in westlichen Gesellschaften zum leistungsorientierten Menschen, der die verbleibenden Spannungen der Gegensätze in sich auszubalancieren versteht.

Angesichts der Abwertung von Frauen im Laufe der historischen Entwicklung offeriert dieses Modell für einen Teil der Frauen sehr attraktive berufliche Integrations- und Entfaltungsmöglichkeiten. Die Chancen, mit Hilfe des wissenschaftlich-technologischen Wandels die festgelegten Rollenzuschreibungen aufzubrechen, wird vor allem von der jüngeren Frauengeneration als wichtige Möglichkeit begrüßt, eigene Gestaltungsräume zu eröffnen.

Die "Dekonstruktion" weiblicher Rollenzuschreibungen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen wird als theoretischer Ansatz auch in Deutschland vertreten. Die Möglichkeiten neuer Lebensentwürfe sowie strukturelle Hindernisse und Hemmnisse, die sich in der Lebenspraxis von Frauen teilweise hartnäckig halten, werden empirisch sehr vielfältig und auf unterschiedlichen theoretischen Ebenen aufgearbeitet (vgl. Heintz 2001). Hier haben sich unterschiedliche Forschungsfelder mit einer Vielzahl von Theorien mittlerer Reichweite herausgebildet. Es entstand hier ein Wissen, das für die Vielfalt und Kontinuität der Herrschaftsstrukturen sensibilisiert hat und die Suche nach kausalen Begründungen verstärkt.

Auf der metatheoretischen Ebene formiert sich die Feministische Theorie seit einigen Jahren zu einer Gesellschaftstheorie, die angesichts der jüngsten Entwicklungen des Wissenschafts- und Technikverlaufs eindeutig Position bezieht. Sie stützt sich hierbei auf die Rezeption der älteren Kritischen Theorie sowie auf die Erkenntnisse, die sie seit Jahrzehnten entwickelt und aufgebaut hat. Dieses Wissen wurde in einem andauernden Prozess der Revision durch die Praxis unterzogen. Sie versteht sich selbst als ein Diskurs, der sich der Kritik an Herrschaftsverhältnissen verpflichtet hat. Die Feministische Theorie hat vor dem Hintergrund ihres normativen Ansatzes, eine Theorie der Freiheit zu entwerfen, an alte Fragen angeknüpft und neue Fragen aufgeworfen. Im Rahmen der aktuellen Wissenschafts- und Technikkritik sind zwei zentrale Themenfelder entstanden: eine Natur, die immer mehr zur Technik wird und ein Subjekt, dessen Identität und Grenzen nach außen immer mehr verschwimmen.

Auf gesellschaftstheoretischer Ebene weist der Wissenschafts- und Technikverlauf aus Sicht der Feministischen Theorie eine neue Qualität der Entwertung des weiblichen Geschlechts auf. Das weibliche Geschlecht, das in der Moderne für die kreatürliche Seite von Leben und Sterben, Geburt und Tod stand, "gehört nun zu dem, was im Auftrag der technologischen Evolution abgeschafft werden soll. Kultur wird in Technologie überführt" (Becker-Schmidt 1999, S. 340; 1999, Scheich 1993, 1996, Ritter 1999). Die reproduktiven Technologien stehen in besonderem Maße für diese Vorstellung. Die Dominanz des Künstlichen bewirkt in hohem Maße eine Herabsetzung der Kultur und der Natur als Ausdruck des Körpers und seiner Begrenztheit. In der Verneinung des Menschen als Körper-, Sinnes- und Gefühlswesen werden die Frauen doppelt entwertet. [17]

Diese Aussagen gelten als theoretische Orientierung, die in ihrem Ansatz offen, sensibel und Ausgangspunkt weiterer wissenschaftlicher Ausdifferenzierungen sein soll. Die zentrale Frage zur Bearbeitung des Spannungsfeldes zwischen Subjekt und Objekt, den Grenzen zwischen dem Technischen und dem Menschlichen mündet letztlich in die Frage des cui bono. Eine Frage, die angesichts der Machbarkeit von Effizienz in allen Lebensbereichen wichtig geworden ist. Diese Frage lässt in westlichen Gesellschaften die Differenz zwischen den Geschlechtern als die zentrale Bezugsgröße verschwinden. Gleichzeitig entstehen die unterschiedlichsten Bilder von Weiblichkeit, was den Ansatz einer Theorie der Anerkennung der Differenz verstärkt. Diesem Ansatz kommt besonders durch die Globalität der Technologieentwicklung eine große Bedeutsamkeit zu.

Ohne Zweifel wird die Geschlechterdifferenz von den aktuellen technologischen Entwicklungen berührt und muss sowohl aus der Perspektive der Individuen als auch aus der Perspektive der Sozialstrukturen neue Ansätze finden. Um ihrem originären normativen Anspruch gerecht zu werden, muss sich Feministische Theorie weiterhin in dem Spannungsfeld von Theorie und Praxis, Technik und Politik, Kontext und Wissenschaft bewegen. Das Ziel dieses mühevollen Balanceaktes ist nach wie vor an die Idee der Vermittlung von Vernunft und Sinnlichkeit, Natur und Kultur geknüpft und zwar in der Weise, dass die Befriedigung der sinnlichen Bedürfnisse der Menschen nicht mehr allein Sache der subjektiven Vernunft ist, sondern auch der vernünftigen Gestaltung der Gesellschaft obliegt. Dieser Anspruch wird momentan lediglich in der Kunst eingelöst.

Anmerkungen 

[1] Vgl. den Beitrag von M. Decker in diesem Heft, S. 107 ff.

[2] Die philosophische Auseinandersetzung mit dem Begriff der Diskriminierung sowie das dialektische Wechselverhältnis zwischen Feministischer Theorie und Frauenbewegung hat gezeigt, dass die Erörterung von Ungerechtigkeiten nicht allein Sache der jeweils Betroffenen ist. Gerade die aktuelle Diskussion der Frauenforschung in Deutschland zeigt, dass es nicht nur um die Auseinandersetzung mit explizit frauenfeindlichen Theoremen, sondern auch und vor allem darum geht, androzentrische Denkmuster kenntlich zu machen, die sich wegen ihres inexpliziten Charakters als besonders folgenreich erwiesen haben (Nagl-Docekal 2001, S. 14).

[3] Wissenschafts- und Technologieentwicklung wird in den folgenden Ausführungen zusammengedacht, wobei die Betonung im Rahmen der Wissenschaftsentwicklung auf den erkenntnistheoretischen Aspekten, im Rahmen der Technologieentwicklung auf den soziokulturellen Aspekten liegt (vgl. Ritter 1999).

[4] Im Kontext der vielfältigen Debatten haben sich länderspezifische Theorietraditionen herausgebildet, die hier im Einzelnen nicht vorgestellt werden können. So haben beispielsweise die Theorien der belgisch-französischen Philosophin Luce Irigaray über sexuelle Differenz ein starkes Echo in Frankreich, Italien, den Niederlanden sowie Österreich gefunden und zu spezifischen Konstellationen von politischer Bewegung, Frauenkultur und Erkenntnistheorie geführt (vgl. Becker-Schmidt und Knapp 2000, Nagl-Docekal 2001).

[5] Die Diskussionen zur Konstituierung einer Theorie weiblicher Freiheit füllen vor allem in den USA ganze Bibliotheken. Als entscheidend fü die theoretische Weiterentwicklung und den Übergang von einer Theorie der Differenz zwischen Männern und Frauen zu einer Theorie der Differenz zwischen den Frauen in Deutschland war das Buch "Gender Trouble" (dtsch. 1993: Das Unbehagen der Geschlechter) von Judith Butler, das die kulturelle und soziale Heterogenität von Frauen betont hat.

[6] Das Buch "Der Tod der Natur" erschien 1980 in der englischen Originalausgabe: "The Death of Nature. Women, Ecology and the Scientific Revolution". Es wurde 1987 in deutscher Übersetzung veröffentlicht und wurde auch in Deutschland schnell zum Bestseller und seine Thesen wurden vielseitig diskutiert.

[7] Die historische Aufarbeitung des Wirkens Bacons zeigt, dass Bacon als Begründer der induktiven Methode ein wichtiger Wegbereiter der modernen Wissenschaft ist. Aus der Sicht der historischen Frauenforschung ergibt sich ein weniger vorteilhaftes Bild über ihn. So wurde nachgewiesen, dass er den im Jahre 1612 stattfindenden Hexenprozessen in Lancashire beiwohnte und die mechanischen Vorrichtungen der Foltermethoden einerseits als Vorbild für seine Laborpraxis verwandte, diese andererseits seine Idee bestärkten, "die Natur wie eine Frau zu verhören" (Merchant 1987, S. 178).

[8] Die verlorene Herrschaft über die Natur entstand gemäß der klerikalen Interpretationsmuster durch den Sündenfall, welcher durch die Versuchung einer Frau verschuldet wurde. So hatte zwar "die Neugier eines Weibes den Sturz des Menschen aus seiner gottgegebenen Verfügungsgewalt verursacht, aber das erbarmungslose Verhör eines anderen Weibes, der Natur, ist imstande, sie zurückzugewinnen" (Merchant 1987, S. 180).

[9] Die Entwicklung vom organischen zum mechanischen Weltbild war kein linearer gesellschaftlicher Prozess, sondern wurde von konträren philosophischen Standpunkten begleitet. So fanden beispielsweise die Theorien Descartes und Gassendis Eingang in die englische Diskussion, wo sie von Boyle, Charleton, Newton kritisiert wurden. Positiv wurden Descartes und Hobbes in Frankreich aufgenommen, wo Descartes die Weiterentwicklung der Naturphilosophie und Hobbes eine politische Philosophie der souveränen Herrschaft anregten (Merchant 1987, S. 241).

[10] Wie historische Untersuchungen zeigen, begann die Unterdrückung der Frau nicht mit dem Erstarken des mechanischen Weltbildes, sondern kann als Folge eines langen gesellschaftlichen Prozesses betrachtet werden. Erinnert sei hier beispielsweise an die Hexenprozesse im späten Mittelalter oder etwa die sukzessive Ausgrenzung der Frauen aus Handwerk und geistigen Berufen. Verfügten die Frauen noch bis ins 15. Jahrhundert über ein eingeschränktes Zunftrecht, so verschwanden allmählich die Frauenzünfte bis zum offiziellen Ausschluss aus dem Zunftrecht im 17. Jahrhundert (Honnegger 1987).

[11] Wie Marlene Landsch in ihren Arbeiten herausarbeitet, spielt die Rhetorik in allen Prozessen der Technikakzeptanz eine herausragende Rolle. Sie dient nicht nur zur Bezeichnung des Neuen, sondern ist das Scharnier dafür, das Altes und Neues, Langsamkeit und Schnelligkeit ineinander fassen (Landsch 1993).

[12] Der dekonstruktivistische Ansatz in der Feministischen Theorie geht, ausgelöst durch die internationale Debatte der Frauenbewegung, auf eine Radikalisierung der Auseinandersetzung mit den Grundlagen feministischer Theorie und Praxis zurück. Die Debatte wurde zum einen durch die soziale und kulturelle Vielfalt der Frauen innerhalb des feministischen Diskurses, zum anderen durch die unter dem Etikett der "Dekonstruktion" versammelten theoretischen Strömungen ausgelöst. "Dekonstruiert" wurde vor allem die Vorstellung, den Begriff "Frau" auf soziale Attribute festzulegen. Aus diesen harten Auseinandersetzungen resultierte die Theorie der Anerkennung der Differenz.

[13] Die Methodologie der Feministischen Theorie ist durchaus mit der Methodologie der Technikfolgenabschätzung zu vergleichen. Interdisziplinarität, Problemorientierung, Transdisziplinarität sowie die Anleihen aus den unterschiedlichen Disziplinen gelten auch hier als zentrale Aspekte, um gesellschaftliche Bewertungen vorzunehmen.

[14] Der Begriff des "Leibes" wird von der Philosophin Herta Nagl-Docekal im Rückgriff auf Edith Stein in zweierlei Dimensionen beschrieben: Zum einen als "Körper", der biologisch determiniert ist und die äußere Wahrnehmung definiert, und als "Leib", der die innere Wahrnehmung beschreibt. Der Begriff "Leib" dient der Bezeichnung der jeweils als "mein", im Sinne des Gewahrwerdens, von innen erlebter Körperlichkeit. Das Gewahrwerden der inneren Erlebnisqualität verknüpft Nagl-Docekal mit dem Begriff der "Freiheit". Sie weist mit Hilfe historischer Studien nach, dass im Zuge der Ausbildung moderner Methoden pränataler Diagnostik, wie die Verwendung von Ultraschall etc., die Schwangerschaft mehr und mehr zu einem Gegenstand der äußeren Wahrnehmung geworden ist. Dadurch stieg auch die Abhängigkeit von äußeren Einflüssen und die Ich-Perspektive in Bezug auf den Leib verringerte sich drastisch (Nagl-Docekal 2001, S. 28 ff).

[15] Dieser Tatbestand wird in der deutschen Rezeption sehr stark an die Theorie der "inneren und äußeren Natur" bei Horkheimer und Adorno angelehnt. In einer historisch rekonstruktivistischen Perspektive wird hier der Zusammenhang zwischen den produktivistisch-ökonomischen und der individualgeschichtlichen Dimension menschlicher Entwicklung gesehen. Auf die historische Darstellung der "inneren und äußeren Natur" von Frauen angewendet, ist die äußere Natur vor allem durch den Bezug auf männlich-ökonomische und familiäre Herrschaftsverhältnisse geprägt (Schultz 1996, Knapp 1998).

[16] Gudrun Axeli Knapp und Angelika Wetterer beschreiben, vor allem im Sog des wachsenden Tempos gesellschaftlicher Abläufe, kritische Wissenschaft als Einrichtung zur Selbstbeobachtung der Gesellschaft. Hierbei sei die "mühsame Ausbildung von Unterscheidungsvermögen, das Festhalten an Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten als Maxime kritischer Wissenschaft aufs Ganze gesehen nicht gerade aussichtsreich" (Knapp und Wetterer 2001, S. 12), gleichzeitig gehöre dies zu den Ausgangserfahrungen der Frauenforschung.

[17] Interessanterweise wird die Kategorie sex (biologisches Geschlecht) im Rahmen dieser Diskussionen wieder in einen neuen Bezugsrahmen gestellt. Während in den letzten Jahrzehnten der Begriff gender (kulturell determiniertes Geschlecht) betont wurde, erhält angesichts der technologischen Entwicklungen der leibliche Bezug zur Welt eine neue Bedeutung.

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