Transdisziplinäre Umweltforschung: Methodische Probleme der Qualitätssicherung

Schwerpunktthema: Problemorientierte Forschung

Transdisziplinäre Umweltforschung: Methodische Probleme der Qualitätssicherung

von Armin Grunwald, ITAS

Der Qualitätssicherung kommt in der transdisziplinären problemorientierten Forschung eine besondere Bedeutung zu, weil diese Forschung auf den praktischen Einsatz in politischen Entscheidungen ausgelegt und damit alles andere als folgenlos ist. Die klassischen Standards wissenschaftlicher Kontrolle (die methodische Einlösung von Geltungsansprüchen und das System wissenschaftsinterner Kontrollen) sind zwar weiterhin notwendig, für die Aggregation sektoraler Beiträge aber nicht ausreichend. Neuartige Anforderungen an eine Qualitätssicherung stellen sich hier unter zwei Aspekten, der Relevanz und der Kompatibilität disziplinären Wissens. Qualitätssichernde Maßnahmen werden in beiden Fällen durch das anstehende, transdisziplinär definierte Problem gesteuert. Die besondere Herausforderung liegt dabei in der Übersetzung gesellschaftlicher Bedürfnisse, Prioritäten und Erwartungen in forschungsinterne Relevanzentscheidungen und Kompatibilitätsbeurteilungen.

1. Transdisziplinaritäre Umweltforschung

Die Forderung nach der Überwindung disziplinärer Barrieren zum Zwecke der Lösung übergreifender Probleme ist seit mindestens 30 Jahren in der öffentlichen und wissenschaftlichen Diskussion. Waren es anfangs - in der Zeit des Planungsoptimismus - Herausforderungen umfassender Planung im technischen und gesellschaftlichen Bereich, so werden heute hauptsächlich Umweltprobleme, die Nachhaltigkeitsdiskussion und die Herausforderungen des Global Change als "driving forces" genannt.

Nimmt man die allgemeine Wahrnehmung zum Maßstab, so scheint das Programm interdisziplinärer Forschung trotz vieler gelungener Einzelaktivitäten nicht eingelöst worden zu sein. Der Appell ist weitgehend Appell geblieben: die Disziplinen haben sich weiter spezialisiert, Subdisziplinen gebildet und die Gräben zwischen ihnen weiter vergrößert (Weingart 1997). Trotz aller Sonntagsreden hat interdisziplinäre Forschung nach wie vor keine besondere disziplinäre Anerkennung, genießt in den Fachjournalen eher ein Schattendasein und fördert weder wissenschaftliche Karrierebildung noch den Erkenntnisprozess. Allenfalls werde sie instrumentalisiert zur Kaschierung disziplinärer Unzulänglichkeiten und der Zersplitterung von Wissenschaft insgesamt und führe bloß zu mehr oder weniger zusammenhanglosen Sammelbänden: Interdisziplinarität als Multidisziplinarität (Mittelstraß 1998, S. 31f).

Nun wird seit einigen Jahren verstärkt über Transdisziplinarität geredet (Mittelstraß 1998, Jaeger/Scheringer 1998). Die für die Notwendigkeit transdisziplinärer Forschung genannten Begründungen scheinen die gleichen zu sein, die früher für die Begründung von Interdisziplinarität herangezogen wurden: kurz und vereinfacht gesagt, bestehen sie in dem kaum zu bestreitenden Sachverhalt, dass gesellschaftliche Problemlagen und Problembewältigungsbedürfnisse sich nicht auf einzelne Disziplinen abbilden lassen (Mittelstraß 1998, S. 42): "Mit Transdisziplinarität ist hier ... Forschung gemeint, ..., die ihre Probleme disziplinenunabhängig definiert und disziplinenunabhängig löst" (ebd., S. 44). Transdisziplinarität meint dann nichts weiter als problemorientierte Forschung (Bechmann/Frederichs 1996). Transdisziplinarität verweist somit auf den außerwissenschaftlichen Problembezug interdisziplinärer Forschung, also gerade darauf, dass Interdisziplinarität Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck ist. Damit werden gleichzeitig Gelingenskriterien und Erfolgsmaßstäbe interdisziplinärer Forschung markiert: nämlich nachweisbare Beiträge zur Lösung des transdisziplinär definierten gesellschaftlichen Problems zu liefern.

Transdisziplinär definierte Probleme sind (mehr oder weniger gut etablierter) Teil der Forschungslandschaft spätestens seit den fünfziger Jahren. Die Anfänge der Systemforschung, vor allem aber die Gründung von Großforschungseinrichtungen im Energiebereich oder für Fragen der Luft- und Raumfahrt sind erste, wenn auch primär technologisch ausgerichtete Meilensteine in dieser Entwicklung. Gegenwärtig ist die Umweltforschung das wohl interessanteste Feld transdiziplinärer Forschung. Ozon-Problematik, Treibhauseffekt, Biodiversität, globales Wassermanagement, Nachhaltigkeit: alle diese Begriffe stehen für gesellschaftlich definierte Problemfelder, die zu ihrer Bearbeitung wissenschaftlichen Wissens bedürfen. Diese problemorientierte Wissenschaft unterscheidet sich in wesentlichen Aspekten vom "klassischen" Wissenschaftsbetrieb (dazu näher Bechmann/Frederichs 1996). Das Erkenntnisinteresse ist nicht durch Begriffe wie Natur- oder Welterkenntnis geprägt, sondern durch Problemlöse- und Entscheidungsbezug des kreierten Wissens. Nicht mehr die Produktion konsistenter Lehrbücher, an deren Aufeinanderfolge sich der Fortschritt der Disziplin erkennen ließ, ist das Ziel, sondern die Erarbeitung projektbezogener Resultate als Beitrag zum Handlungswissen. Wissenschaft begibt sich aus der geschützten Nische der vermeintlichen Wertfreiheit heraus, übernimmt eine politische Rolle in der Definition von gesellschaftlichen Problemen und wird in ihren Gelingenskriterien und Qualitätsmaßstäben abhängig vom außerwissenschaftlichen Umfeld. Das soll im folgenden anhand einiger methodischer Probleme der Qualitätssicherung gezeigt werden.

2. Qualität und Geltung wissenschaftlichen Wissens

Die Ergebnisse problemorientierter Forschung sollen in die gesellschaftliche und insbesondere die politische Praxis einfließen (z.B. in Umweltschutzprogramme, in sustainable development policies oder in den Rio-Prozess). Es ist daher erforderlich, dass diese Ergebnisse in einem hinreichenden Maße verlässlich sind und ex ante in ihrer Qualität eingeschätzt werden können. Anderenfalls würde ein simples Verfahren nach der Methode von trial and error praktiziert - in gesamtgesellschaftlichen Angelegenheiten höchst riskant und ineffizient. Der Qualitätssicherung wissenschaftlichen Wissens kommt in transdisziplinärer problemorientierter Forschung eine entscheidende Bedeutung zu, weil diese Forschung auf praktischen Einsatz in Entscheidungen ausgelegt und damit alles andere als folgenlos ist. Die Diskussion um die Fallibilität, Vorläufigkeit, Unvollständigkeit und Unsicherheit wissenschaftlichen Wissens darf nicht dazu verleiten, an den Qualitätsmaßstäben Abstriche zu machen (vielleicht könnten manche meinen, dass es deswegen nicht so genau auf Qualität ankomme). Das Gegenteil ist der Fall. Die Legitimation von Wissenschaft hängt gerade daran, den Bereich des Wissens soweit wie möglich auszudehnen und, über die Reflexion der Geltungsbedingungen des erzeugten Wissens, eine Vorstellung über die verbliebenen Unsicherheiten und das Nichtwissen, damit auch über die Risiken des Einsatzes dieses Wissens zu gewinnen.

Gerade in der Umweltforschung bereitet die Handhabung der Unsicherheit und Vorläufigkeit des wissenschaftlichen Wissens große Probleme. In der Beurteilung des Treibhauseffektes z.B. kommt es entscheidend auf die Auslegung, Validierung, Simulation und Interpretation von Modellierungen an. Hier besteht innerhalb der Wissenschaften ein erheblicher Dissens. Expertenstreits über die Eignung von Modellen und die Aussagekraft der erzeugten Ergebnisse sind an der Tagesordnung. Auf der anderen Seite sind politische Maßnahmen entscheidend von der Interpretation dieser transdisziplinär zustande gekommenen wissenschaftlichen Aussagen abhängig. Wie unterscheidet man gute von weniger guter transdisziplinärer Umweltforschung? Kann man hier überhaupt methodologisch (d.h. normativ) etwas aussagen, oder muss man warten, bis im Expertenstreit sich ein Konsens abzeichnet (was keineswegs garantiert, sondern eher unwahrscheinlich ist)? Um diese Frage einer Antwort näher zu bringen, seien zunächst die üblichen Standards wissenschaftlichen Arbeitens kurz erläutert.

Die Sicherung der Qualität wissenschaftlicher Arbeit orientiert sich an den Geltungskriterien wissenschaftlicher Aussagen: Anspruch auf allgemeine personeninvariante Geltung (Trans-Subjektivität) und intersubjektive Nachvollziehbarkeit. Diese werden im üblichen Prozess wissenschaftlicher Arbeit auf zwei Ebenen Qualitätsprüfungen unterzogen, (1) der methodischen und (2) der forschungsorganisatorischen Ebene.

(1) Geltungsansprüche wissenschaftlicher Aussagen werden methodisch eingelöst. Über die Anwendung anerkannter wissenschaftlicher Methoden (z.B. der Datenerhebung, mathematischer Hilfsmittel, der Experimentiertechnik, statistischer Auswertungsverfahren) kann schrittweise die Geltung der in Zweifel stehenden Aussage erwiesen werden oder nicht. Zur Ermöglichung und Abkürzung dieser Prozeduren wird Bezug genommen auf wissenschaftliche Sondersprachen, Terminologien und Grundbegriffe, die in den wissenschaftlichen Disziplinen die Basis von Begründungsdiskursen bilden (Grunwald 1998, Gutmann/Hanekamp 1999).

(2) Nun wird im faktischen Wissenschaftsbetrieb nicht dauernd die Geltung wissenschaftlicher Resultate bis in den letzten Schritt hinein methodisch geprüft. Basis der Prüfung ist normalerweise vielmehr der erreichte "Stand von Wissen und Technik". Zur Qualitätssicherung in diesem "Normalbetrieb" von Wissenschaft sind organisatorische Mechanismen der Selbstkontrolle etabliert: Fachzeitschriften mit Qualitätsansprüchen, das Peer Review-System, wissenschaftsinterne Evaluierungen und Gutachtersysteme. In Einzelfall mögen diese irren und können z.B. das Auftreten von Fälschungen nicht komplett verhindern; im Großen und Ganzen scheinen sie jedoch ihre Aufgabe so zu erfüllen, dass keine gravierenden Fehlentwicklungen auftreten. [1]

Die simple Übertragung dieser beiden Typen von Mechanismen auf transdisziplinäre Umweltforschung ist nicht möglich. Die Leistungsfähigkeit der Wissenschaften basiert auf ihrer funktionalen Spezialisierung, der Eingrenzung ihres Gegenstandsbereiches und einer methodischen Hochstilisierung. Diese Spezialisierung ist außerordentlich unterschiedlich, je nach den Zwecken und Aufgaben von Disziplinen wie Soziologie, Physik oder Biologie. Wenn transdisziplinär zustande gekommene wissenschaftliche Aussagen, z.B. zur Umweltforschung, auf ihre Geltung hin befragt werden sollen, ist zunächst völlig unklar, relativ zu welcher wissenschaftlichen Sprache und zu welchen Standards dies erfolgen soll. Was passiert mit der zunächst nur disziplinär gesicherten Qualität in transdisziplinären Aggregationen und entsprechenden integrativen Ansätzen? Vorsicht ist geboten: die Qualität der disziplinären Beiträge dürfte notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für die Qualität transdisziplinärer Umweltforschung sein. So ist z.B. aus der Planungstheorie bekannt, dass auch gesichertes sektorales Wissen problemlos so in Pläne integriert werden kann, dass dabei transsektoral nur Unsinn herauskommt. Über das disziplinäre Qualitätssichern hinaus muss also so etwas wie eine Qualitätssicherung im Aggregationsprozess hinzukommen.

Anderenfalls besteht die Gefahr, dass interdisziplinäre Resultate zu "science light" werden, mit unklaren Qualitätsmaßstäben und offen für ein methodisches "ungefähr". Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen (dazu auch Mittelstraß 1998) und bildet einen realen Hintergrund für die nicht seltene Geringschätzung transdisziplinärer Arbeit in den klassischen Disziplinen. Demgegenüber ist festzuhalten, dass transdisziplinäre Arbeit nicht geringere Ansprüche an Qualitätssicherung erhebt, sondern erhöhte Ansprüche. Zu den zugrundeliegenden disziplinären Qualitätsmaßstäben müssen solche für die Aggregation der disziplinären Resultate hinzukommen, um die Qualität des Ergebnisses - zu messen als Beitrag zu der erstrebten Problemlösung - zu gewährleisten.

Einige Basisbestandteile wissenschaftlichen Arbeitens seien im folgenden unter dieser methodischen Prämisse näher diskutiert: Systemdefinitionen, Modellierungen und Methodenwahl in interdisziplinären Kontexten. Das im Hintergrund mitgedachte Beispiel ist das der transdisziplinären Klima- und der Klimafolgenforschung, die hochsensitiv gegenüber der Wahl und Abgrenzung der untersuchten Systeme, gegenüber der Wahl und Justierung der Modelle und gegenüber der Wahl von Datenerhebungsverfahren ist.

3. Methodische Probleme transdisziplinärer Umweltforschung

Der Bezug transdisziplinärer Umweltforschung auf gesellschaftliche Problemdefinitionen verhindert, dass die Kriterien wissenschaftlicher Arbeit ausschließlich wissenschaftsintern konstituiert werden können. Im folgenden wird gezeigt, dass an wesentlichen vor-empirischen Punkten transdisziplinärer Umweltforschung gesellschaftliche, außerwissenschaftliche Entscheidungen eingehen. Von der "Qualität", d.h. der Adäquatheit dieser Entscheidungen in Bezug auf das gestellte Umweltproblem und die Möglichkeiten seiner Bewältigung, hängt dann wesentlich die Qualität der erwartbaren Resultate ab.

a) Systemabgrenzung

Systeme sind zweckabhängige Konstrukte und existieren nicht für sich, sondern Bereiche der Welt können mehr oder weniger erfolgreich als Systeme beschrieben werden. Die Abgrenzung des zu untersuchenden Gegenstandsbereiches als System erfolgt methodisch vor der transdisziplinären Analyse: wenn etwas analysiert werden soll, muss es vorher von dem abgegrenzt worden sein, was nicht beschrieben werden soll. Systemabgrenzungen sind selektiv, sie schließen Bestimmtes ein und anderes aus: Unter einem System wird ein durch zweckdienlich gezogene Grenzen unter der Zielsetzung der Ordnungsleistung abgetrennter Bereich (der Lebenspraxis, der Natur, der Wissenschaft, der Technik, der Gesellschaft etc.) verstanden (Grunwald 1995, S. 277). Ein Gegenstandsbereich in transdisziplinärer Umweltforschung kann relativ zu unterschiedlichen Erkenntnisinteressen in sehr verschiedener Weise als System definiert werden. Man denke z.B. an die Beschreibung eines Sees als System: diese kann z.B. unter kartographischen, geophysikalischen, fischereiwirtschaftlichen, geographischen oder biologischen Erkenntnisinteressen erfolgen - welche man ersichtlich noch weiter differenzieren kann, etwa die biologischen in botanische, zoologische, ökologische, mikrobiologische etc. Je nach Erkenntnisinteresse wird man die Systemgrenzen anders wählen.

In transdisziplinärer Umweltforschung ist es nicht aprioi klar, wie und nach welchen Kriterien die Systemgrenzen gewählt werden sollen, weil hier Erkenntnisinteressen verschiedener Art verbunden werden müssen. Zunächst ist entscheidend, dass die Konstitution der Systemgrenzen pragmatisch ausschließlich unter Relevanzaspekten erfolgt. Die für die Problemlösung ex ante optimal erscheinende Wahl der Systemgrenzen muss aus Gründen der Maximierung der Erfolgsaussichten gewählt werden (selbstverständlich ist dies eine Entscheidung unter Unsicherheit). Hier sind keine wissenschaftlichen Kriterien, sondern Zweck-/Mittel-Argumentationen entscheidend. Wenn z.B. in der Klimaforschung der anthropogene Einfluss auf das Klima separiert werden soll, können andere Systemabgrenzungen erforderlich sein, als wenn es um die Erforschung von Klimaänderungen in geologischen Zeiträumen geht.

Unterhalb dieser Ebene stellt sich dann die Frage nach den Systemabgrenzungen in den beteiligten Disziplinen. Hier können weitere Typen von Argumenten eine Rolle spielen, so z.B. die bisherige Erfahrung mit Systemen des betreffenden Typs, die disziplinären Üblichkeiten etc.. Möglicherweise werden die beteiligten Disziplinen mit verschiedenen Systemgrenzen arbeiten. Dieses kann nicht normativ unter Verweis auf Qualitätsmaßstäbe "verboten" werden; zu fordern ist jedoch, dass mit transdisziplinär kompatiblen Systemdefinitionen gearbeitet wird. Die Kriterien der Kompatibilitiät dürfen dabei nicht disziplinäre Erfordernisse sein, sondern müssen sich aus dem zu bearbeitenden Problem ableiten lassen können. Ein (methodologisches) Qualitätsmanagement hätte genau an dieser Stelle anzusetzen und die Zweckmäßigkeit der gewählten Systemgrenzen und ihre pragmatische Kompatibilität relativ zu den außerwissenschaftlichen Kriterien der Problemorientierung zu reflektieren.

b) Modellierung

Modellieren bezieht sich auf einen Gegenstand des Modellierens, der bereits vor der Modellierung "vorhanden" ist, d.h. definiert und abgegrenzt worden sein muss (z.B. in Form einer Systemkonstitution). So können alle definierten (und ggfs. unterschiedlichen!) Systeme "See" im obigen Beispiel unter den jeweiligen Beschreibungszwecken unter Verwendung von ganz verschiedenen Modellen beschrieben werden, welche sich ggfs. in Teilen überschneiden. So ist in transdisziplinärer Umweltforschung nicht auszuschließen, dass - über die möglicherweise differierende Konstitution der Systeme hinaus - eine weitere Schicht möglicher methodischer Probleme in der Verwendung unterschiedlicher Modelle liegt.

Modelle sind nicht einfach Modelle von etwas, sondern (zumindest auch) Modelle für etwas (Gutmann 1996): Modelle sollen "zu etwas gut sein". Die Beschreibung des Systems erfolgt unter bestimmten Erkenntniszwecken und -interessen oder anderen Zwecken wie z.B., Vorhersagen für bestimmte gesellschaftliche Praxen zu ermöglichen (hierzu gehören z.B. Klimamodelle zur Vorhersage langfristiger Klimaänderungen und volkswirtschaftliche Modelle zur Prognose kurzfristiger Wirtschaftsentwicklung). Modelle haben also Werkzeugcharakter (Gutmann 1996) und können für verschiedenste Zwecke eingesetzt werden. Die Qualität modellhafter Aussagen, d.h. ihre Eignung zur Realisierung dieser Zwecke, hängt dann sowohl von vor-empirischen Entscheidungen in der Modellierung ab (Basisunterscheidungen, Relevanzbeurteilungen hinsichtlich der zu berücksichtigenden Effekte etc.) als auch von den empirischen Ergebnissen selbst.

In transdiszipinärer Arbeit hängt die Qualität von Resultaten auf Modellbasis wesentlich von vor-empirischen Geltungsbedingungen der Modellierung ab. Als Beispiel sei das Problem näher betrachtet, dass häufig eine Fokussierung oder Beschränkung auf "relevante" Wechselwirkungen im modellierten System erforderlich ist, um Übersichtlichkeit zu schaffen ("Komplexitätsreduktion", s.u.). Es sind in diesen Fällen relativ zu den verfolgten Zwecksetzungen Relevanzentscheidungen zu treffen (Grunwald/Lingner 1999). Es müssen wesentliche Aspekte vor unwesentlichen ausgezeichnet werden. Diese Unterscheidung ist, wie die Abgrenzung eines Systems, selektiv. Das Gelingen von Umweltforschung hängt sensitiv davon ab, ob diese Relevanzentscheidung "gelingt" (die selbstverständlich unter Unsicherheit erfolgt). Wenn hier eine "falsche" Entscheidung getroffen wird, können die folgenden empirischen Untersuchungen noch so gut sein, sie werden dieses Defizit nicht kompensieren können (in der Klimadiskussion ist zur Zeit genau die Frage aktuell, welche Effekte und Wechselwirkungen in den Modellen berücksichtigt werden müssen).

Auf der einmal erfolgten Modellierung aufbauende transdisziplinäre Aussagen können Geltung nur relativ zu diesen vorgängigen Relevanzentscheidungen beanspruchen. Ein (methodologisches) Qualitätsmanagement in diesem Bereich muss also einerseits die Zweckmäßigkeit der Wahl von Modellen zur Problemlösung reflektieren, andererseits (wie oben) auf die pragmatische Kompatibilität verschiedener verwendeter Modelle achten. Beides erfolgt unter Bezug auf außerwissenschaftliche Problemdefinitionen, gesellschaftliche Problemwahrnehmung und ebenfalls außerwissenschaftliche Prioritätensetzungen, die den Rahmen für Relevanzentscheidungen in der Modellierung abgeben. Hier besteht also ein Übersetzungsproblem, von dessen Gelingen die Eignung der Ergebnisse transdisziplinärer Umweltforschung wesentlich abhängt.

c) Wahl der Methode

Unterhalb der Ebene der Modellierung bedarf die Wahl der Methoden der Datenerhebung, der Modellierung, der Validierung etc. der besonderen Aufmerksamkeit, da letztlich die Zuverlässigkeit und Eignung der Methoden die Geltung und Qualität wissenschaftlicher Resultate verbürgt. Die Wahl verwendeter Verfahren und Methoden ist jeweils im Einzelfall zweckrelativ in dem Beziehungsdreieck "Ziel der Erkenntnisgewinnung" - "Gegenstandsbereich" - "Methode" zu begründen. In der Klimadiskussion wird aktuell diskutiert, wie die Erkenntnisse aus der Paläoklimaforschung und der gegenwärtigen Datenerhebung über Messstationen und satellitengestützte Fernerkundung zusammengeführt werden können.

Von "Freiheit in der Methodenwahl" (Jaeger/Scheringer 1998) kann in interdisziplinärer Forschung von daher keine Rede sein, weil schließlich durch diese Forschung Probleme gelöst werden sollen. Durch diese externe Aufgabe wird die Freiheit in der Methodenwahl erheblich eingeschränkt. Erstens durch Zweck-/
Mittel-Relationen, in denen die Methoden selbst stehen: nicht jede Methode ist für jeden Zweck geeignet. Zweitens sind Methoden in bestimmten Gegenstandsbereichen erprobt worden; der simple Transfer von Methoden in andere Bereiche ist von daher mit Risiken verbunden. Drittens, und dies führt wieder auf die Problematik der Qualität interdisziplinärer Forschung, entsteht in problemorientierter Forschung ein Kompatibilitätsdruck: es muss, wie bei Systemkonstitution und Modellierung, auf die pragmatische Kompatibilität der verwendeten Methoden im Sinne der angezielten Problemlösung geachtet werden.

Analyse und Integration als Methodologie transdisziplinärer Umweltforschung

Die obigen Überlegungen zeigen mindestens zweierlei: (1) die Bedeutung von Relevanzüberlegungen für Systemkonstitution und Modellierung und (2) die Anforderung pragmatischer Kompatibilität auf allen angesprochenen Ebenen zur Sicherung der Qualität transdisziplinärer Umweltforschung. Dabei wurde deutlich, dass Transdisziplinarität nicht nur zu forschungsorganisatorischen und forschungspsychologischen Problemen führt, sondern auch zu methodischen Herausforderungen der Übersetzung gesellschaftlicher Bedürfnisse, Prioritäten und Erwartungen in die genannten Relevanz- und Kompatibilitätsanforderungen.

(1) Relevanzbeurteilungen sind an verschiedenen Stellen in transdisziplinärer Umweltforschung zu treffen. Es ist zu beurteilen, welche möglichen Untersuchungsaspekte, welche Wechselwirkungen oder welche Teile des Gegenstandsbereiches für die betreffende Problemlösung relevant sind und welche nicht. Darüber hinaus, bereits bei der Zusammenstellung des transdisziplinären Teams sind Entscheidungen zu treffen, welche Disziplinen und Teildisziplinen mutmaßlich relevante Beiträge leisten können und welche den Aufwand einer Beteiligung nicht lohnen. Durch derartige Vorentscheidungen wird maßgeblich der Erfolg und die Qualität der nachfolgenden transdisziplinären Forschung (gemessen an der gewünschten Problemorientierung) festgelegt. Falsche Weichenstellungen auf dieser Relevanzebene können durch noch so gute spätere Arbeit kaum mehr ausgeglichen werden. Integrative Ansätze entbinden zwar nicht von der Pflicht disziplinärer Detailarbeit. Gute disziplinäre Detailarbeit ist notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung des Gelingens transdisziplinärer Problemlösung. Ein Qualitätsmanagement transdisziplinärer Forschung muss daher die implizit oder explizit getroffenen Relevanzentscheidungen einer kritischen Prüfung unterziehen. Die Festlegung und Begründung von Relevanzstrukturen gehört zu den wesentlichen vor-empirischen Aufgaben transdisziplinärer Forschung.

(2) Pragmatische Kompatibilität ist methodisches Rationalitätspostulat transdisziplinärer Arbeit. Die Wahl von Systemgrenzen, Modellen und Methoden in den verschiedenen beteiligten Disziplinen darf von diesen weder in beliebiger Freiheit noch in ausschließlich disziplinärer Perspektive vorgenommen werden. Entscheidend für die konkreten Anforderungen an Kompatibilität ist die Orientierung am zu bearbeitenden Problem. Weder können hier beliebige Inkompatibilitäten zugelassen werden, da der Erfolg sonst gefährdet würde, noch sind strenge theoretische Konsistenzforderungen in jeder Hinsicht zu rechtfertigen (z.B. dahingehend, dass die wissenschaftliche Hintergrundtheorie für die verwendeten Modellierungen dieselbe sein müsse). Ein gewisses Maß an Heterogenität und Widersprüchlichkeit mag im Einzelfall durchaus tolerierbar sein, jedenfalls solange der Erfolg auf der Ebene der Problemorientierung nicht gefährdet wird.

Beide Typen von qualitätssichernden Maßnahmen werden also durch die Vorgaben des transdisziplinär definierten Problems gesteuert. Aus diesem sind die Kriterien sowohl für Relevanzentscheidungen als auch für Kompatibilitätsanforderungen herzuleiten, durch außerwissenschaftlich-zweckrationale und vor-empirische Argumentation. Die Kriterien für Relevanzentscheidungen und Kompatibilitätsanforderungen sind normativ; ihre Rechtfertigung ist daher wissenschaftsintern nicht möglich, sondern reicht in gesellschaftliche Fragen hinein und bedarf ggfs. politischer und ethischer Urteilsbildung.

Die Aufgabe der Analyse des gestellten Problems unter Zweck/Mittel- und Relevanzaspekten muss gelöst sein, bevor die transdisziplinäre Forschung überhaupt beginnen kann. Das Zerlegungsproblem ist primär und muss anhand außerwissenschaftlicher Kriterien gelöst werden. In diesem Sinne auch: "... die Übersetzung lebensweltlicher Probleme in wissenschaftliche Probleme setzt einen außerwissenschaftlichen Standpunkt voraus, von dem aus die Probleme erkannt und in ihrer Relevanz beurteilt werden können ..." (Jaeger/Scheringer 1998, S. 14, Hervorhebung im Original). Dem Zerlegungsproblem ist das Integrationsproblem nachgeordnet; ob die Integration gelingt, wird selbst erheblich durch die vorgängige Analyse und Zerlegung des Problems bestimmt. In Bezug auf die außerordentlich qualitätssensitive Funktion dieser Zerlegung sei im folgenden darauf verwiesen, dass dieses Problem nicht erst in den letzten Jahren aufgetreten ist. Die Bearbeitung komplexer Planungs- und Beurteilungsaufgaben bedient sich seit Jahrzehnten bestimmter analytischer Werkzeuge, um genau mit diesem Zerlegungsproblem umzugehen. Hier finden sich Anknüpfungspunkte an die klassische Systemanalyse, die Planungstheorie, die Entscheidungsanalyse und an die Modelltheorie. Die These ist, dass (1) eine Theorie transdisziplinärer Forschung - die die klassische, disziplinär orientierte Wissenschaftstheorie überschreiten würde - als methodischer Beitrag zur Qualitätssicherung in diesem Bereich bisher aussteht, dass (2) ihre Ausarbeitung aber auf Erfahrungen in den genannten Bereichen zurückgreifen kann. Um dies zwar nicht zu begründen, aber wenigstens plausibel zu machen, seien im folgenden einige Bemerkungen zur Systemanalyse als Zerlegungsinstrument gemacht.

Systembegriff und Systemanalyse werden verwendet, wenn mit Komplexität umzugehen ist: durch Definition von Systemgrenzen erfolgen Abgrenzungen, wodurch ordnungsstiftend Übersichtlichkeiten inmitten der zunächst unübersichtlichen und amorphen Welt geschaffen werden (Grunwald 1995, Grunwald/Lingner 1999). Zweck der Systemanalyse ist, den Umgang mit Komplexität zu ermöglichen. Komplexe Aufgaben sind nicht direkt bearbeitbar, sondern es müssen die Anforderungen der Problemlösung in handhabbare Bestandteile zerlegt werden. Es handelt sich also nicht um Komplexitätsreduktion, sondern um Komplexitätstransformation: die Komplexität des zu bearbeitenden Problems wird durch strukturierende Differenzierungen (u.a. unter Relevanzkriterien) in eine Form gebracht, dass sie der konstruktiven transdisziplinären Bearbeitung in ihren disziplinären Teilsaspekten zugänglich wird.

Zum Zweck der Komplexitätstransformation muss die Systemanalyse in zwei Richtungen arbeiten. Zum einen muss sie die eigentliche analytische Arbeit leisten und die Unterteilung des Problems in geeignete, d.h. unter den jeweiligen Zwecken handhabbare Teilaufgaben liefern (top-down), zum anderen muss sie in integrativer Arbeit gewährleisten, dass die Re-Integration der Detailerkenntnisse zum Ganzen der beabsichtigten Problemlösung gelingt (bottom-up), wobei dem top-down-Ansatz die methodische Priorität gebührt (s.o., auch Jaeger/Scheringer 1998). Qualitätsentscheidend in diesem Kontext sind nicht Abbildung oder Erfassung von Realität, sondern die Konstruktion und Integration von zweckmäßigen Wissensformationen. Systemanalyse in diesen Prozessen liefert daher nicht ein "Abbild" der Systeme, sondern ist selbst Medium der "Weltkonstruktion". Um die Qualität transdisziplinärer Problembearbeitung zu sichern, ist eine "Kunst" des Zerlegens und Integrierens unter Relevanz- und Kompatibilitätsaspekten erforderlich. Die Qualitätskriterien disziplinären Arbeitens bleiben dabei erhalten und müssen beachtet werden. Transdisziplinäre Umweltforschung ist eine Ergänzung des etablierten Wissenschaftsbetriebes, keine Ersetzung. Umweltforschung findet nach wie vor hauptsächlich in den einzelnen Disziplinen statt. Neu jedoch sind der gesellschaftliche Bezug der bearbeiteten Probleme und die Herausforderungen an die wissenschaftliche Qualität des Integrationsprozesses mit seinen methodischen und forschungsorganisatorischen Aspekten.

Anmerkung

[1] Der Frage, wie derartige wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen der Qualitätssicherung für transdisziplinäre Forschung aussehen könnten, wird im vorliegenden Beitrag nicht nachgegangen. Hier soll es nur um die unter (1) genannten methodischen Probleme gehen. 

Literatur

Bechmann, G., Frederichs, G. (1996) Problemorientierte Forschung: Zwischen Politik und Wissenschaft. In: Bechmann, G. (Hg.): Praxisfelder der Technikforschung. Campus, Frankfurt, S. 11-40

Grunwald, A. (1995): Systembegriff und Unterscheidungsapriori. Über die pragmatischen Grundlagen der Systemwissenschaften, prima philosophia 8, S. 273-281

Grunwald, A. (1998): Das prädiskursive Einverständnis. Zeitschrift für allgemeine Wissenschaftstheorie 29 (1998), S. 205-223

Grunwald, A,. Lingner, S. (1999): Systemanalyse und Technikfolgenbeurteilung. In: Grunwald, A. (1999, Hg.) Rationale Technikfolgenbeurteilung. Konzeption und methodische Grundlagen. Springer, Berlin et al., S. 132-156

Gutmann, M. (1996) Die Evolutionstheorie und ihr Gegenstand. VWB, Berlin

Gutmann, M., Hanekamp, G. (1999): Technikfolgenbeurteilung und Wissenschaftstheorie. In: Grunwald, A. (1999, Hg.) Rationale Technikfolgenbeurteilung. Konzeption und methodische Grundlagen. Springer, Berlin et al., S. 55-91

Jaeger, J., Scheringer, M. (1998): Transdisziplinarität: Problemorientierung ohne Methodenzwang. GAIA 7, S. 10-25.

Mittelstraß, J. (1998): Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität? In: Ders. (Hg.): Die Häuser des Wissens. Suhrkamp, Frankfurt, S. 29-48.

Weingart, P. (1997): Interdisziplinarität - der paradoxe Diskurs. Ethik und Sozialwissenschaften 8, S. 521-529

Kontakt

Prof. Dr. Armin Grunwald
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-22500
E-Mail: armin.grunwald∂kit.edu