HGF-Verbundprojekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" - eine Zwischenbilanz

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HGF-Verbundprojekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" - eine Zwischenbilanz

von Armin Grunwald, ITAS

Das HGF-Projekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" befasst sich mit Operationalisierungsmöglichkeiten und -problemen des Nachhaltigkeitsprinzips für Deutschland. Übergeordnetes Ziel ist, die wissenschaftliche Diskussion über Nachhaltigkeit voranzubringen und Orientierungs- und Handlungswissen für die gesellschaftlichen Akteure zu erarbeiten, die bei der Realisierung einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland mitwirken. Die HGF kommt damit einerseits ihrer Verpflichtung zur Vorsorgeforschung im nationalen Interesse nach. Andererseits können durch dieses Projekt vielfältige Kompetenzen von HGF-Einrichtungen themenzentriert zusammengeführt werden. Das HGF-Projekt "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" wird 2002 abgeschlossen.

1     Einführung und allgemeine Entwicklungen

Seit 1998 wird in der Hermann-von-Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren (HGF) ein Verbundprojekt zur Konkretisierung und Umsetzung des Leitbilds einer nachhaltigen Entwicklung durchgeführt. Unter der Federführung des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im Forschungszentrum Karlsruhe (FZK) wirken hieran mit: das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), das Forschungszentrum Jülich (FZJ), das Forschungszentrum Informationstechnik (GMD) sowie das Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) (siehe Kasten).

Die erste Phase dieses Projekts bestand in der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Vorstudie "Untersuchung zu einem integrativen Konzept nachhaltiger Entwicklung. Bestandsaufnahme, Problemanalyse, Weiterentwicklung". Sie hatte im Wesentlichen die Erarbeitung konzeptioneller und methodischer Grundlagen für einen integrativen Ansatz nachhaltiger Entwicklung zum Gegenstand [1] . Von 1999 bis 2002 wird das Projekt im Rahmen des HGF-Strategiefonds unter dem Titel "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" durchgeführt (für weitere Informationen: http://www.itas.fzk.de/zukunftsfaehigkeit).

Folgende Ziele werden verfolgt: 

Gegenüber dem Pensum bei Projektbeginn konnten in der Zwischenzeit weitere Arbeiten aufgenommen werden. Seit Mitte 2000 wird das Aktivitätsfeld Ernährung und Landwirtschaft bearbeitet, seit Anfang 2001 auch das Aktivitätsfeld Freizeit und Tourismus. Ebenfalls wurde eine Kooperation in Bezug auf regionale Analysen mit einem Projekt von UFZ und dem DLR-DFD aufgenommen. Mit Frau Dr. Kemfert (Oldenburg) und Herrn Prof. Meyer (Osnabrück) wurde eine Kooperation in Bezug auf umweltökonomische Simulationen vereinbart. Im weiteren wird durch eine Kooperation mit der TA-Akademie Stuttgart eine verstärkte Einbeziehung gesellschaftlicher Akteure in die Entwicklung von Kriterien für nachhaltige Technikentwicklung erfolgen. 

 Beteiligte Organisationseinheiten der HGF

Das Strategiefondsvorhaben "Global zukunftsfähige Entwicklung - Perspektiven für Deutschland" wird in einem Verbund der folgenden Organisationseinheiten der beteiligten HGF-Zentren erfolgen: 

  • Forschungszentrum Karlsruhe (FZK)
    • Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) (federführend)
  • Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
    • Institut für Verkehrsforschung (VL)
    • Abteilung für Systemanalyse und Technikbewertung (TT-STB) des Instituts für Technische Thermodynamik
    • Deutsches Fernerkundungsdatenzentrum * 
  • Forschungszentrum Jülich (FZJ)
    • Programmgruppe Mensch, Umwelt, Technik (MUT)
    • Programmgruppe Systemforschung und Technologische Entwicklung (STE) 
  • GMD-Forschungszentrum Informationstechnik
    • Institut für Autonome intelligente Systeme (AiS)
    • Forschungsinstitut für Rechnerarchitektur und Softwaretechnik (FIRST) 
  • Umweltforschungszentrum Leipzig (UFZ) *
    • Projektbereich Naturnahe Landschaften und ländliche Räume (NLLR)

*     Das Deutsche Fernerkundungsdatenzentrum des DLR und der Projektbereich Naturnahe Landschaften und ländliche Räume des UFZ beteiligen sich am Strategiefondsvorhaben im Rahmen eines assoziierten Verbundvorhabens der beiden Einrichtungen.

 Die Ergebnisse des Projektes, die in der zweiten Jahreshälfte 2002 publiziert werden, werden konkret bestehen in:

2     Wissenschaftlicher Beirat

Für das Projekt wurde ein Wissenschaftlicher Beirat berufen. Nach einer Diskussion mit der Projektleitung bestand Einverständnis, dass dem Beirat folgende Aufgaben zugedacht sind, die er auch zu übernehmen bereit ist: 

Der Beirat trat erstmalig anlässlich des mid-term meetings des Projektes (s. u.) zusammen, verfolgte dort die Diskussionen und beteiligte sich mit einer Fülle von Nachfragen und konstruktiven Anregungen. Diese übermittelte der Beirat im Nachgang zu dem mid-term meeting der Projektgruppe auch in schriftlicher Form und beteiligte sich dadurch wesentlich und konstruktiv an der Ausgestaltung der weiteren Projektarbeit.

Dem Beirat gehören an:

Becker, U., Prof. Technische Universität Dresden
Birnbacher, D., Prof. Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Fuhrich, M., Dr. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Bonn
Fülgraff, G., Prof. (Vorsitz) Technische Universität Berlin
Höpfner, U., Dr. ifeu - Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg
Jany, K.-D., Prof. Bundesforschungsanstalt für Ernährung Karlsruhe
Kratochwil, A., Prof. Universität Osnabrück
Nantke, H.-J., Dr. Umweltbundesamt Berlin
Stahmer, C., Prof. Statistisches Bundesamt Wiesbaden
Voss, A., Prof. Universität Stuttgart

3     Mid-term Meeting

Vom 26. - 29. März 2001 veranstaltete das Projektteam auf Schloss Dagstuhl ein mid-term meeting. Dieses bestand in einem eintägigen Workshop mit Vorträgen externer Referenten zu aktuellen Entwicklungen aus den im Projekt bearbeiteten Bereichen, und in einem internen Statusseminar, zu dem neben der gesamten Projektgruppe aus den beteiligten HGF-Zentren der Wissenschaftliche Beirat des Projektes eingeladen war.

Externe Referenten und ihre Vortragsthemen waren: 

Referent Institution Votragsthema
Schulz, Helmut, MinRat BMBF Aktuelle Entwicklungen zu Nachhaltigkeit aus Sicht des BMBF
Bleischwitz, Raimund, Dr. Wuppertal Institut Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit
Rennings, Klaus, Dr. ZEW Mannheim Ökonomische Aspekte von Nachhaltigkeit
Klepper, Gernot, Prof. IfW Kiel Ökonomische Bedingungen nachhaltiger Entwicklung
Hartmann, Jörg, Dr. BASF AG Wirtschaft und Nachhaltigkeit
Simon, Karl-Heinz, Dr. USF Kassel Sozial-ökologische Modellierung nachhaltiger Entwicklung
Spangenberg, Dr.   Ergebnisse des WZB-Projekts "Arbeit und Ökologie";
Hansjürgens, Bernd, Prof. UFZ Leipzig Halle Integriertes Bewertungsverfahren für Nachhaltigkeit - am Beispiel des Flussgebietsmanagements
Fuhrich, Dr. Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung Indikatorgestützte Erfolgskontrolle
Stulz, R., Dr. ETH Zürich Sustainable City
Petersen, Dr. Wuppertal Institut Nachhaltige Mobilität
Oltersdorf, U., Dr. Dr. BfE Karlsruhe Nachhaltigkeit in Landwirtschaft und Ernährung
Skrobotz, Dieter Systron GmbH Mobilitätsprobleme im Großraum Berlin-Brandenburg
Soete, Birgit, Dr. PIK Potsdam Regionale Modellierung

Das Statusseminar diente dem Zweck, den erreichten Stand der Arbeiten zu präsentieren und zu diskutieren, die Vernetzung des Projektes zu fördern und die weiteren Schritte abzusprechen. Sämtliche Arbeitsgruppen trugen den Stand ihrer Arbeiten, erste Ergebnisse, weitere Wünsche an Vernetzung und die Vorstellungen zum weiteren Ablauf vor. Diese wurden jeweils offen diskutiert. Dies führte zu einem gemeinsamen Verständnis des Standes des Projektes und der im Folgenden zu leistenden Aufgaben.

4     Stand der Bearbeitung

4.1   Analysen auf der nationalen Ebene

Aufgabe des Arbeitspaketes ist es, die aktivitätsfelderübergreifenden Aspekte des Konzeptes zu bearbeiten und auf Deutschland zu fokussieren: das System der Nachhaltigkeitsregeln, ein projektübergreifend zu verwendendes Indikatorensystem und entsprechende Zielwerte sowie die Erarbeitung von Szenarien zur integrierten Einbettung der verschiedenen Entwicklungen und Entwicklungsmöglichkeiten in den Teilbereichen.

Dem Grundgedanken des integrativen Konzepts folgend (Jörissen et al. 1999) sind die Indikatoren nicht - wie üblicherweise - den Dimensionen (Ökonomie, Ökologie, Soziales, Institutionelles), sondern den nach substantiellen Was- und instrumentellen Wie-Regeln differenzierten Nachhaltigkeitsregeln des HGF-Projekts zugeordnet. Neben den Nachhaltigkeitsregeln (Top-down-Vorgehen) orientiert sich die Auswahl der Indikatoren an den in Wissenschaft und Öffentlichkeit diskutierten Problemfeldern sowie an den vorhandenen Indikatorensystemen unterschiedlichen Typs (Bottom-up-Vorgehen). Es wurde eine projektübergreifende Indikatorenliste erstellt und abgesprochen. Mit der Festlegung von Nachhaltigkeitszielen wurde begonnen. Die erarbeitete Indikatorenliste stellt zum einen ein abgeschlossenes, eigenständiges Ergebnis der Projektarbeiten dar. Verstanden als Auswahlmenu bietet sie zum anderen eine wesentliche Orientierung für die weiteren Analysen auf der nationalen Ebene, in den Aktivitäts- und Technologiefeldern (mit dort jeweils zu spezifizierenden Indikatoren) sowie für die Konstruktion von Szenarien und die Bewertung von Handlungsoptionen.

Weiterhin wurde die Verwendung von Szenarien im Projekt geklärt und es wurden, aufbauend auf einer Aufarbeitung existierender Szenarien, Festlegungen für die Projektarbeit getroffen. Szenario-Analysen bieten die Möglichkeit, robuste Elemente für Nachhaltigkeitsstrategien zu identifizieren und Elemente von Nachhaltigkeitsstrategien nach ihren Realisierungswahrscheinlichkeiten zu klassifizieren und bilden ein Element einer gemeinsamen Orientierung für die einzelnen Analysen in den Aktivitäts- und Technologiefeldern. Im HGF-Projekt wird mit drei Szenarien gearbeitet, die ausreichend differenziert sind, aber Extrementwicklungen ausschließen. Diese lassen sich mit den folgenden Stichworten charakterisieren: 

4.2   Flächendeckende Erfassung der Aktivitätsfelder in quantitativer Form

Aufgabe ist eine Bestandsaufnahme von Nachhaltigkeitsindikatoren für die einzelnen Aktivitätsfelder mittels Input-Output-Analysen (Klann, Schulz 2000). Für Deutschland sind konsistente und flächendeckende Datensysteme zu erzeugen, die die Werte der Indikatoren über die jeweilige Vorleistungskette liefern und erkennen lassen, welche Bedeutung einzelnen Vorleistungen zukommt. Dabei sind die Außenhandelsbeziehungen Deutschlands zu berücksichtigen.

Um eine konsistente Erfassung der Aktivitätsfelder zu erreichen und deren innere Struktur zu untersuchen, wurden Methoden der Input-Output-Analyse weiterentwickelt und angewendet. Diese neuen Methoden wurden in Verbindung mit Standardmethoden angewandt, um konsistente und flächendeckende Datensysteme zur zeitliche Entwicklung von 1980 bis 1993 und zum Zustand im Jahr 1993 zu erzeugen. Die Abgrenzung der Aktivitätsfelder durch Zuordnung von Bestandteilen der Endnachfrage, von industriellen Kernbereichen und Vorleistungen mittels der Daten der Input-Output-Analyse zu den einzelnen Aktivitätsfeldern wurde abgeschlossen. Für das Jahr 1993 wurden für alle Aktivitätsfelder Datensysteme für folgende Indikatoren errechnet:

Ökologische Indikatoren: Primärenergieverbrauch, Energieverbrauch nach einzelnen Energieträgern, CO2, N2O, CH4 (Treibhausgase), SO2, NOx, NH3 (Versauerungsgase), CO, Staub, NMVOC, Wasserverwendung, Abwasseraufkommen, Abfall zur Beseitigung, besonders überwachungsbedürftiger Abfall.

Ökonomische/soziale Indikatoren: Arbeitnehmer, Erwerbstätige, Bruttowertschöpfung zu Marktpreisen (gegliedert nach Abschreibungen, Einkommen aus unselbständiger Arbeit, Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen zuzüglich Produktionssteuern abzüglich Subventionen).

4.3   Mobilität und Verkehr

Das Aktivitätsfeld Mobilität und Verkehr umfasst die Bereiche Produktion von Verkehrsmitteln, die Verkehrsnachfrage aus privaten und ökonomischen Motiven, sowie die Errichtung und den Unterhalt der Verkehrsinfrastruktur. Die Arbeiten haben zum Inhalt, möglichst alle in diesen Bereichen anfallenden Tätigkeiten zu erfassen, die Wirkungen dieser Aktivitäten auf Umwelt, Ökonomie und Gesellschaft zu analysieren und anhand eines Kriterien- und Zielkatalogs hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit zu bewerten.

Zunächst wurde auf den Straßenfahrzeugbau und den Kraftstoffverbrauch für Verkehrsbewegungen - jeweils einschließlich der Vorleistungen - näher eingegangen. In einem ersten Schritt wurden die beiden Teilbereiche und ihre Wirkungen hinsichtlich Energieverbrauch und Emissionen einer detaillierten Betrachtung mittels Bottom-up-Analysen unterworfen, zumal technologische Verbesserungen von Verkehrsmitteln und Kraftstoffen sowie Beeinflussung der Verkehrsnachfrage als wesentliche Maßnahmen im Aktivitätsfeld Mobilität und Verkehr zur Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit identifiziert wurden. Mögliche Entwicklungspfade der technischen Entwicklung bei Kraftstoffen und den einzelnen Verkehrsmitteln wurden - den einzelnen Szenarien entsprechend - am Beispiel der Personenkraftwagen dargestellt und ihre Herleitung begründet.

Erste Ergebnisse zeigen, dass das Aktivitätsfeld Mobilität und Verkehr in besonderem Maße zum Primärenergieverbrauch, zu den Treibhausgasemissionen und den Luftschadstoffen beiträgt. Trotz technischer Effizienzsteigerungen lassen sich die Nachhaltigkeitskriterien für den Energieverbrauch (Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Energieträgern) und für CO2-Emissionen nicht erfüllen - wenn auch Fortschritte nicht zu verkennen sind. Zukünftig weiter wachsende Probleme werden vor allem vom Straßengüterverkehr und Luftverkehr erwartet.

4.4   Wohnen und Bauen

Angesichts der zentralen Funktion, die dem Bereich Wohnen und Bauen in der nationalen und internationalen Debatte zugemessen wird, ist, wie die im Berichtszeitraum erfolgte Bestandsaufnahme gezeigt hat, die Operationalisierung des Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung im Vergleich zu anderen Aktivitätsfeldern weit fortgeschritten. Neben wissenschaftlichen Studien und politischen Absichtserklärungen und Vereinbarungen gibt es hier auch zahlreiche Initiativen zur konkreten Umsetzung in der kommunalen Praxis sowie Forschungs- und Förderprogramme, die diese Umsetzung erleichtern sollen. Diese Bestandsaufnahme erlaubt die Identifizierung der offenen Fragen, welche sich insbesondere in ungelösten Zielkonflikten manifestieren.

Da das Aktivitätsfeld Wohnen und Bauen neben dem Hoch- und Ausbau auch den Bereich Tiefbau und Infrastruktur, die Einrichtung von Gebäuden sowie die mit der Nutzung von Gebäuden verbundene Nachfrage (Energiebedarf, Wasserverbrauch, Müllentsorgung etc.) umfasst, mussten die in früheren Studien erarbeiteten Basisdatensätze entsprechend der neuen Abgrenzung verändert und ergänzt werden. Diese methodischen Arbeiten sind inzwischen weitgehend abgeschlossen.

Ausgehend von der heutigen Situation zeichnen sich im Aktivitätsfeld Wohnen und Bauen folgende problematische Trends ab: weiterhin große Massenströme auf hohem Niveau, Absinken der durchschnittlichen Lebenserwartung neuer Baukonstruktionen, wenig Wiederverwendung von Baumaterialien, kaum Senkung des Energieverbrauchs pro Wohnfläche, Anreicherung von Schadstoffen in Baumaterialien, ungebrochener Trend zur Suburbanisierung, Defizite in der Wohnungsversorgung für sozial benachteiligte Gruppen, Ghettobildung.

4.5   Ernährung und Landwirtschaft

Das Ziel der Arbeiten zu diesem Aktivitätsfeld ist eine umfassende interdisziplinäre Betrachtung des Bedürfnisfeldes Ernährung einschließlich vor- und nachgelagerter Bereiche. Die gesamte Prozesskette, von der landwirtschaftlichen Erzeugung über den Transport, die Verarbeitung, den Handel, den Verbrauch und die Entsorgung der Nahrungsmittel wird in die Analyse einbezogen. Bestehende Nachhaltigkeitsdefizite sollen anhand von Nachhaltigkeitszielen und -indikatoren identifiziert werden.

Auf der Grundlage der Auswertung des Literaturbestandes und aktueller Forschungsergebnisse der einschlägigen Wissenschaftsdiziplinen (z. B. Agrarwissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Ökologie, Sozialwissenschaften, Ernährungsökologie, Ernährungsmedizin) wurde im Berichtszeitraum eine umfassende interdisziplinäre Problemanalyse ausgearbeitet. Diese beinhaltet die ökonomischen, ökologischen, gesundheitlichen und sozialen Herausforderungen im Bereich Ernährung.

Im Aktivitätsfeld Ernährung und Landwirtschaft zeigen sich, so erste Ergebnisse, massive Nachhaltigkeitsdefizite. Dieses ist beispielsweise für einen wesentlichen Anteil des inländischen Material- und Primärenergieverbrauchs sowie des Transport- und Abfallaufkommens verantwortlich. Die Landwirtschaft hat einen großen Einfluss auf den Zustand von Boden, Wasser, Luft und Artenvielfalt. Trotz hoher Subventionen hinkt die Einkommens- und Gewinnentwicklung anderen Sektoren mit immer größerem Abstand hinterher. Vor dem Hintergrund eines übersättigten Inlandmarktes wird der Trend zur Konzentration und Spezialisierung im Ernährungssektor weiter anhalten.

4.6   Regionale Analysen

Ziel dieses, dem HGF-Projekt assoziierten Vorhabens ist, die Nachhaltigkeit der Landnutzung - unter Zuhilfenahme von Qualitätszielen, Qualitätsstandards und Indikatoren(systemen) - anhand ihres Anpassungsgrades an das Leitbild zu überprüfen. Das Ziel einer nachhaltigen Landnutzung kann nur erreicht werden, wenn gesicherte Kenntnisse über die Landschaftsstruktur und ihre Prozesseigenschaften gewonnen und für die Anforderungen in der Praxis aufbereitet werden.

In der z. Zt. laufenden ersten Projektphase wurden von den beiden Projekt-Partnern (DLR und UFZ; siehe Kasten) die folgenden Arbeiten durchgeführt: 

Nach Abschluss der Datenzusammenstellung wird die Aufstellung eines Datenkatalogs und die Aufbereitung der Daten für die Integration in geografische Informationssysteme (GIS) erfolgen. Darauf aufbauend wird in der zweiten Projektphase die Auswahl und Entwicklung relevanter Indikatoren und Bewertungsmodelle Schwerpunkt sein.

4.7   Schlüsseltechnologie Regenerative Energien (REG)

Die in Deutschland technisch und wirtschaftlich nutzbaren Optionen regenerativer Energien einschließlich der Importoptionen wurden dargestellt. Dies beinhaltet die wesentlichen einzeltechnologischen Kennwerte der Wandlungstechnologien hinsichtlich technischer Leistungsfähigkeit und Potenziale, die derzeitigen und zukünftigen Kosten, die energetischen und stofflichen Herstellungsaufwendungen und ökologische Aspekte. Die abgeleiteten Eckdaten sind Grundlage für die Beurteilung des Beitrags der REG zur Erreichung verschiedener Nachhaltigkeitsziele im Energiebereich. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, welche Erfordernisse, Herausforderungen und Folgen mit der Realisierung der Potenziale regenerativer Energien verbunden sind. Darüber hinaus wurde diskutiert, auf welche Weise die Integration und Etablierung der als "nachhaltig" einzustufenden REG-Technologien in den Strom-, Wärme- und Kraftstoffmarkt am zweckmäßigsten erreicht werden kann.

Die gesamtsystemaren Wirkungen eines stetigen REG-Ausbaus in der Energieversorgung Deutschlands wurden mittels eines "Orientierungsszenarios" dargestellt. Das Szenario beschreibt auf der Basis der ermittelten differenzierten Technologie- und Kostenpotenziale sowie der infrastrukturellen Erfordernisse die Integration eines repräsentativen REG-Technologiemixes in die deutsche Energieversorgung über einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten. Die Eckdaten für die gesamte Energieversorgung bis 2050 (Bevölkerung, BIP-Wachstum, Anzahl Haushalte, Gebäude und Wohn- bzw. Nutzflächen, Fahrzeuge und Fahrleistungen u. a.) wurden Trendentwicklungen entnommen.

4.8   Schlüsseltechnologie Bio- und Gentechnologie

Per Definition befinden sich "Emerging Technologies" wie die Bio- und Gentechnologie noch weitgehend im Vorfeld technischer Anwendungen bzw. in einem Entwicklungsprozess, der immer wieder neue Möglichkeiten eröffnet. Somit bestehen erhebliche Unsicherheiten darüber, welche Möglichkeiten diese Technologien haben werden, wo sie zum Einsatz kommen und welche Folgen resultieren, und wie dies zu bewerten ist. In der Nachhaltigkeitsbewertung ist daher entscheidend, wie Chancen und Risiken beurteilt werden, wie diese Urteile begründet werden und welches Maß an Urteilsunsicherheit damit verbunden ist. Auf der Basis des Forschungsstandes zur Risikokommunikation wurde ein Verfahren entwickelt, das es ermöglicht, in einer Folge von Analyseschritten diese Fragen zu explizieren. Dazu werden Experten unterschiedlicher Werthaltungen in einen Reflexionsprozess einbezogen, der nicht nur Chancen- und Risikourteile, sondern insbesondere die Basis der Urteile offenlegt. Dies erfolgt in den Feldern gentechnisch veränderter Nutzpflanzen und der Xenotransplantation. Der Expertenpluralismus soll gewährleisten, die gesamte Bandbreite von Argumenten zu erfassen. Bislang wurden Evidenzkriterien erfasst, es wurde ein Interviewleitfaden erstellt und erste Experteninterviews wurden durchgeführt.

4.9   Risikobewertungen energietechnischer Anlagen

Dieser Beitrag soll aufzeigen, welche Forderungen sich aus dem Kontext "Nachhaltigkeit" für die Abschätzung und Analyse von Störfallrisiken technischer Anlagen ergeben. Im Berichtszeitraum wurden Bestandsaufnahmen und Literaturrecherchen zur Methodik der Risikobewertung durchgeführt. Diese erstreckten sich insbesondere auf interdisziplinäre Projekte der Risikoforschung, auf Konzeptionen der Sozialverträglichkeit und Fehlerfreundlichkeit und auf das Life Cycle Assessment (LCA). Diese Arbeiten sollen dazu beitragen, die Anwendung der Regel 4 ("Technische Großrisiken mit möglicherweise katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt sind zu vermeiden") zu ermöglichen. Dies erfordert eine Definition und Konkretisierung der verwendeten Begriffe: 

4.10   Schlüsseltechnologie Informations- und Kommunikationstechnologie

In diesem Arbeitspaket geht es um die Analyse ausgewählter informations- und kommunikationstechnologischer Potenziale für eine nachhaltige Entwicklung. In der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung wird zivilgesellschaftlichen Netzwerken zugetraut, hierbei eine zentrale Rolle zu übernehmen. Die Potenzialanalysen werden in zwei Untersuchungsfeldern durchgeführt, deren Auswahl in jeweils inhaltlichen, strukturellen und IuK-technischen Begründungszusammenhängen steht. Diese Bereiche sind "Selbsthilfenetzwerke im Gesundheitswesen" und "Kommunale Netzwerke im Rahmen lokaler Agenda 21-Prozesse".

Die exemplarische Untersuchung, die Erkenntnisse über Möglichkeiten und Ansatzpunkte für eine perspektivische Veränderung des gesellschaftlichen Status Quo im Sinne von Sustainable Development gewinnen will, ist darauf angewiesen, problemorientiert vorzugehen. Die Untersuchung bereits existierender Gesundheitsnetzwerke zur Selbstorganisation und Selbsthilfe der PatientInnen gibt über sozio-technische Netzwerk-Bedingungen einer gelingenden Information und Kommunikation, einer sozio-technischen Generierung, Verfügbarkeit und Verteilung von Wissen sowie über die Art und Weise ihrer Institutionalisierung Aufschluss.

4.11   Schlüsseltechnologie Nanotechnologie und Mikrosystemtechnik

Eine generalisierte Diskussion von Chancen und Risiken der Nanotechnologie - so wie sie in jüngerer Zeit in den Medien, zunehmend aber auch in der Politik geführt wird -, erscheint nicht geeignet und nicht problemadäquat. Vielmehr können Potenziale und Probleme von Nanomaterialien und -technologien in Bezug auf die Dimensionen der Nachhaltigkeit nur bei konkreten Produktinnovationen und deren Nutzung in spezifischen Anwendungsfeldern detaillierter betrachtet werden. Für die Auswahl der Anwendungsfelder bietet sich deshalb zunächst eine Konzentration auf die in der Studie vertieft behandelten Aktivitätsfelder an. Von diesen ausgehend wird dann - nach dem Versuch einer kurzen Übersicht über die gesamte inhaltliche Breite des Feldes "Nanotechnologie" - vorrangig eine vertiefte Betrachtung der für diese Aktivitätsfelder relevanten Entwicklungen erfolgen.

Im bisherigen Projektverlauf wurden - auf der Basis von Literaturauswertungen - zunächst ausgewählte Entwicklungspfade im Bereich der Nanotechnologie und der Mikrosystemtechnik beschrieben. Zugleich wurde der Versuch einer Zuordnung zu möglichen Produkt- und Anwendungsfeldern unternommen. In Medizintechnik und Gesundheitswesen sowie hinsichtlich neuer Komponenten für die Informations- und Kommunikationstechnik wird ein großes Einsatzpotenzial von Mikrosystemtechnik und Nanotechnologie erwartet.

4.12   Modellierung und Simulation

Die modernen IuK-Technologien bieten heute erstmals die Chance, durch komplexe Real World Simulationen unserer Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft neue Lösungswege, Visionen und Strategien für eine zukunftsfähige Entwicklung zu finden. In diesem Arbeitspaket wird ein entsprechendes interaktives Simulationstool auf der Basis wissenschaftlicher Modelle entwickelt.

Im Berichtszeitraum wurde maßgeblich das Design des interaktiven multidisziplinären Simulationsframeworks zur Entwicklung und Analyse von Nachhaltigkeitsstrategien erarbeitet und das Konzept der M3-Simulation entwickelt. Grundlegend ist dabei die Idee der Einbettung wissenschaftlich fundierter Simulationsmodelle in ein Virtual Reality Environment (VR), das reale menschliche Akteure in die Simulation involviert. Die vier entscheidenden Grundfunktionalitäten des Frameworks umfassen: Modellierung und Datenmanagement von Real World Systemen durch Simulationsmodelle und generalisierte Datenbank, Visualisierung und Information durch intuitive Darstellung als Virtual Environment, Kommunikation und Interaktion durch aktive Einbeziehung realer Akteure in die Simulation sowie Evolution und Erweiterung durch ein einheitliches Application Programming Interface. Diese Funktionen werden durch folgende Komponenten realisiert: Multi-Purpose Graphical User Interface zur Visualisierung der Simulierten Welt in spezifischen Darstellungen - Views - angepasst an die verschiedenen Anwendergruppen (Akteure, Experten, Entscheidungsträger, Öffentlichkeit); Multi User Virtual Environment (MUVE) als logische Repräsentation der simulierten Welt; Modellserver als verteiltes Netzwerk von wissenschaftlichen Modellen und die Messdatenbank zur Verwaltung der Parameter, Messdaten und Referenzkonfigurationen des realen zu simulierenden Systems.

5     Ausblick

Auf der Basis des erreichten Standes wird die Arbeit planmäßig fortgeführt. In der konkreten Realisierung kommt den Anregungen des Wissenschaftlichen Beirates eine besondere Bedeutung zu. Dies betrifft auch die Erarbeitung einer "Kommunikationsstrategie" für die bereits vorliegenden und noch zu erwartenden Ergebnisse des Projektes.

Der Zwischenbericht liegt mittlerweile gedruckt vor und kann über ITAS bezogen werden. Für die Präsentation der Ergebnisse wird eine eigene Buchreihe bei Edition Sigma eingerichtet. Diese soll im Herbst mit zwei Bänden eröffnet werden.

Der erste Band stellt das integrative Konzept der Nachhaltigkeit vor, wie es in der Vorstudie entwickelt wurde und nun im Projekt weiterentwickelt und angewendet wird. Auf dem Hintergrund der Nachhaltigkeitsdebatte werden als die konstitutiven Elemente des Nachhaltigkeitsbegriffs herausgearbeitet: inter- und intragenerative Gerechtigkeit, globale Orientierung und der anthropozentrische Ansatz. Aus diesen Elementen werden generelle Ziele für Nachhaltigkeit abgeleitet und durch das System der substanziellen und instrumentellen Regeln operationalisiert. Diese werden weiter durch Indikatoren erläutert. Das gesamte Konzept schließlich wird wissenschaftstheoretisch reflektiert und in Beziehung zu aktuellen Diskussionen zur "problemorientierten Forschung" gesetzt.

Der zweite Band enthält zum einen eine integrierte Darstellung des komplexen Instrumentariums, das für die Zwecke dieses Projekts (teilweise in der genannten Vorstudie) entwickelt wurde. Wesentliche Stichworte sind Nachhaltigkeitsregeln und -indikatoren, Szenarien, Aktivitätsfelder, Schlüsseltechnologien und Modellierungen. Zum anderen wird aufgezeigt, auf welche Weise dieses Instrumentarium es ermöglicht, das Leitbild der Nachhaltigkeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen (Mobilität und Verkehr, Wohnen und Bauen, Ernährung und Landwirtschaft) und für spezifische Technologieentwicklungen zu operationalisieren. Damit verbunden, werden erste inhaltliche Ergebnisse des Projektes vorgestellt.

Anmerkung 

[1] Der Ergebnisbericht ist über ITAS erhältlich; eine Kurzdarstellung der Ergebnisse findet sich in den TA-Datenbank-Nachrichten (Heft 2/2000).

Kontakt

Prof. Dr. Armin Grunwald
Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Karlstr. 11, 76133 Karlsruhe
Tel.: +49 721 608-22500
E-Mail: armin.grunwald∂kit.edu