Wissen und Risiko. Informations- und Wissensmanagement im Kontext von Risk Governance

Diskussionsforum

Wissen und Risiko

Informations- und Wissensmanagement im Kontext von Risk Governance[1]

von Christoph Groneberg, Institut für Medienforschung, Universität Siegen, und Florian Neisser, Geographisches Institut, Universität Bonn

Wissen ist mehr als Information. Zwar stellt das sog. Risk Governance Framework in der Konzeption des International Risk Governance Council einen integrativen und umfassenden Ansatz dar. Jedoch lässt er den für das Risikomanagement bedeutsamen Aspekt des Wissensmanagements unberücksichtigt. Dieser Beitrag will daher entlang des Wissensmangementprozesskreislaufs sowie des „experimental learning cycle“ einen Vorschlag für die Implementierung eines qualifizierten Wissensmanagements unterbreiten, der den Umgang mit Wissen und Nichtwissen als einen signifikanten Baustein in allen Phasen des Risk Governance Frameworks berücksichtigt.

1     Einführung

Vor, während und nach einer Katastrophe sind die Generierung und der Austausch von Daten, Information und Wissen essentiell. Jedoch zeigt eine Beschäftigung mit der Thematik Risikomanagement, dass z. B. eine explizite Beschäftigung mit Wissen (und Nichtwissen) kaum geleistet wird. Blickt man hingegen auf die einschlägigen Arbeiten zur sog. „Wissensgesellschaft“ (Lane 1966; Bell 1973; Stehr 1994; Hubig 2000) werden Aspekte des Risikos ausgeklammert. Das vom International Risk Governance Council (IRGC) eingeführte Konzept des Risk Governance (2006; 2008) zielt auf das Bündeln von Maßnahmen zur Vermeidung, Reduzierung, Transferierung oder Eindämmung von Risiken (IRGC 2008, S. 13) und baut auf unterschiedlichen Formen von Wissen und Strategien zum Umgang mit Nichtwissen auf. Dabei geht es über den engeren Begriff des Risikomanagements hinaus und stellt ein Vier-Phasen-Konzept (vgl. Kap. 4) der Risikosteuerung (Renn/Dreyer 2010, S. 69) dar. Als Querschnittsaufgabe wird Risikokommunikation (Risk Communication) und der damit verbundene Informationsaustausch als zentral und kontinuierlich verlaufend im Konzept verankert gesehen. Zur Frage, „wie“ der Informationsaustausch stattfindet, bleiben Renn (2008) und auch das IRGC (2006, 2008) eine Antwort schuldig. Renn (2008, S. 208ff.) lässt darüber hinaus Erkenntnisse zum Wissensmanagement außen vor.[2] Aber gerade das Management von Informationen (und Wissen) ist ein gängiges Problem im Zusammenhang mit Risikokommunikation (Smallman 1999, S. 13). Die Intention des Beitrags ist es, diese Lücke hinsichtlich der Bedeutung von Wissen und der Art und Weise des Informationsaustauschs sowohl zu adressieren als auch zu schließen. In diesem Sinne plädieren die Autoren für eine explizite Berücksichtigung von Wissensmanagement innerhalb des Risk Governance Frameworks, um die voneinander abhängigen Aspekte Wissen, Nichtwissen und Risiko konsequenterweise in ihren Zusammenhängen zu erfassen. Basierend auf der wissenschaftlichen Debatte um Wissen, Nichtwissen und Risiko wird hier ein Vorschlag für die Integration von Wissensmanagement im Kontext des Risk Governance gemacht.

2     Wissen, Nichtwissen und Risiko

Es existieren zahlreiche Definitionen und Annäherungen an den Begriff Wissen und seine Implikationen. Der Weg der Philosophiegeschichte führt von den antiken Philosophen Platon und Aristoteles über Berkeley, Hume und Kant zur Erkenntnis, dass das Subjekt seine Umwelt konstruiert und Kategorien wie Wahrheit und damit die Erkenntnis einer ontischen Wirklichkeit nicht erfüllbar sind. Damit befindet man sich bereits in direkter Nähe zu heutigen Erkenntnissen der Kognitionswissenschaft (z. B. Maturana 1985; Maturana 1987; Anderson/Funke 2007), die zeigen, dass Wahrnehmen, Erkennen und Verarbeiten von Gegenständen, Ereignissen und Situationen konstruktive Akte sind, an die der Einzelne subjektive Relevanzkriterien anlegt (Foerster 1993, S. 279), die es ihm erlauben, sich an die Umwelt optimal anzupassen und zu überleben.

Eine Differenzierung in ontologisches und empirisches Wissen wird von Rusch (1987) aufgeworfen. Dabei steht ersteres nicht nur für „unsere religiösen, mystischen oder sog. metaphysischen Ontologien, sondern ebenso [...; für] die Vielzahl der konkreten Dinge, etc., mit denen wir täglich umgehen, und für die Menge der abstrakten Dinge und Vorstellungen, die in unserem Denken eine Rolle spielen“ (Rusch 1987, S. 239). Empirisches Wissen ist dagegen „Erfahrungswissen. Indem wir in den Begriffen unserer Kognition er-leben, was uns während und infolge unserer Tätigkeit widerfährt, machen wir Erfahrungen. Und nur diese Erfahrungen machen unser empirisches Wissen aus“ (Rusch 1987, S. 239). Zugleich kann dieses empirische oder eben operationale Wissen in intersubjektive Kontexte eingebunden und demonstriert werden. Zu berücksichtigen ist dabei aber einerseits, dass diese Integration nicht die Übertragung von Wissen zwischen Individuen beschreibt, da die Kognitionsunabhängigkeit weiterhin gilt und daher andererseits die Intersubjektivierung von Wissen überhaupt nur unter der Bedingung hoher kognitiver Parallelität überhaupt möglich ist (Rusch 1987, S. 247).

Das diesem Beitrag zugrundeliegende Verständnis von Wissen lautet also im Anschluss an Maturana (1985; 1987), Rusch (1987), Glasersfeld/Köck (1997) und Anderson/Funke (2007) wie folgt: Von Wissen kann gesprochen werden, wenn man in einem Moment, in dem sich die aus der Interpretation von (Sinnes-)Daten gewonnenen Informationen in der Verfolgung von Zielen, d. h. in ihrer Anwendung als brauchbar oder nützlich erweisen bzw. man ein Repertoire von Fähigkeiten (Begriffen, begrifflichen Beziehungen, Handlungen und Operationen) besitzt, das es ermöglicht, viabel zu operieren. Die Wertigkeit des Wissens ergibt sich dabei nicht durch das Kriterium der Wahrheit, sondern durch die Brauchbarkeit, d. h. den Erfolg oder Misserfolg beim Handeln. Wissen besitzt dadurch keinen ontologischen Status und erhebt keinen Anspruch Abbild einer Realität, sondern nur zeit- und zweckrelativ im Rahmen individueller Wirklichkeitskonstruktionen zu sein.

Blickt man nun anschließend auf „Risiko“ zeigt es sich als antizipiertes und potenziell in einer Zukunft mögliches Ereignis mit gegenwärtigen Entscheidungen als Zurechnungsgrundlage. Weiterhin stellen sich gerade räumlich und zeitlich entgrenzte Risiken und Ausmaße von Katastrophen als problematisch dar, denn diese „[…] sprengen die an Dingen und an Kausalitäten orientierten Realitätsvorstellungen des Einzelmenschen und der kommunikativen (sprachlichen) Praxis der Gesellschaft“ (Luhmann 1992, S. 167). Versteht man vor diesem Hintergrund aus systemtheoretischer Perspektive Wissen, so stellt sich die Übertragung in handhabbares und anschlussfähiges Wissen (Luhmann 1992, S. 167) als problematisch dar, da es sich immer um jeweils verschiedene Unterscheidungen handelt. Aus diesem doppelten Problem ergibt sich die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit Nichtwissen und Risikowissen (Böschen/Wehling 2012).

Nichtwissen rekurriert auf „Kontexte und Situationen die [für] Handlungs- und Entscheidungsfolgen nur unvollständig oder gar nicht antizipierbar sind“ (Böschen/Wehling 2012, S. 320). Daher muss die Logik des Umgangs mit Entscheidungsfolgen im Kontext von Nichtwissen primär politischer Natur sein, d. h. über Aushandlungsprozesse vollzogen werden. Hingegen ist Risikowissen durch Erkennbarkeit und Zurechenbarkeit der Entscheidungsfolgen sowie wissenschaftlich-technische Logik geprägt.

Nichtwissen ist dabei als Produkt und Folge von Wissensgenerierung und wissenschaftlicher Forschung zu sehen (Wehling 2001, S. 467) und jedes Wissen um die Entstehung eines Risikos führt nicht zu einer Minderung, sondern zu einer Erhöhung des Risikos (Pohl 1998, S. 161). Es wird deutlich, dass gerade vor dem Hintergrund des Risikomanagements die Frage nach einem äquivalenten Umgang mit Nichtwissen virulent wird. Doch welche Möglichkeiten hat man, mit diesem Dilemma umzugehen?

Als Schlussfolgerungen der Betrachtungen formulieren Böschen/Wehling (2012) die Vorschläge, dass es 1.) kontextspezifischer Strategien zum Umgang mit Risiken und Nichtwissen, 2.) einer Entfaltung von „Wissensprozessordnungen“ (Böschen 2011) im Sinne eines nachvollziehbaren „Prozess[es] der Erstellung von entscheidungsrelevante[m] (Nicht-)Wissen“ und 3.) einer Berücksichtigung der politischen Dimension von Entscheidungen unter Bedingungen des Nichtwissens bedarf (Böschen/Wehling 2012, S. 326ff.). Wie Wehling (2001, S. 474) es im Gegensatz zur Luhmannschen Systemtheorie ausführt, ist es grundsätzlich nicht auszuschließen, dass ökologisches Nichtwissen in „handhabbares“ Wissen überführt werden kann. Wie dieser Transfer und das Management von Wissen im Kontext der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Wissensmanagement aussehen können, wird im Folgenden dargelegt.

3     Wissensmanagement – Daten, Informationen und Wissen

Wissensmanagement ist ein z. B. in der Betriebswirtschaftslehre, Informatik oder Soziologie[3] viel diskutiertes Thema (u. a. Nonaka/Takeuchi 1997; Willke 2001; Meinsen 2003; Probst et al. 2006; Schumann/Hess 2006; Davis et al. 2006; Wirtz 2009). Die Betrachtung von Wissensmanagement umfasst dabei sowohl eine organisationale als auch eine technische Dimension. Aus der einschlägigen Literatur lassen sich einige zentrale Elemente des Wissensmanagements entnehmen, die auch für die hier diskutierten Aspekte von Relevanz sind. Im Folgenden werden daher 1.) der Begriff „Wissen“ (vgl. Kap. 2), 2.) der Begriff „Management“ und 3.) die operationale Umsetzung von Wissensmanagement theoretisch diskutiert.

Schumann und Hess (2006) erkennen als Hauptaufgaben des Managements die Bereiche Planung und Kontrolle (prozessuale Funktion), Organisation und Disposition (strukturelle Funktion) sowie Personalführung (personelle Funktion) (ebd., S. 178). Weiterhin unterscheiden sie in eine institutionelle und eine funktionale Ebene des Managements (ebd.). Diesem Verständnis schließt sich auch Wirtz (2009, S. 12) an, der die Managementprozesse in einem zyklischen Modell anordnet. Wirtz ergänzt die Funktionen Planung, Organisation und Kontrolle durch die Funktion Durchführung, die zwar keine originäre Managementfunktion darstelle, jedoch die Schließung des Kreislaufs und damit die Kontrolle des Managements ermögliche (ebd., S. 14). Der hier vorgestellte Management-Begriff ist auch auf das Management von Wissen und Risiko übertragbar.

Aus den zahlreichen Ansätzen zum Management von Wissen sollen an dieser Stelle exemplarisch das Konzept von Nonaka/Takeuchi (1997) und Probst et al. (2006) erwähnt werden. Erstere beschreiben Wissensmanagement als einen schrittweise erfolgenden und spiralförmigen Wissensschaffungsprozess (Nonaka/Takeuchi 1997, S. 13), der sich grundsätzlich an der Unterscheidung in explizites und implizites Wissen nach Polanyi (1967) orientiert. Die Unterscheidung erlaubt, dass das implizite (individuelle) Wissen für eine Organisation fruchtbar gemacht und in explizites Wissen (für die gesamte Organisation) umgewandelt werden kann (Nonaka/Takeuchi 1997, S. 71). Richtet man nun den Fokus auf den Umwandlungsprozess des Wissens selbst, kommen die vier Schritte Sozialisation, Externalisierung, Kombination und Internalisierung ins Blickfeld:

Die Abfolge der einzelnen Stufen erfolgt spiralförmig, d. h. wiederkehrend und auf vorherigen Elementen aufbauend, so dass sich daraus ein kontinuierlicher Wissensweiterentwicklungs- bzw. -managementprozess ergibt.

Ein weiteres betriebswirtschaftliches Konzept stammt von Probst et al. (2006). Als Kernprozesse organisationalen Wissensmanagements identifizieren sie Wissensbausteine, wie u. a. Wissensziele, -identifikation-erwerb, -entwicklung‚ -(ver-)teilung, -nutzung, -bewahrung oder -bewertung, die in einem interdependenten Verhältnis zueinander stehen (ebd., S. 28). Als Wissensziele verstehen sie Definitionen über zu erhaltende oder aufzubauende Kompetenzen in normativen, strategischen und operativen Bereichen einer Organisation (ebd., S. 31).

Die Definition der Wissensziele gibt deutliche Hinweise auf Fundorte und Lücken des Wissens im Bestand der Organisation, d. h., es können mittels unterschiedlicher Analysemethoden (z. B. Netzwerkanalysen, Benchmarking-Analysen, die Untersuchung der Stammdaten der Personalabteilung, Befragungen von externen Stakeholdern) Wissensträger, Wissensteilungsprozesse oder Netzwerke identifiziert werden (ebd., S. 64). Hieran wird deutlich, dass dem Individuum als Träger von Fähigkeiten, Intuitionen und Erfahrungen, d. h. als kleinster Einheit des Wissensmanagements, besondere Bedeutung zukommt. Des Weiteren kann Wissen auch erworben werden, z. B. durch Zusammenschluss oder Kooperationsvereinbarungen von Organisationen oder gezielte Rekrutierungsmaßnahmen. Für die Entwicklung neuen Wissens empfehlen die Autoren die Schaffung eines möglichst positiven Umfeldes, mit kleinen Projektteams, um eine möglichst effektive und kreative Zusammenarbeit und die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache zu ermöglichen (ebd., S. 127). Bei allen Wissensentwicklungsanstrengungen sollte den Mitarbeitern aber auch die Möglichkeit eingeräumt werden, Fehler zu machen, was auf eine notwendige Implementierung einer Fehlerkultur hinweist (ebd., S. 120).

Bei der Wissensverteilung können zwei Weisen unterschieden werden: die Multiplikation (z. B. qua Job-Rotation, Schulungen mit Schneeballverfahren, Communities of Practice (CoP) (Lave/Wenger 1991)[4] oder technische Lösungen wie einem Expertensystem), und die Entwicklung von Wissen durch die Kreativität eines Akteurs (Probst et al. 2006, S. 149ff.). Die Wissensnutzung ist als Implementierung des Wissensmanagements in das Alltagsgeschäft zu verstehen (ebd., S. 175). Zu bewahrendes Wissen muss selektiert, gespeichert und aktualisiert werden. Dafür bieten sich technische, individuelle und kollektive Methoden (z. B. Aufbau eines Nachfolgers, Mitarbeitergespräche, Identifikation von lessons learned und best practices) an (ebd., S. 191). Klar definierte Verantwortliche können anschließend für die Bewertung und Aktualität der Inhalte sorgen. Das explizierte Wissen ist dabei auf wenige Kernpunkte zu reduzieren und in einen konkreten Bezug zu Problemstellungen zu stellen, so dass es zukünftig leichter von Dritten genutzt werden kann (ebd., S. 195f.).

Abschließend bleibt zu sagen, dass die vorgestellten Wissensmanagementkonzepte zwar von kognitionswissenschaftlichen bzw. konstruktivistischen Voraussetzungen ausgehen, diese Sichtweise aber nicht durchhalten. Der Vorgang, implizites Wissen in eine explizite Form zu übertragen, führt schließlich zu nichts anderem als neuen Daten, die es von jedem Individuum zunächst wieder zu interpretieren gilt. Erst die Anwendung der Informationen unter Maßgabe ihrer Viabilität lässt Wissen entstehen. Im Wissensmanagement ist daher von der Unterscheidung, dass Daten nicht Informationen und Informationen nicht Wissen sind auszugehen, so dass diese Begriffe zur Bezeichnung unterschiedlicher Aggregationsstufen genutzt werden können. Wissen ist dabei mehr als Information, denn es umfasst ein tieferes Bewusstsein und Verständnis welches durch Erfahrungen und Lernprozesse erreicht wird (Roberts 2000, S. 430).

Bolisani/Scarso (1999, S. 212) betonen zudem ähnlich wie auch Probst et al. (2006) die nötige Kopplung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit Face-to-Face-Interaktionen, um für das Wissensmanagement optimale Voraussetzungen zu gewährleisten. Damit werden zwei wichtige Elemente für das Management von Daten, Informationen und Wissen deutlich benannt: Informationsmanagement im Umgang mit Daten und Informationen sowie Kompetenzmanagement (bzw. Wissensmanagement) im Umgang mit Handlungswissen (Reinmann-Rothmeier 2001, S. 17f.).

4     Informations- und Wissensmanagement im Kontext von Risk Governance

Das Risk Governance Framework stellt in der Konzeption des IRGC (IRGC 2006; IRGC 2008; Renn 2008) einen integrativen Ansatz dar, welcher eine Assessment-Sphäre und eine Management-Sphäre umfasst und somit Aspekte der Wissensproduktion, der Entscheidungsfindung sowie Implementierung von Handlungen einschließt (IRGC 2006, S. 13). Das Framework gliedert sich in fünf Phasen: 1.) Vorabbewertung (schließt bspw. Frühwarnung ein), 2.) Risikobeurteilung (umfasst die klassische Risikoabschätzung sowie die gesellschaftliche Risikoeinstufung), 3.) Tolerierbarkeit und Akzeptanzbeurteilung (inklusive Risikobewertung und Risikocharakterisierung) und 4.) Risikomanagement (bezieht die Implementierung bzw. Umsetzung von Strategien sowie die Entscheidungsfindung mit ein). Zudem ist 5.) (Risiko)Kommunikation[5] während des gesamten Prozesses als Querschnittsaufgabe zentral (IRGC 2006, S. 1213). Diese Sequenzierung ist idealtypisch zu verstehen.

Mit der Ausweitung von Entscheidungsmöglichkeiten durch die Zunahme von Wissen bzw. durch Technologieentwicklungen findet einerseits eine Problemverschiebung vom Gefahrenbereich in den Risikobereich, sprich in Richtung Entscheidungsabhängigkeit statt (Luhmann 1990, S. 150). Und andererseits bedeutet die bei der Generierung von Wissen stets vorhandene Mitproduktion von Nichtwissen und Unsicherheiten eine Notwendigkeit von Kommunikation und Wissensmanagement. Somit rückt einerseits unsicheres, auf (Un-)Wahrscheinlichkeiten beruhendes Wissen in den Mittelpunkt (Wehling 2001, S. 470). Es stellt sich dabei die Frage, wie im Kontext des Risk Gover nance zwischen der Sphäre der Wissensproduktion (Generation of Knowledge) und der Sphäre der Entscheidungen und Handlungen (Decision on and Implementation of Actions) die Herausforderungen des Umgangs mit Daten, Informationen und Wissen gehandhabt werden können. In diesem Zusammenhang sehen wir die in Kapitel 2 dargelegte Definition von Wissen als Grundlage für eine Querschnittsaufgabe des Risk Governance: dem Wissensmanagement. Komplementär und teilweise überlappend zur Risikokommunikation ist das Wissensmanagement in allen Phasen präsent und nimmt eine zentrale Position ein (vgl. Abb. 1). Dies führt dazu, dass zwar z. B. die Externalisierung des Wissens noch zum Wissensmanagement dazugehörig gezählt werden kann, doch das Zur-Verfügung-Stellen der dadurch erzeugten Daten oder Dokumente ist kein Wissensmanagement, sondern im weitesten Sinne Daten- und Informationsmanagement. Der folgende Vorschlag orientiert sich weiterhin entlang des Wissensmanagementprozesskreislaufs sowie dem experienital learning cycle (Smallman 1999, S. 9; Nonaka/Takeuchi 1997, S. 71).

Abb. 1: Risk Governance Framework inklusive Wissensmanagement (Knowledge Management)

Quelle: Basierend auf IRGC 2006, S. 13; Renn et al. 2007, S. 64ff.; Renn/Sellke 2014, S. 63; verändert durch die Autoren

Planung und Identifikation

Der Planungsprozess geschieht vor dem Hintergrund zu erfüllender Aufgaben, identifizierter Probleme, zu beobachtender Werte und aktueller organisatorischer Prozesse und Neuentwicklungen (ebd., S. 30ff.). Hierbei ist zunächst eine Soll-Ist-Analyse der Fähigkeiten vorzunehmen und anschließend der Erwerb identifizierter aber noch fehlender Qualifikationen (spezifisches Nichtwissen) zu planen. Eine Organisation kann diesen Prozess aktiv unterstützen, z. B. indem sie immaterielle Anreize, Möglichkeiten zum Erfahrungsaustausch, konkrete Handlungsanweisungen oder Datenbanken mit Schlagwortsuchsystemen und Vollindexsuchen zur Verfügung stellt.

Informationserzeugung

Die Informationserzeugung kann direkt aus der Beobachtung von Handlungen oder durch Schulungen, Unterhaltungen mit Experten und Kollegen oder Rezeption von Medien (Textdokumente, Präsentationen, A/V-Material usw.) erfolgen. Hierbei kommt es zu einer Organisation des Wissens sowie einem Vergleich mit bereits vorhandenen Schemata oder Kategorien, die ggf. ergänzt oder revidiert werden. Von der organisatorischen Seite sollten hierzu zeitliche, räumliche, technische und organisationale Möglichkeiten (Maschinen, Material, Räume für den Austausch in interdisziplinären und interorganisationalen Projektteams, Einbindung von Experten, Erwachsenenpädagogen, Moderatoren) geschaffen werden. Die in Datenbanken, digitalen Bibliotheken oder anderen technischen Systemen zur Verfügung gestellten Daten sollten miteinander vernetzt sein, um eine Verknüpfungen mit anderen Aufgaben- und Themengebieten bzw. Risikokontexten zu erleichtern. Damit wird die Informationserzeugung durch zusätzliche Sichtweisen angereichert, die schließlich im Idealfall in einer gemeinsamen Sprache ihren Niederschlag findet und so einen leichteren Austausch für die Bewältigung von Risiken ermöglicht.

Informationsanwendung

Da eine sofortige Anwendung neuen Wissens im operativen Risikomanagement zunächst zu riskant sein kann, können spezielle Übungsräume und -zeiten (Laboratorien, Besprechungsräume) etabliert werden. Wichtig ist dabei die Wiederholung der Handlungen, da sie zu einer Routinebildung führt. Auf die in diesem Kontext notwendige Etablierung einer Fehlerkultur zur Abfederung möglicher Fehlschläge ist bereits oben hingewiesen worden (Probst et al. 2006, S. 122f.). Die Informationsanwendung stellt sich also als ein zentrales Element des Wissensmanagements im Risikomanagement heraus (Abb. 1).

Reflexion

Die Reflexion der vollzogenen Handlungen ist im Zuge der Evaluation von besonderer Bedeutung. So geschieht die Reflexion über den Einsatz von Informationen während der Handlung, am Gelingen oder Nicht-Gelingen der ausgeführten Tätigkeiten. Dies ist die Maßgabe der Viabilität der Wissensbestände. Ist eine individuelle Beurteilung des Resultats einer Handlung nicht sicher möglich, kann in kommunikativen Austauschprozessen konsensuelle bzw. intersubjektive Übereinstimmung erzielt werden. Eine weitere Möglichkeit der Reflexion liegt im bewussten Nachvollzug der Handlungen (z. B. durch die Erzeugung schriftlicher Dokumente oder Präsentationen im Sinne von lessons learned), mit dem ein Verstehen der erworbenen Fähigkeiten einhergeht (Probst et al. 2006, S. 161).

Eine Organisation kann den Reflexionsprozess unterstützen, indem sie z. B. zunächst Auskunft über das Gelingen oder Nicht-Gelingen der vollzogenen Handlungen (Viabilität) gibt. Zudem kann die Organisations- oder Projektsprache durch Metaphern und Analogien bei der Bewusstwerdung helfen und zur Externalisierung des Wissens beitragen. Ebenso können die Verfahren, die bereits im Zuge der Bewusstwerdung der eigenen Fähigkeiten eine Rolle spielten, zum Einsatz kommen. Des Weiteren kann eine Organisation technische Systeme (z. B. Dokumentenmanagementsysteme, Instant Messaging, Videokonferenzeinrichtungen, Wikis u.v.m.) bereitstellen, um so die Dokumente auch für Dritte erreichbar werden lassen.

5     Fazit

Die Integration der Berücksichtigung von Wissen und Wissensmanagement im Risk Government Framework schließt, nach Ansicht der Autoren, eine Lücke innerhalb des Rahmenwerks. Wissensmanagement sollte komplementär zur Risikokommunikation als Querschnittsaufgabe des Frameworks eine zentrale Rolle einnehmen, da alle anderen Elemente des Risk Governance Frameworks immer implizit mit Daten, Informationen und Wissen operieren. Dies wurde bislang nur implizit berücksichtigt, ohne jedoch die Bedeutung von Wissen und Wissensmanagement ausdrücklich anzuerkennen und zu integrieren. Wissensmanagement sollte nicht einfach unter Kommunikation subsumiert werden, sondern es sollte eine explizite Berücksichtigung erfahren, denn Wissen ist mehr als Information, und insbesondere Erfahrungen und Lernprozesse sowie die Frage nach Transfer von Wissen sollten bedacht werden. In diesem Sinne wird hie vorgeschlagen, die Erkenntnisse des Wissensmangementprozesskreislaufs sowie des experiential learning cycles (Smallman 1999, S. 9; Nonaka/Takeuchi 1997, S. 71) zu integrieren.

Gerade weil es im Umgang mit Risiken um Wissen, die Grenzen von Wissen (Bohle et al. 2014), Ungewissheit und Nichtwissen (Wehling 2001) geht, sollten diese Aspekte sowohl konzeptionell als auch praxisbezogen berücksichtigt werden. Dazu wurde in diesem Beitrag ein Wissensmanagementprozess vorgeschlagen, dessen einzelne Stufen speziell auf das Individuum zugeschnitten sind und welche den unterschiedlichen Entwicklungsschritten und kognitiven Prozessen ausreichend Rechnung tragen. Ein entscheidendes Kriterium ist letztlich die Viabilität von Wissensbeständen, denn erst die Anwendung von Informationen unter Maßgabe ihrer Viabilität lässt Wissen entstehen. Das Kriterium der Viabilität betont den Praxisbezug und die kontextspezifische Rolle von Wissen. In diesem Sinne ist nur ein Wissensmanagementansatz, der die kognitiven Potenziale der Akteure, deren Situiertheit in einem soziotechnischen Ereignissystem sowie Bezüge sowohl zur Management- als auch zur Bewertungssphäre berücksichtigt, geeignet, um zukünftigen Umgang mit Risiken adäquat zu unterstützen.

Anmerkungen

[1] Die Autoren danken insbesondere Swen Zehetmair, Jürgen Pohl (†), Gebhard Rusch und Simon Runkel für ihre wertvollen Anmerkungen zu einer früheren Version des Beitrags.

[2] Weitere Kritik lässt sich an der Nutzung des veralteten Sender-Empfänger-Modells und des Konzept der Social Amplification of Risk (Kasperson 1992; Kasperson et al. 2003) für die Konzeptionierung von Risikokommunikation anbringen.

[3] Vergleiche hierzu z. B. die Ausführungen zum Münchner Modell von Reinmann-Rothmeier (2001, S. 19).

[4] Zum Konzept und Einsatz der Communities of Practice Lave/Wenger (1991) und Kratzer et al. (2009, S. 201). Die Grenzen des Konzepts legt Roberts (2006) dar.

[5] Da es sich hier um einen direkten Bezug zum Konzept des Risk Governance handelt, wird der von Renn (2008) und dem IRGC (2006, 2008) genutzte Begriff Risikokommunikation verwendet. Es bestehen weiterhin die anverwandten Begriffe Krisenkommunikation und Sicherheitskommunikation, wobei der erste Begriff eine temporale und situative Unterscheidung zum Begriff Risikokommunikation und der zweite Begriff eine programmatische Unterscheidung darstellt, welche Sicherheit als Zielorientierung der Kommunikation umfasst.

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