„Wetterfeste“ Bürgerbeteiligung. Erfolgsfaktoren für die Verstetigung von Beteiligung durch Institutionalisierung auf kommunaler Ebene

Diskussionsforum

„Wetterfeste“ Bürgerbeteiligung

Erfolgsfaktoren für die Verstetigung von Beteiligung durch Institutionalisierung auf kommunaler Ebene

von Raban Daniel Fuhrmann und Moritz Johannes Brunn, Procedere Verbund, Konstanz

Zahlreiche Kommunen geben ihrer Bürger- bzw. Öffentlichkeitsbeteiligung an kommunalen Vorhaben und Themen einen verlässlicheren und andauernden Rahmen. Überschrieben werden die Ergebnisse dieser Bemühungen häufig mit Begriffen wie „Beteiligungssatzungen“[1] oder „Leitlinien“[2]. Dieser Beitrag stellt übergreifende Schlüsselfaktoren vor, die für eine robuste Ausgestaltung von verschiedenen Beteiligungsmodellen wichtig sind. Das Ziel ist, Beteiligung als essentielle demokratische Praxis zu etablieren, die unabhängiger von bestimmten Personen, Gruppen oder Situationen in einer Kommune ist.

1     Beteiligung verstetigen als kommunalpolitische Herausforderung

Im Rahmen der Debatte um Technikfolgenabschätzung seit den 1980er Jahren wurde auch über den Nutzen von (informellen) Instrumenten der Beteiligung diskutiert. Zu diesen Anläufen, Bürgerbeteiligung zu verstetigen, kommen im letzten Jahrzehnt Entwicklungen auf kommunaler Ebene hinzu. Anspruch und Erwartung ist die bislang noch eher sporadisch und auf Proteste reagierende Beteiligung, nun verlässlicher und fester in den kommunalpolitischen Alltag einzubinden; kurz für alle Seiten verbindlich zu verstetigen[3]. In einem Bild zugespitzt: Von einer situativen, sporadischen und eher symbolischen „Schönwetter-Praxis“, wo meist nur dann beteiligt wird, wenn es politisch, finanziell, wahlkampftaktisch opportun scheint, hin zu einer „wetterfesten“ Beteiligungskultur, die auch nach Neuwahlen, unter Finanzknappheit gerade auch bei „heißen Eisen“ gelebt wird. Kurz: Von einem reaktiven, hin zu einem proaktiven, ja kreativen Nutzen und Erschließen des Potenzials von Beteiligung zur Entfaltung der Koproduktion von Gemeinwohl.

In Kommunen beginnt eine Auseinandersetzung mit Beteiligung häufig mit der Frage, ob – und wenn ja, wie – die Bürger in die politischen und administrativen Entscheidungs- und Bearbeitungsprozesse zu kommunalen Belangen einbezogen werden können oder sollten. Vielfach wird dabei deutlich, dass es nicht ausschließlich um die Partizipation von Bürgern geht (Bürgerbeteiligung), sondern situativ u. a. Gruppen, Initiativen, Verbände, Behörden, Unternehmen und Vereine hinzugezogen werden (können bzw. sollten). Insofern sprechen wir im Folgenden von „Beteiligung“, worunter wir zwar primär die Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern verstehen, uns aber begrifflich nicht auf diese Perspektive einengen.[4]

Beteiligung an politischen und administrativen Vorgängen kann normativ und funktional begründet werden. Es zählt zum Wesenskern einer Demokratie, dass Menschen sich in ihr politisch beteiligen können (Buchstein 2013, S. 34). In welchem Maß das zu geschehen hat, mag umstritten sein. Vom Standpunkt der Autoren aus, wird ein Maß benötigt, das Menschen sowohl das „Einüben“ von Demokratie ermöglicht, als auch Beteiligungsmöglichkeiten eröffnet, wenn Menschen den Bedarf haben, sich einzubringen. Aus funktionaler Perspektive erhöht frühzeitige Beteiligung die Chancen, dass Wesentliches und Kritisches in den Abwägungsprozess einfließen kann, und so die Umsetzung von Vorhaben beschleunigt wird, ohne notwendigerweise die Kosten zu erhöhen.

Diesen beiden theoretischen Argumenten für Beteiligung steht das Problem gegenüber, dass die bestehende Beteiligungspraxis als Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und politisch-administrativem System nur noch als eingeschränkt funktional bewertet wird. Die Partizipation mithilfe von Parteien, Verbänden und Medien wird heute von vielen Menschen nicht mehr als ausreichend betrachtet (Gohl 2011, S. 21). Die Institutionalisierung und damit verlässliche Gestaltung von dann ehemals „informeller“[5] Beteiligung als weitere Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und dem politisch-administrativen System kann hier Abhilfe schaffen. Je nachdem wie Beteiligung umgesetzt wird, kann sie folgendermaßen erfolgen (Abb. 1):

  1. Einbringend – Schnittstellen in das politisch-administrative System hinein (vorgelagertes Beteiligen),
  2. Ausgestaltend – Einbeziehung von Meinungen, Befindlichkeiten und Wünschen in die Durchführung von Vorhaben (nachgelagertes Beteiligen),
  3. Kooperierend – Abstimmung innerhalb des politisch-administrativen Systems (intra-gouvernmentales Beteiligen) und
  4. Aktivierend – Selbstorganisation in der Zivilgesellschaft (zusammenführendes Beteiligen).

Abb. 1: Beteiligung als Schnittstellengestaltung

Beteiligung als Schnittstellengestaltung

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Fuhrmann 2009

2    Aktueller Institutionalisierungstrend auf kommunaler Ebene

Zahlreiche Kommunen haben begonnen, diese Schnittstellen der Beteiligung systematischer auszugestalten und mit Regeln, Ressourcen, Kompetenzen und Stellen auszustatten. Hierzu werden u. a. Leitlinien und Satzungen erlassen[6], Koordinierungsbüros eingerichtet[7] und Vorhabenlisten[8] veröffentlicht. Die unterschiedlichen Beispiele ermöglichen inzwischen eine systematische und vergleichende Analyse der Faktoren, die zum Einen eine Beteiligungspraxis unabhängiger von bestimmten Personen und Gruppen machen, und zum Anderen dafür sorgen, dass Beteiligung nicht nur als schönes Modell, sondern auch als nachhaltige Praxis besteht. In Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung „Leipzig weiter denken“[9] der Stadt Leipzig sowie dem Procedere Verbund[10] und dem Qualitätsnetzwerk Bürgergutachten[11] wurde deshalb eine Expertenwerkstatt mit ca. 50 Teilnehmern durchgeführt, auf der die Faktoren für eine „robuste“ Beteiligungspraxis in einem kollegialen und partizipativen Prozess aus Sicht von Beteiligungsexperten herausgearbeitet wurden.[12]

Schlüsselfaktoren für eine „robuste“ Institutionalisierung von Beteiligung

Während der Expertenwerkstatt diskutierten fünf Arbeitsgruppen über die Frage, was bedacht bzw. geregelt werden muss, damit Beteiligung gelingt und robust fortbesteht. Hierzu wurden Vorschläge erarbeitet, die in einer Plenumssitzung gemeinsam begutachtet und nach Bedeutung gewichtet wurden. Das Ergebnis wurde in Form von sechs zentralen Schlüsselfragen herausgearbeitet (Abb. 2).

Abb. 2: Schlüsselfragen für eine „robuste“ Institutionalisierung von Beteiligung

Schlüsselfragen für eine „robuste“ Institutionalisierung von Beteiligung

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Ergebnisse einer Expertenwerkstatt in Leipzig

Kernaussage der Experten ist, dass eine robuste (und damit auch frustrationstolerante) Beteiligungspraxis nur dann kommt, bleibt und wirkt, wenn diese tief im kommunalen (Unter-)Bewusstsein – also kulturell (1) – verwurzelt ist. Alle weiteren Punkte (2–6) zahlen damit auf das Ent- und Bestehen einer Beteiligungskultur ein, entfalten sich aber letztlich auch erst richtig, je vitaler diese ist.

Ad 1: Leitbild einer vitalen Beteiligungskultur

Mit den Bemühungen, eine Institutionalisierung von Beteiligung zu erreichen, wird der Pfad zu einer „kommunalen Beteiligungskultur“ beschritten (Bock et al. 2013). Abbildung 2 verdeutlicht allerdings, dass nicht direkt auf eine Beteiligungskultur hingewirkt werden kann oder dass es ausreichen würde, eine solche Kultur „auszurufen“. Vielmehr sind hierzu Maßnahmen an Verfahren und Strukturen erforderlich, deren Wirkungen positiv auf eine Beteiligungskultur wirken. Im Bild eines Brunnens (Abb. 3) mit mehreren übereinander angelegten Schalen, bei dem das Wasser von der oberen in die unteren Schalen fließt, kann dies sehr vereinfacht illustriert werden (grundlegend Fuhrmann 2009):

Abb. 3: Schematische Darstellung der Interventionskaskade

Schematische Darstellung der Interventionskaskade

Quelle: Eigene Darstellung auf Basis von Fuhrmann 2009

Das Entwickeln und Stärken einer Beteiligungskultur beginnt mit dem noch zaghaft ausprobierenden Anwenden von partizipativen Verfahren (Prozeduren[13]). Diese sich dann weiter einspielende Verfahrenspraxis führt dazu, dass Anpassungen an den politischen Strukturen sinnvoll und notwendig, aber auch erst sichtbar und möglich werden. Durch diese Strukturanpassungen wird wiederrum mit der Zeit die politische Kultur in einer Kommune beteiligungsaffin geprägt – denn wie jede Kultur, so entsteht auch eine Beteiligungskultur erst durch positive (Beteiligungs-)Erfahrungen, d. h. Beteiligung wird im Denken und Handeln der Personen zu einer selbstverständlichen Kategorie. Es findet ein demokratischer Wertewandel statt: Nicht mehr wer beteiligen will, muss dies begründen, sondern wer ausschließen will. Doch damit dieser kollektive Lernkreislauf gelingt, bedarf es eines strategischen Gestalters, der diese Beteiligungsarchitektur aufbaut und stetig weiterentwickelt – ganz im Sinne einer lernenden Organisation (Argylis/Schön 1999), bedarf es dazu des kommunalpolitischen Selbstverständnisses einer lernenden Beteiligungskommune.

Ad. 2: Schnittstellenpolitik als kommunalpolitische Schlüsselaufgabe

Gute Beteiligung an kommunaler Politik und Verwaltung muss bedeuten, dass die Stadtgesellschaft in z. T. langwierige politische und administrative Prozesse einbezogen wird. Es muss eine „prozessuale Verzahnung“ der Akteure aus Bürgerschaft, Politik und Verwaltung stattfinden (Klages/Vetter 2013, S. 45). In dieser Aussage wird auf zweifache Weise deutlich, dass eine aktive, transparente und verlässliche Ausgestaltung der Schnittstellen erforderlich ist: Betroffen ist nicht nur eine prozedurale Kopplung von Beteiligungs-, Politik- und Verwaltungsabläufen – was schon schwierig genug sein kann –, sondern auch eine Kopplung höchst unterschiedlicher Akteure aus Bürgerschaft, Stadtgesellschaft, Politik und Verwaltung. Wie in Abbildung 1 dargestellt, umfasst eine nachhaltige Erschließung des Beteiligungspotenzials das Ausgestalten der vier Schnittstellen (d. h. nicht nur zwischen Zivilgesellschaft und politisch-administrativem System – sondern jeweils auch innerhalb dieser).

Schnittstellen können hierbei Organisationseinheiten sein, die explizit die Aufgaben der Kopplung zwischen den Prozessen und Akteuren wahrnehmen, wie z. B. eine Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung in der Verwaltung. Schnittstellen sind aber letztlich all jene Bereiche, an denen zwischen unterschiedlichen Akteuren Austausch stattfindet. Insofern geht es nicht nur um die Schaffung von Organisationseinheiten, sondern auch um die Formalisierung des Austauschs zwischen Organisationseinheiten bzw. unterschiedlichen Akteuren. Für die Verlässlichkeit der Schnittstellen wurde von den Experten der Bedarf von Satzungen und Dienstanweisungen hervorgehoben.

Ad 3: Stadtgesellschaftsweite Befähigungsoffensive

Beteiligung stellt im Handeln der meisten Akteure etwas Neues dar. Das vorherrschende Selbstverständnis von Experten-, Mandats- und Amtsträgern definiert sich eher durch eine aus- denn einschließende Haltung. Auch bei Ausbildung, Besetzung und Beförderung wird auf partizipative Kompetenz bislang wenig Wert gelegt. D. h. Wissen und Kompetenzen zu Beteiligung können weder in Politik und Verwaltung, aber auch nicht in Medien, Wirtschaft, Kultur, Bildung vorausgesetzt werden. Es braucht ein Bewusstsein dafür, dass Beteiligungskompetenz sukzessive von allen Akteuren der Stadtgesellschaft erworben wird. Dieses Lernen erfolgt am Besten durch emotional positiv besetztes Erleben von Beteiligtwerden – also durch Beteiligungsprozesse im eigenen Lebens- und Arbeitsbereich (d. h. in (und zwischen) Verwaltung, Partei, Nachbarschaft, Verein, Schule, Kirchengemeinde, ...).

Ad 4: Verlässliche Ressourcenbereitstellung

Eine kalkulierbare und ausreichende Ressourcenbasis wird für eine robuste Beteiligungspraxis dreifach benötigt: 1. zur Ausgestaltung der Schnittstellen (z. B. einer Koordinierungsstelle), 2. zur Durchführung der Beteiligungsprozesse selbst und 3., je nach Gegenstand, für zusätzliche Umsetzungswünsche aus den Prozessen. Diese Ressourcen umfassen explizit dafür frei- oder eingestellte Mitarbeiter sowie budgetierte Finanz- und Sachmittel als auch darüber hinausgehend spezifisches Personal (z. B. Moderatoren), Material (Moderationsmittel) und Infrastruktur (u. a. besondere Räumlichkeiten). Ohne diese Mittel, wird Beteiligung nicht ernst genommen. Denn erst durch die Mittelausweisung im Haushalt und das Schaffen von Personal- und Organisationsstellen werden auch Erwartungen an die entsprechenden Organisationseinheiten gerichtet und ausgedrückt, dass das Beteiligungsleitbild wirklich ernst gemeint ist. Zudem bedingen Haushaltsposten u. U. eine gewisse Zähigkeit, denn einmal bereitgestellte Mittel können zukünftig nicht ohne weiteres wieder gestrichen werden.

Bei der Bereitstellung von Ressourcen für Beteiligung können innovative Wege beschritten werden. Bspw. könnte ein Beteiligungsfonds ins Leben gerufen werden, der sich durch regelmäßige Einzahlungen aus Großprojekten und Unternehmensbeiträgen speist. Es kann auch zur Pflicht werden, Mittel für Beteiligung in den Budgets von Vorhaben vorzusehen.

Ad 5: Einbindung der Gestaltungsmächtigen sicherstellen

Der Begriff der Gestaltungsmächtigen bezieht sich nicht nur auf die Inhaber der politischen und administrativen Spitzenpositionen, sondern auch auf weitere Akteure der Stadtgesellschaft, deren Wort z. B. Gewicht hat („graue Eminenzen“), die als Investoren über das Kapital für Gestaltungen der Kommune verfügen oder als Vereins- und Verbandssprecher Beteiligung in ihren Gruppen thematisieren können[14]. Zusammengefasst geht es um die Einbindung von Akteuren, die sich nicht an Beteiligungsverfahren beteiligen müssten; und zwar sowohl innerhalb von Politik und Verwaltung als auch in der Stadtgesellschaft.

In einigen Kommunen haben die (Ober-)Bürgermeister und Dezernenten erkannt, dass sie sich in ernstzunehmender Weise zu Beteiligung positionieren müssen[15]. Ohne diese Positionierung fehlt Verwaltungsmitarbeitern die Verbindlichkeit bei ihrer Beteiligungsarbeit und der Stadtgesellschaft das Vertrauen in Beteiligungsverfahren. Zur Einbindung von Gestaltungsmächtigen außerhalb von Politik und Verwaltung bietet sich z. B. an, explizit um ihre Beteiligung zu werben, d. h. diese Akteure persönlich anzusprechen. Ergänzend kann eine Veranstaltungsreihe organisiert werden, in der jeweils spezifisch für jede Gruppe von Gestaltungsmächtigen gefragt wird, wie Beteiligung in ihrem Bereich erfolgreich umgesetzt wird. Insbesondere die Einbindung von Meinungsmachern aus Medien, Kultur und Bildung ist für ein nachhaltig wirkendes Beteiligungsmodell essentiell. Denn eine Beteiligungskultur entsteht nicht nur durch das, was im Beteiligungsprozess selbst zwischen den Beteiligten (quasi auf dem Spielfeld) passiert, sondern auch durch die konstruktive und wertschätzende Resonanz von Außerhalb, davor und danach (d. h. vom Spielfeldrand und zwischen den Spielen).

Ad 6: Eine Politik, die Beteiligung im Kleinen und Großen erfahrbar macht

Auf den ersten Blick mag dieser Schlüsselaspekt „verspielt“ oder gar „niedlich“ anmuten. Wenn man sich allerdings vergegenwärtigt, dass ein Gelingen von Beteiligung u. a. vom Engagement und einer zumindest nicht vollkommen ablehnenden Grundhaltung gegenüber Beteiligung der involvierten Akteure abhängig ist, dann wird auf den zweiten Blick deutlich, dass Beteiligung als etwas Sinnvolles und Nützliches erfahrbar sein sollte. Verschiedene Gruppen bedürfen hierbei nicht nur differenzierter Informationen und Informationskanäle, sondern auch individueller Erlebnis- und Vergegenwärtigungsereignisse.

Beteiligung zu erfahren, bezieht sich nicht nur auf die Atmosphäre während der Beteiligungsverfahren und -veranstaltungen, sondern auch auf den Sinn von Beteiligung in Bezug auf den Umgang und die weitere Berücksichtigung von Ergebnissen aus Beteiligungsverfahren. Insofern benötigt es nicht nur ansprechende Beteiligungsveranstaltungen (z. B. durch Bereitstellung von Getränken, eine helle Raumgestaltung, eine abholende und respektvolle Sprache und die Vermeidung „dröger“, durchmoderierter „Torturen“), sondern auch ein Ernstnehmen von Ergebnissen innerhalb des Beteiligungsverfahrens und darüber hinaus. Denkt man bspw. in Beteiligungsprozessen anstatt in einzelnen Veranstaltungen, dann wird allein durch die prozedurale Sichtweise deutlich, dass es ernstzunehmendem Feedback und differenzierter Stellungnahmen zu den Ergebnissen aus Veranstaltungen bedarf, um Vertrauenskapital aufzubauen. Dabei sollten nicht nur die direkt Beteiligten den Sinn und Nutzen von Beteiligung erfahren, sondern auch die übrige Stadtgesellschaft sollte davon Kenntnis nehmen können.

Es kann vorkommen, dass diese Perspektive ausschließlich auf die Beteiligten außerhalb von Politik und Verwaltung angewandt wird, d. h. Beteiligung „nur“ für diese Akteure erfahrbar zu gestalten. Aber auch für Verwaltungsmitarbeiter und politische Mandatsträger sollten Beteiligungsverfahren als sinnvolle und nutzenbringende Aktivitäten gestaltet und erfahrbar werden. Denn häufig kommt den kommunalen Verwaltungen als „Durchführer“ von Beteiligung sowie dem Gemeinde- oder Stadtrat als „Abnehmer“ und demokratische Legitimationsinstanz von Beteiligungsergebnissen eine entscheidende Bedeutung zu. Die Bürger- und Engagiertenbeteiligung ist somit nicht die eigentliche Herausforderung, sondern die Politiker- und Verwaltungsbeteiligung, als auch die Medien- und Öffentlichkeitsbeteiligung. Nicht nur die Beschleuniger, sondern auch die Bremser gehören eingebunden.

3     Beteiligungspraxis schrittweise aus- und aufbauen

Eine robuste Beteiligungspraxis ist kein einheitlicher Zustand, den jede Kommune mit einem Schritt oder einmaligen Beschluss erreicht. Vielmehr erfordert dies eine beständige und flexible Beteiligungspolitik, die dem Diktum von Max Weber von „Politik als Bohren dicker Bretter“ weitestgehend entspricht; umso mehr, als das Umprägen der etablierten politischen Kultur einer Kommune ein hoch komplexes und dynamisches Vorhaben darstellt, für das letztlich auch der aufwändige Auf- und Ausbau einer wirkungsvollen Beteiligungsinfrastruktur an den relevanten Knotenpunkten der Stadtgesellschaft erforderlich ist. Gerade der dafür erforderliche wechselseitige Vertrauensaufbau geht nicht mit einem Ruck.

Solch eine Beteiligungspraxis kann darum auch niederschwellig und pragmatisch angegangen werden. Wichtig ist nur, dass von Beginn an die genannten Erfolgsfaktoren beachtet werden und dass damit die strategische Botschaft verbunden ist, nämlich dass Beteiligung zukünftig weiter getestet, ausgebaut, vertieft und angepasst werden soll. Richtungsweisende Startzeichen dafür sind, wenn z. B. Kommunen Evaluationen ihrer Beteiligung vorsehen[16] oder Beteiligung als Modellprojekt[17] angelegt haben. Das Entwickeln des Modells in einem trialogischen Prozess mit Vertretern aus Politik, Verwaltung und Bürgerschaft hat sich darüber hinaus bewährt.[18] Die Verwaltungsspitze als Treiber scheint auch hier erforderlich. Eine nähere Untersuchung der Erfolgsfaktoren für eine solche Institutionalisierung von Beteiligung steht noch aus.[19]

4     Ausblick: Beteiligungspraxis erfordert prozedurale Verfahrenskompetenz

Beteiligung als Praxis, in Form von unterschiedlichen Beteiligungsverfahren zu gestalten, geht damit einher, nicht von bestimmten Beteiligungsmethoden her zu denken, sondern von den Anforderungen und Zielen einer bestimmten Situation auszugehen. Unterschiedliche Situationen können den Einsatz unterschiedlicher Beteiligungsmethoden erfordern. In einem Fall reicht eine Präsentation als Informationsveranstaltung vollkommen aus, in einem anderen Fall müssen Konflikte bearbeitet oder innovative Lösungen entwickelt werden. Beteiligungsverfahren gibt es genug – eher schon fast zu viele. Doch welches taugt für den eigenen Fall gerade am besten? Je mehr und unterschiedlichere (z. B. zunehmend auch digitale und gruppendynamische) Beteiligungsverfahren es gibt, umso wichtiger wird es, das handwerkliche (prozedurale) Wissen zu beherrschen, wann welches Verfahren wie geeignet ist (und wann gerade nicht).[20]

Für die Analyse von Beteiligungssituationen und die Bewertung von Beteiligungsverfahren steht die sog. Meta-Matching-Method (MMM) zur Verfügung (Fuhrmann/Brunn 2005). Diese ist aus einem transdisziplinären Forschungsprojekt hervorgegangen, welches das Ziel hatte, die Fülle an möglichen Beteiligungsformaten für die politische Praxis zugänglich zu machen.[21]

Das Ziel sollte darum sein, nicht nur – in den Worten Willy Brandts – mehr Demokratie zu wagen, sondern – gerade weil es so wichtig und gegenwärtig noch dringlicher ist – Demokratie zu können. Denn kommunalpolitische Herausforderungen, wie gegenwärtig verschärft durch die Flüchtlingsaufnahme, gelingen besser und nachhaltiger durch das Einbinden und Einbeziehen der Betroffenen und Geforderten. Die Inklusion von „Randgruppen“ – wie bspw. Migranten – erfordert darum fortdauernd Beteiligung zu lernen und an die Möglichkeiten und Bedürfnisse der zu Beteiligenden anzupassen. Der Prozess des Erprobens, Anpassens und Verstetigens von agilen und differenzierten Beteiligungsmodellen steht darum erst am Anfang – eines guten, vielversprechenden Anfangs.

Anmerkungen

[1] Siehe z. B. Geißel et al. 2014, S. 21

[2] Z. B. in den Städten Bonn, Darmstadt und Heidelberg (Stadt Bonn 2014; Wissenschaftsstadt Darmstadt 2015; Stadt Heidelberg 2015).

[3] Zum Begriff der „Verstetigung“ im Zusammenhang mit Bürgerbeteiligung, s. Klages/Vetter 2013 und Vetter et al. 2013.

[4] Auch weil bei genauerem Hinsehen, in den meisten Fällen mehr eine Engagierten- und Expertenbeteiligung erfolgt, denn eine breite, repräsentative Einwohnerbeteiligung. Das emphatische Bild des Bürgers überfordert.

[5] Zwischen formeller und informeller Beteiligung kann danach unterschieden werden, ob eine Beteiligung gesetzlich vorgegeben ist (formelle Beteiligung) (Klages 2015, S. 3–4). Sicherlich ist mit einer Institutionalisierung von „informeller“ Beteiligung noch kein gesetzlicher Anspruch auf diese Verfahren wie bei Wahlen oder Bürgerbegehren erreicht, aber dennoch wird Beteiligung geregelt und strukturiert.

[6] Für Beispiele s. Anm. 2. Eine weitergehende Übersicht ist beim Netzwerk Bürgerbeteiligung zu finden: http://www.netzwerk-buergerbeteiligung.de/kommunale-beteiligungspolitik-gestalten/kommunale-leitlinien-buergerbeteiligung/sammlung-kommunale-leitlinien/ (download 25.2.16).

[7] Z. B. in Heidelberg und Potsdam.

[8] Zum Beispiel in den in Anm. 2 genannten Kommunen. Aber u. a. auch in Heilbronn, Stadthagen und Wolfsburg (Stadt Heilbronn 2016; Stadt Stadthagen 2016; Stadt Wolfsburg 2016).

[9] http://www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/buergerbeteiligung-und-einflussnahme/leipzig-weiter-denken/ (download 25.2.16).

[10] http://www.procedere.org

[11] Unter http://www.nexusinstitut.de/de/institut/archiv/69-archiv-2014/586-20102014-aktuelle-neuerscheinung-qualitaet-von-buergerbeteiligungsverfahren befindet sich ein Hinweis auf das Qualitätsnetzwerk (download 25.2.16).

[12] Die Dokumentation der Tagung ist zu finden unter http://procedere.org/?event=institutionalisierung-von-buergerbeteiligung-wie-koennen-beteiligungsmodelle-fuer-kommunen-wetterfest-gemacht-werden (download 25.2.16).

[13] Ohne auf verfahrenstheoretische Differenzierungen einzugehen, kann generell von Prozeduren, u. a. im Sinne auch von Prozessen, Abläufen, Interventionen gesprochen werden – s. a. Fuhrmann (2009, S. 428ff.).

[14] Die Darmstädter Leitlinien gehen hinsichtlich der geplanten Bekanntmachung einer Vorhabenliste bereits in diese Richtung, wenn „relevante Gremien mit Multiplikatorenfunktion“ angesprochen werden sollen, die Vorhabenliste regelmäßig auf ihre Tagesordnung zu setzen (Wissenschaftsstadt Darmstadt 2015, S. 15).

[15] In Mannheim z. B. wurde einer Handreichung für Verwaltungsmitarbeiter, die Beteiligungsverfahren initiieren, begleiten und durchführen, ein Kurzinterview des Oberbürgermeisters zum Thema Beteiligung vorangestellt (Stadt Mannheim 2013, S. 2–3).

[16] Vgl. Stadt Heidelberg 2014.

[17] Vgl. Stadt Potsdam 2015.

[18] So u. a. in Heidelberg, Leipzig, Wolfsburg, Konstanz, Potsdam, Darmstadt.

[19] Eine erste Untersuchung hierzu wird vom Koautor Moritz Brunn in seinem gegenwärtigen Promotionsvorhaben an der Universität Erfurt unternommen. Kontakt: brunn∂procedere.org

[20] Ausführlicher im Anhang des Gutachtens „Beteiligungsformate beurteilen und erschließen“ (Fuhrmann 2014), wo u. a. 200 Beteiligungsverfahren aufgeführt sind, um deutlich zu machen, dass nicht ein Zuwenig, sondern eher ein Zuviel an Auswahlmöglichkeit das Problem darstellt – zumindest, wenn man nicht über die entsprechenden Verfahrenskunde und Anwendungskunst verfügt.

[21] Forschungsgruppe „Procedural Approaches to Conflict Resolution: Designing Analytical Support for Interactive Group Decision Making“ 2002–2003 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) der Universität Bielefeld, wo der Autor, Raban D. Fuhrmann, eine dafür geeignete allgemeine politische Verfahrenstheorie entwickeln konnte. Der Procedere Verbund ist zur Fortführung dieses Anliegens daraus hervorgegangen und widmet sich seit dem der Entwicklung und Verbreitung solcher prozeduralen Metakompetenzen, um die Fülle an Partizipationsmöglichkeiten angemessen zu erschließen. Kontakt: fuhrmann∂procedere.org.

Literatur

Argylis, C.; Schön, D.A., 1999: Die Lernende Organisation. Grundlagen, Methode, Praxis. Stuttgart

Bock, S.; Reimann, B.; Beckmann, K.J., 2013: Auf dem Weg zu einer kommunalen Beteiligungskultur. Bausteine, Merkposten und Prüffragen Anregungen für Kommunalverwaltungen und kommunale Politik. Berlin

Buchstein, H., 2013: Die Versprechen der Demokratie und die Aufgaben der Politikwissenschaft. Eröffnungsvortrag zum 25. Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. In: Buchstein, H. (Hg.): Die Versprechen der Demokratie. 25. wissenschaftlicher Kongress der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft. Baden-Baden, S. 25–44

Fuhrmann, R.D., 2009: Prozedurale Politik. Auf dem Weg zu einer politischen Verfahrenstheorie. Witten/Herdecke

Fuhrmann, R.D., 2014: Beteiligungsformate beurteilen und erschließen – Eine Übersicht zu Vielfalt, Einsatz und Wirkung von informellen Bürgerbeteiligungsverfahren. Gutachten für den 2. Engagementbericht der Bundesregierung

Fuhrmann, R.D.; Brunn, M., 2005: Stärkung der kommunalpolitischen Arbeit durch co-aktive Problemlösungsverfahren – Eine Auswahlhilfe für kommunale Entscheider. In: Stock, A.; Kegelmann, J. (Hg.): Kommunalpolitik der Zukunft. Partnerschaftlich und professionell. Stuttgart, S. 121–144

Geißel, B.; Roth, R.; Collet, S. et al., 2014: Partizipation und Demokratie im Wandel – Wie verändert sich repräsentativer, deliberativer und direktdemokratischer Elemente? In: Bertelsmann Stiftung; Staatsministerium Baden-Württemberg (eds.): Partizipation im Wandel. Unsere Demokratie zwischen Wählen, Mitmachen und Entscheiden. Gütersloh, S. 11–39

Gohl, C., 2011: Prozedurale Politik am Beispiel organisierter Dialoge. Wie politische Beteiligung professionell gestaltet werden kann – Eine Grundlegung. Münster

Klages, H., 2015: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Verschiedene Ansätze einer Verstetigung und Institutionalisierung der Beteiligung. Düsseldorf

Klages, H.; Vetter, A., 2013: Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene. Perspektiven für eine systematische und verstetigte Gestaltung. Berlin

Stadt Bonn, 2014: Leitlinien Bürgerbeteiligung. Bonn

Stadt Heidelberg, 2014: Evaluationsbericht zu den Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg 2014. Zusammenfassung

Stadt Heidelberg, 2015: Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung in der Stadt Heidelberg. Heidelberg

Stadt Heilbronn, 2016: Vorhabenliste der Stadt Heilbronn; https://www.heilbronn.de/bue_rat/buergerbeteiligung/vorhaben/ (download 25.2.16)

Stadt Mannheim, 2013: Mannheim gemeinsam gestalten! Bürgerbeteiligung. Mannheim

Stadt Potsdam, 2015: Potsdam mitgestalten: Modellprojekt Strukturierte Bürgerbeteiligung – 1. Jahresbericht 2014

Stadt Stadthagen, 2016: Vorhabenliste der Stadt Stadthagen; http://www.stadthagen.de/city_info/webaccessibility/index.cfm?region_id=228&waid=675&item_id=865805 (download 22.7.16)

Stadt Wolfsburg, 2016: Vorhabenliste; http://wwww.wolfsburg.de/~/media/Wolfsburg/Statistik_Daten_Fakten/MitWirkung/Vorhabenliste.ashx (download 22.7.16)

Vetter, A.; Klages, H.; Ulmer, F., 2013: Bürgerbeteiligung braucht Verstetigung und Verlässlichkeit: Gestaltungselemente einer dauerhaften und systematischen Bürgerbeteiligung in Städten und Gemeinden, In: Der moderne Staat 6/1 (2013), S. 253–271

Wissenschaftsstadt Darmstadt, 2015: Damit alle mitmachen können. Leitlinien zur Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Darmstadt

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