Stand und Zukunft des digitalen Hörfunks und des digitalen Fernsehens in Deutschland (Tagungsbericht)

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Stand und Zukunft des digitalen Hörfunks und des digitalen Fernsehens in Deutschland

Darmstadt, 26. Januar und 2. Februar 2001

Tagungsbericht von Ulrich Riehm und Bernd Wingert, ITAS

Seit Jahren fördert die Alcatel SEL Stiftung für Kommunikationsforschung (Internetadresse: http://www.alcatel.de/stiftung/) unter ihrem rührigen Geschäftsführer Dieter Klumpp die interdisziplinäre Forschung auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnologien, u. a. mit einer Stiftungsprofessur an der TU Darmstadt (daneben mit Stiftungskollegs an der Universität Stuttgart und der TU Dresden). Für das Jahr 2000 war Hans J. Kleinsteuber, Politologe und Medienwissenschaftler aus Hamburg, Inhaber dieses i. d. R. auf ein Jahr vergebenen Stipendiums. Mit zwei Tagesveranstaltungen zur Digitalisierung des Hörfunks und des Fernsehens in Deutschland beschloss Kleinsteuber seine Tätigkeit in Darmstadt. Mitorganisator war das Zentrum für Interdisziplinäre Technikforschung (http://www.zit.tu-darmstadt/), in dessen Rahmen die Stiftungsprofessur angesiedelt ist.

Tagungsteil digitaler Hörfunk

Mit dem technischen Fortschritt ist es so eine Sache. Manchmal kommt er gar nicht vom Fleck. Diesen Eindruck hat man jedenfalls beim digitalen Hörfunk. Bereits 1989 wurde in Deutschland das erste digitale Radiosystem eingeführt, das Digitale Satelliten Radio (DSR). Es konnte sich nie wirklich durchsetzen und wurde nach gerade zehn Jahren - einige bis dahin verkaufte und im Einsatz befindliche Hunderttausend Geräte als Elektronikschrott zurücklassend - 1999 wieder eingestellt.

Ebenfalls wie DSR mit erheblichen öffentlichen Mitteln gefördert wurde ein anderes System, das Digital Audio Broadcasting (DAB). Dessen Stärken liegen vor allem in einem exzellenten mobilen Empfang, und es zielt damit nicht zuletzt auf den Radio hörenden Autofahrer. Seit Mitte der 90er Jahre wurde DAB in einer Reihe von länderspezifischen Pilotversuchen eingeführt, dabei eine neue Senderinfrastruktur aufgebaut, sogar einige neue, nur über DAB abgestrahlte Programme wurden entwickelt. Doch der Erfolg blieb auch hier aus.

1995 hatten wir uns in einem TA-Projekt zu "Multimedia" für den Deutschen Bundestag bereits mit dem Thema "Digitalisierung des Hörfunks" auseinandergesetzt, u. a. gestützt auf ein Gutachten von Kleinsteuber und Kulbatzki [1] . DAB, so die Protagonisten, sollte in absehbarer Zeit den UKW-Hörfunk ablösen. Schon damals war ersichtlich, dass dies so einfach nicht gehen würde. Nicht zuletzt deshalb, weil - einem typischen Trend der Computerisierung folgend - weitere digitale Hörfunk-Systeme in immer schnellerer Folge auf den Markt drängten, sich dort gegenseitig Konkurrenz machten und Anbieter wie Verbraucher in ihren eher langfristig orientierten Entscheidungen weiter verunsicherten. Kleinsteuber wies in seinem Einleitungsstatement in Darmstadt darauf hin, dass sich die Situation im Mediensektor in den letzten Jahrzehnten grundlegend geändert habe: Nicht mehr die Anbieter können darüber bestimmen, was sich an Innovationen durchsetze, sondern die Verbraucher. Ohne Kundenakzeptanz, basierend auf wahrgenommenen Nutzungsvorteilen, würden heute rein technikorientierte Innovationsstrategien scheitern.

Was hat die Darmstädter Tagung, an der am Hörfunk-Tag am 26.1. rund 40 Teilnehmer, überwiegend aus Rundfunkanstalten, Industrie und Forschung teilnahmen, an neuen Erkenntnissen gebracht?

Die Chancen der Durchsetzung von DAB wurden uneinheitlich beurteilt; aber unter den anwesenden Referenten und dem aktiv mitdiskutierenden Publikum war man sich doch darin einig, dass man sich zukünftig auf mehrere neue digitale Plattformen einzustellen hat. Die Vorstellung, DAB könne als einziges System das UKW-System ablösen, sich gar als weltweiter neuer Hörfunk-Standard durchsetzen, wurde nicht nur von Peter Senger (Deutsche Welle Köln) entschieden ins Reich der Illusionen verwiesen, sondern auch von Helwin Lesch, der als Vertreter des bayrischen DAB-Sendernetzes sprach und mit der DAB-Entwicklung noch enger verbunden ist. Peter Senger war auch als Chairman von "Digital Radio Mondiale" (DRM) eingeladen und berichtete über dieses neue digitale Radiosystem, das sich seit 1994 als Vorhaben der International Telecommunications Union (ITU) in der Entwicklung befindet und 2003 auf den Markt gebracht werden soll. Bei DRM geht es um ein digitales Radioformat, das auf der bestehenden Senderinfrastruktur der Kurz- und Mittelwelle aufbaut; damit hat es einen wesentlichen Vorteil gegenüber DAB, da DAB eine komplett neue Senderinfrastruktur benötigt. DRM bringt, das konnte Senger hörbar demonstrieren, einen erstaunlichen Qualitätssprung, vom verrauschten Kurzwellenradio heutiger Tage zu einer UKW-ähnlichen Tonqualität.

Während Astra Digital Radio (ADR), das über die analogen Astra-Satelliten ausgestrahlt wird, die nur noch eine begrenzte Lebensdauer aufweisen, eher als eine Übergangstechnologie erscheint - immerhin wurden über 600.000 Endgeräte verkauft, so Herr Schürmann von SES/Astra - waren die Einschätzungen zu dem ebenfalls satellitengestützten Hörfunk-System "World Space" uneinheitlicher. World Space war selbst nicht vertreten, ein ursprünglich vorgesehener Sprecher dieses Unternehmens durfte nicht auftreten. World Space richtet sich mit drei Satelliten über Afrika, Asien und Süd-Amerika in erster Linie auf die Länder der sogenannten Dritten Welt, deckt damit aber 80 % der Weltbevölkerung ab.

Für die Sparte Internet-Radio sprach Herr Ortmann als ein Vertreter der stark wachsenden Zahl jener Unternehmen, die das Internet als Übertragungsmedium für den Hörfunk nutzen. Ortmanns Idee ist es, ein radioähnliches Gerät auf den Markt zu bringen, um - billiger und einfacher in der Bedienung als ein herkömmlicher PC - Internet-Radio zugänglich zu machen. Auf die ganz erheblichen Kosten, die beim Angebot von Online-Radio über das Internet für die Anbieter entstehen, wies Roland Hensele vom Verband Privater Rundfunk und Telekommunikation (VPRT) hin. Eine halbe Million Mark pro Jahr für 500 "Streams" (Kanäle) ist dabei wohl die Größenordnung. Besonders Hensele hob die ökonomischen Probleme einer Vielzhal von Übertragungsplattformen hervor. Bereits heute könnten neun unterschiedliche Übertragungswege bedient werden und seien dann entsprechend zu finanzieren. Ohne die "cash cow" UKW-Hörfunk ginge dies in keinem Fall.

Josef Trappel von der Prognos AG, Basel, eröffnete den nachmittäglichen Anwendungsteil der Tagung; er kritisierte die bisherigen DAB-Markt- und Marketingstrategien als unzureichend. Durch das Internet habe DAB seine Führungsrolle als digitale Plattform verloren. Die alleinige Orientierung auf die bessere Hörqualität von DAB ("Radiohören in CD-Qualität") sei völlig ungenügend. Das Medium Radio müsse sich im digitalen Milieu neu erfinden und einen echten Mehrwert für die Kunden liefern. Solche Mehrwertleistungen könnten auch relativ einfach, aber wirkungsvoll sein: z. B. ein zeitversetztes Hören, die Möglichkeit, gewisse Passagen "zurückzuspulen" und wieder zu hören oder bestimmte Kernleistungen des Radios, wie Nachrichten, Wetterbericht, Verkehrsfunk, immer und zu jeder Zeit aktuell verfügbar zu haben.

Dass die Digitalisierung die "Gattung Radio" verändern werde, sah auch Rüdiger Malfeld (beim WDR Leiter der Hauptabteilung Zentrale Aufgaben Hörfunk und in einer ARD-Kommission u. a. mit der Beobachtung technischer Entwicklung befasst). Aber er verstand diesen Trend eher als Bedrohung. Die Innovationskraft des analogen Hörfunks sei keinesfalls ausgeschöpft; neue Programmformen und Zusatzdienste entwickelten sich weiterhin mit großem Erfolg. Radio sei nicht nur ein emotionales Medium, sondern auch mit geschätzten 400 Millionen Geräten in Deutschland so ubiquitär und umfassend genutzt wie kaum ein anderes Massenmedium. Wie sei da ein Systemwechsel oder gar ein Systembruch zu legitimieren?

Das ist vermutlich tatsächlich das Kernproblem der Radio-Digitalisierung. Durchsetzen kann sie sich nur über neue, vom Nutzer erwartete oder akzeptierte Leistungen, über eine Neupositionierung des Radios also. Das ist aber auch die Gefahr. Die Gattung Radio ist so breit etabliert, anerkannt und akzeptiert, dass die Neuerfindung des Radios in Folge seiner Digitalisierung nicht den Verlust der Gattungsmerkmale bedeuten darf. Die Herausforderung besteht mithin darin, das Radio als Medium neu zu erfinden, aber die Gattung zu bewahren. Innovationstheoretisch sicher kein einfaches Unterfangen.

Tagungsteil digitales Fernsehen

Die zweite Tagung am 2. Februar 2001 befasste sich mit der Digitalisierung des Fernsehens. Auch sie war gut besucht, war in die beiden Blöcke "Technik" am Vormittag und "Anwendungen" am Nachmittag eingeteilt; aber das "Hin- und Herreden", für das Kleinsteuber zum Zweck einer diskurstheoretisch sauberen Grundlegung den Begriff des "Diskurrierens" ausgegraben hatte, war auf dieser Veranstaltung nicht ganz so heftig. Dies lag auch an der sehr fundierten und kritisch hinterfragenden Moderation durch Volker Lilienthal (vom evangelischen Pressedienst, epd Medien). Der Eindruck eines nur schleppend vorankommenden Fortschritts stellte sich auch hier ein. Dies liegt u. a. an der spezifischen Struktur des deutschen Fernsehmarktes und der starken Position des Free TV.

Da auf dem deutschen Markt "digitales Fernsehen" meist mit "Bezahl-Fernsehen" gleichgesetzt wird, seien vorab drei Unterscheidungen hervorgehoben: a) die Digitalisierung des Fernsehens ist zunächst eine technische Innovation mit anderen Produktions- und Distributionsformen (u. a. mit der Möglichkeit der Vervielfachung von Kanälen); nach einem Beschluss der Bundesregierung soll die Digitalisierung bis 2010 vollzogen sein; b) das digitale Fernsehen kann so eingerichtet werden ("Rückkanal"), dass es interaktiv nutzbar wird (z. B. Wahl einer Kameraperspektive wie im Angebot von Premiere World); schließlich kann es digitales interaktives Fernsehen sowohl als Free TV, wie von ARD und ZDF angeboten, oder als Bezahl-Fernsehen (wie von Premiere World und anderen Anbietern) geben. Man musste schon einige Kenntnisse dieses Sektors mitbringen, um die Feinheiten des Hin- und Herredens (und Nachfragens) dekodieren zu können [2] .

Am Vormittag kamen unter dem Etikett "Technik" die Netz- und Plattformbetreiber zu Wort (Deutsche Telekom, Alcatel SEL, Deutsche TV-Plattform), am Nachmittag unter "Anwendungen" die Programmanbieter (Premiere World, Bertelsmann, ZDF). Beide Blöcke wurden, dies war für die Radio-Tagung nicht so konsequent angesetzt, mit einer kritischen Kommentierung abgeschlossen, die sozusagen als Stimme des "unberechenbaren Nutzers" gedacht war. Die Tagung wurde von Kleinsteuber mit einigen Daten und Hinweisen eingeleitet, so die erste Übertragung 1936, 1967 die erste Farbübertragung, das High Definition TV, HDTV, sechs Jahre mit EU-Mitteln gefördert und 1992 eingestellt, bis hin zum DVB, Digital Video Broadcasting, dessen neue Norm, die Multimedia Home Plattform, MHP, später ausführlich erörtert wurde. Seine eigene Nutzungssituation beschrieb Kleinsteuber als Gerätepark mit einem Fernsehgerät, zwei Set Top Boxen und drei Fernbedienungen, wenn er einmal etwas aufzeichnen wolle.

Die "Position der Deutschen Telekom" trug Stephan Heuser von der T-Nova in Darmstadt vor, die sich als IT- und Telematik-Dienstleister versteht und eine Tochter von T-Systems bzw. der Dt. Telekom AG ist. Die derzeitige Umbruchsituation ist auch dadurch gekennzeichnet, dass die Dt. Telekom ihre Kabelnetze sukzessive verkauft, die neuen Kabelnetzbetreiber das Netz aufrüsten und so neue Dienste möglich machen, die zusammen mit neuen Endgeräten zu einer Konvergenz von TV-Gerät und PC beitragen können (z. B. mit der Möglichkeit der zeitversetzten Nutzung). Ob man das noch "Programm" nennen könne, so der Referent, sei dahingestellt. Die Dt. Telekom wird aber nicht alle Kabelnetze verkaufen, so der Moderator mit Verweis auf das Berliner Netz, so dass die Telekom auch als Programmanbieter auftreten könnte. Aber dies verneinte der Referent; allenfalls seien Programm-Bündelungen denkbar.

Die "Position eines Herstellers von Hardware" trug Stephan Rupp von der Alcatel SEL in Stuttgart vor, obwohl Alcatel selbst eher ein Systemausrüster statt ein Gerätehersteller ist. Aber dieser Beitrag, der auch als Blick in die Gerätewerkstatt gedacht war, füllte die zugedachte Rolle durchaus aus, denn der Referent eröffnete mit der These, dass die Zukunft des digitalen TV in erster Linie durch das Bedürfnis nach neuen TV-Abenteuern getrieben werde, in zweiter Linie durch neue Endgeräte. Was diese künftigen Nutzungs- und Bedürfniskonstellationen angehe, stütze er sich auf hausinterne Marketing-Untersuchungen. Er vermutete einen Mittelweg zwischen Internet und TV; einfache, schnelle Interaktionen könne man bei diesem Szenario am TV-Gerät tätigen (z. B. eine Spende abgeben, einen Kaufauftrag abschicken), während komplexe Interaktionen die Domäne des Internet blieben.

Michael Thiele von der Deutschen TV-Plattform e.V. verstand seine Rolle nicht dahin, eine Interessenposition zu vertreten; sie seien Vermittler. In der TV-Plattform sind nicht nur Programmanbieter und Medienwirtschaft, sondern auch Ministerien und Forschungsinstitute vertreten, so dass hier eine "bereichs- und branchenübergreifende TV-Plattform" gegeben sei. Sie habe sich nach den frustrierenden Erfahrungen mit dem HDTV gebildet und wurde vor zehn Jahren etabliert. In diesem Abschnitt wurde der Diskurs dann doch lebhafter, typischerweise dann, wenn es um das Ausloten von Nutzungslogiken ging, etwa Gerätekonvergenz oder doch Einzelgeräte (letzteres favorisierte Thiele), Vorhersehbarkeit neuer Funktionen und Fehlschlagen von Prognosen (hier Klumpp mit Hinweisen auf eine frühe Beschäftigung mit Mobilfunk, was damals noch als Spinnerei abgetan wurde), Tragfähigkeit der neuen Multmedia Home Plattform oder doch Konkurrenz mehrerer Plattformen, oder die Frage einer zwangsweisen Exposition oder einer wählbaren (so Kleinsteuber mit Hinweis auf TV in Hamburger U-Bahnen, wo keiner die Bilder sehen wolle: "Menschen wollen freiwillige, wählbare Bilder!").

Einen kleinen Coup landete Markus Stauff (Universität Bochum, Film- und Fernsehwissenschaften), dem die Rolle des Nutzeranwalts zugedacht war, mit seiner These, dass viel zu viel über die Zuschauer und deren angeblichen Bedürfnisse geredet werde; solche Bedürfnisannahmen seien problematisch, weil methodisch fragwürdig und führten zu einer kontraproduktiven Sicht, weil traditionelle Strukturen festgeschrieben würden. Der Zuschauer interessiere sich für Inhalte, nicht für Technik!

Die Reihe der Programmanbieter für das digitale Fernsehen eröffnete am Nachmittag für Premiere World (aus dem früheren DF 1 und Premiere hervorgegangen) Thomas Gerlach. Er betonte, dass der Computer das Fernsehen nicht ersetzen werde; das Fernsehen werde zwar aktiver, z. B. mit einfachen Diensten wie E-Mail, sei aber immer noch deutlich vom Computer unterschieden. Ein zentraler Erfolgsfaktor seien exklusive Inhalte, es müsse erst der Massenmarkt entwickelt werden; Sparten seien möglich, aber nicht zentral. Ausweislich der starken Mannschaft im Service-Bereich (2.600 Mitarbeiter) habe sich gezeigt, dass digitales Fernsehen ein "erklärungsbedürftiges Produkt" sei; es sei eben doch eine andere Art des Fernsehens.

Für die "Bertelsmann Broadband Group", die es in der bisherigen Form nicht mehr geben werde, sprach Michael Schacht. Er bezog sich auf einen Pilotversuch mit 300 Haushalten in Berlin, auf Basis von PCs, und skizzierte, wie er sich die Konvergenz zwischen Breitband-Fernsehen auf der einen und interaktiver TV-Technik auf der anderen Seite vorstellte. Es sei kein digitales TV, kein ISP (Information Service Providing), kein Pay TV und kein Internet-Portal, sondern eine "andere Art des Fernsehens", durch das das Free TV ergänzt werden könne. Dieses Angebot soll in Kooperation mit 200 Inhalteanbietern entstehen. Hier werde nichts mehr gesendet, der Kunde wähle aus.

Bruno Krüger, ZDF, wies in seinem Beitrag auf zahlreiche Beispiele hin, bei denen das ZDF frühzeitig mit innovativen Ansätzen mitwirkte (so bei der DVB-Initiative 1993, beim MHP-Standard, beim elektronischen Programmführer). Für ihn ist das digitale (mobile) terrestrische Fernsehen (noch von ca. 11 % empfangen; dagegen Kabel 56 % und Satellit 32 %) immer noch eine Vision wert, z. B. als Fernsehen im Park.

Wenn nicht als Anwalt, so doch als Interpret von Nutzerbedürfnissen und -logiken brachte sich mit dem abschließenden Kommentar Knut Hickethier (Universität Hamburg, Medienwissenschaft) ins Spiel. Bei der vorgeblichen Konvergenz zwischen TV und Internet müsse man genau hinschauen; ein Großteil des Publikums wolle vermutlich gar keine interaktiven Angebote (Schacht brachte in seinem Beitrag eine Marke von 70 % ins Spiel). Der Programmfluss sei ein eigenständiger kultureller Wert, der live-Aspekt nicht zu ersetzen, Video-on-Demand sei kein Fernsehen und mache nur den Videotheken Konkurrenz, kurzum: Es werde keine Nutzungskonvergenz geben!

Die Tagung abschließend rief Kleinsteuber noch einmal einzelne markante Thesen auf, was die mentale Memorierung des Tagungsablaufes sicher förderte. Gleichwohl sei hier abschließend gefragt, ob denn das "Konkurrieren" etwas erbracht hat, denn beide Veranstaltungen waren auch Versuche in Diskurstechnik. Nach Abschluss der Tagung und nach einem sorgfältigen Nacharbeiten gab es nach unserem Eindruck beim Radioteil eher eine manifeste Auseinandersetzung, weil entsprechende Interessenvertreter ja anwesend waren (was hat DAB gebracht, hat es noch eine Zukunft?); bei der Fernsehtagung war es eher eine latente, insbesondere an jenen Stellen, wo es um das Ausdeuten der "Bedürfnisse" der Zuschauer ging und damit um die Modellierung eines komplexen Interaktionsgeschehens zwischen angebotenen Inhalten, medialer Vermittlung, impliziter Nutzungslogik und dem, was Zuschauer sich an Bedürfnissen zuschreiben. Was auf jeden Fall deutlich wurde, ist die Unterspülung des Programmprinzips durch Interaktivität. Es wird nicht mehr gesendet, es wird ausgewählt. Es gibt nicht länger das Erlebnis eines ko-präsenten Publikums, sondern nur die Einzelerfahrung, eine Entwicklung, die unter Schlagworten wie "Verspartung" und "Individualisierung" schon früh kritisch diskutiert wurde. Da die Entwicklung in Richtung Digitalisierung weiter voranschreitet, lohnt es sich, erneut und genauer darüber nachzudenken, u. a. mit Hilfe solcher Veranstaltungen wie der vorliegenden.

Anmerkungen

[1] Vgl. Riehm, U. und Wingert, B.: Multimedia. Mythen, Chancen, Herausforderungen. Mannheim: Bollmann 1995, Kapitel 7 (der gedruckte Band ist vergriffen, aber die Datei abrufbar unter http://www.itas.fzk.de/deu/itaslit/riwi95a.htm).

[2] Als Überblick zum digitalen Fernsehen vgl. Breunig, Ch.: Programmbouquets im digitalen Fernsehen. Media Perspektiven (2000)9, S. 378-394. Es gibt auch schon erste Befragungen von Nutzern und Abonnenten des digitalen Fernsehens, vgl. ARD-Projektgruppe Digital: Digitales Fernsehen in Deutschland - Markt, Nutzerprofile, Bewertungen. Media Perspektiven (2001)4, S. 202-219; hier geht es um den Vergleich der öffentlich-rechtlichen und der privaten Angebote. In einer anderen Untersuchung geht es um die Abschätzung der Innovationsdynamik: Schenk, M. u. a.: Nutzung und Akzeptanz des digitalen Pay-TV in Deutschland. Media Perspektiven (2001)4, S. 220-233.

Kontakt

Ulrich Riehm
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-23968
E-mail: ulrich riehm∂kit edu