Think different - just do it!

Schwerpunktthema: Technikfolgenabschätzung und Industrie

Think different - just do it!

von Hauke Fürstenwerth [1] , Leverkusen

Eine ernsthafte Erörterung des komplexen Themas "TA und Wirtschaft" muss geführt werden auf der Basis klarer Vorstellungen, was TA ist, welche Bedeutung dem "Gemeinwohl" zugemessen wird und wer die handelnden Akteure in Wirtschaft und Technikentwicklung sind. Im nachfolgenden Beitrag wird am Beispiel des Silicon Valley verdeutlicht, welche herausragende Rolle Eigeninitiative und Kapitalmarkt bei der Entwicklung von Technik haben. Für eine TA, die als "Technik und Technikentwicklung reflektierende Forschung und Kommunikation" verstanden wird, ergeben sich aus der Praxis der Technikentwicklung in der Wirtschaft vielfältige Anknüpfungspunkte für Kooperationen.

1     Prädiskursive Einverständnisse

    "TA, die sich selbst im Zentrum der gesellschaftlichen Zukunftsdiskussion verortet, kann aufgrund der Vielfalt und Heterogenität, ja oft geradezu Widersprüchlichkeit der einzelnen Felder keinesfalls auf standardisierte Verfahren und konsensuell definierte Problemlagen zurückgreifen." (Grunwald 2000, S. 133)

Auf der Basis eines derartigen Selbstverständnisses und eines solch weitreichenden Anspruches von TA, der, wie Weber und Schäffer zu Recht ausführen (Weber, Schäffer 2000, S. 155), an der Realität vorbei geht, halte ich es für ausgeschlossen, praktikable Ansätze für eine sinnvolle Interaktion von TA und Wirtschaft zu erschließen. Hierzu bedarf es konkreterer und realitätsbezogener Definitionen von TA. Basierend auf einer solchen Definition (Fürstenwerth 2000, S. 161) habe ich einen Vorschlag für eine strukturierte Kommunikation von Wirtschaft und Politik (Fürstenwerth 2000, S. 162) unterbreitet. Meiner Definition von TA und dem konkreten Vorschlag zu möglichen Interaktionen von TA und Wirtschaft habe ich einen Exkurs zu Technik, Wirtschaft und Gesellschaft vorangestellt, in welchem die große Bedeutung von Finanzwesen und Organisation für die Entwicklung von Technik herausgearbeitet wird. Aus welchem Grunde auch immer, es wird das Finanzwesen in TA Studien und Diskussionen stets ausgeblendet.

Den Beitrag von Axel Zweck nehme ich zum Anlass, der aktuellen Diskussion um TA und Wirtschaft einige weitere Klärungen voranzustellen, ohne die wiederum das Abgleiten in wohlgefällige Beliebigkeit droht. Es hat sich in den Sozialwissenschaften durchgesetzt, moderne Gesellschaften als ein Gebilde aus sich überlappenden (autonomen?) Teilsystemen zu beschreiben. Ich halte es jedoch für nicht zulässig, den Staat selbst als lediglich ein gesellschaftliches Teilsystem einzuordnen (Zweck 2001, S. 141). Eine klare Differenzierung zwischen Staat und Gesellschaft ist gerade im Kontext von TA und Wirtschaft unabdingbar. Der Staat mit seinen verfassungsgemäß definierten Institutionen, Verfahrensregeln und Gewalten bildet die für alle Teilsysteme der Gesellschaft verbindliche Grundlage. Das Gewaltmonopol sichert dem Staat die Möglichkeit, diese für alle verbindlichen Regeln (Rahmenbedingungen) auch durchzusetzen. Wie unterschiedlich sich auch gesellschaftliche Teilsysteme mit ihren eigenen Funktionslogiken definieren, sie alle sind den Gesetzen und der Verfassung des Rechtsstaates in gleichem, verbindlichem Maße unterworfen.

Staaten definieren sich auf der Basis historischer, kultureller, politischer, ethnischer, wirtschaftlicher oder auch territorialer Gemeinsamkeiten. Ein charakteristisches Merkmal eines jeden Staates ist sein geographisch definiertes Hoheitsgebiet, auf welches sich seine Macht und Zuständigkeit begrenzt. Im Gegensatz hierzu sind Selbstverständnis und Definition von Gesellschaften und ihren Teilsystemen nicht notwendiger Weise an geographische Grenzen gebunden. Dieses gilt insbesondere für das Teilsystem "Wissenschaft". Wissenschaft ist ihrem Wesen und ihrer Funktion nach nicht national zu begreifen. Länder und Staatsformen übergreifend ist Wissenschaft immer global orientiert. Auch Realwirtschaft und Finanzwesen können nur noch unvollständig im engen nationalen Rahmen verstanden werden. Regierungen und Parlamente haben mit ihren Beschlüssen ermöglicht, dass diese Teilsysteme sich heute in globalen Dimensionen definieren. Staat und Gesellschaft sind nicht identisch, der Staat ist kein gesellschaftliches Teilsystem.

Der hier skizzierte Rechtsstaat ist nicht gleichzusetzen mit dem klassischen Obrigkeitsstaat, welcher sich durch ein streng hierarchisch gegliedertes System von (Staats) Willensbildung und -durchsetzung auszeichnet. Verfassungsrechtliche Vorgaben und demokratische Gepflogenheiten binden eine Vielzahl von Akteuren aus unterschiedlichen Teilsystemen der Gesellschaft mit ihren unterschiedlichen Eigeninteressen ein in die Formulierung politischer Entscheidungen und deren Umsetzung in Gesetzgebungsvorhaben. In komplexen Industriegesellschaften verfügen Regierung und Parlament nicht mehr über das notwendige Fachwissen oder gar einen Wissensvorsprung, um adäquate Sachentscheidungen treffen zu können. Dieses gilt insbesondere für die hoch spezifischen Fragestellungen in Wissenschaft und Technik. Auch verfügen sie nicht über die Autorität, hoheitliche Vorgaben in Bezug auf Fragen zu ethischen Problemen zu machen. Es ist Aufgabe des gesellschaftlichen Teilsystems "Politik", die notwendigen Lernprozesse zu organisieren, für Dialog und Transparenz zu sorgen, Interessen von Minderheiten und zukünftigen Generationen das notwendige Gehör zu verschaffen und schließlich all diese Prozesse ggf. in die Festlegung von für alle verbindliche Rahmenbedingungen (Gesetzgebungsverfahren) einzubeziehen [2] . In Bezug auf Fragen der Technikentwicklung hat TA in diesem Prozess ihre klassische Beratungsfunktion. In einem solchen durch konsensorientierte Entscheidungsstrukturen geprägten Rechtsstaat können Veränderungsprozesse wie Technikentwicklung nicht durch hoheitlich festgelegte Zielvorgaben gesteuert werden. Auch schützen kollektive Entscheidungen nicht vor Fehleinschätzungen und Fehlentscheidungen, welche zu gravierenden und kostenträchtigen Folgen führen können.

An einem Beispiel möchte ich verdeutlichen, wie problematisch ein wohlgefälliger Umgang mit begrifflichen Teilsystemen sein kann. So schreibt C. F. Gethmann über die "Wissenschaft": 

    "In dieser Diskussion spielen die Wissenschaften sowohl als problemverursachende (z. B. als Hersteller von Fluorkohlenwasserstoffen; FCKW), als auch als problementdeckende (z. B. als den Schwund der Ozonschicht empirisch feststellende) und problemlösende Instanzen (z. B. bei der Bereitstellung von Ersatzstoffen) eine komplexe und mehrdeutige Rolle." (Gethmann 1999, S. 2)

Mit dieser Formulierung stuft Gethmann die "Wissenschaft" pauschal als handelndes Subjekt ein. In der in dem Zitat wohl gemeinten "Chemie" hat es sich in der Tat eingebürgert, hierunter wahl- und wechselweise die Chemische Industrie, die Wissenschaftsdisziplin und/oder die Institution Wissenschaft zu verstehen, oft werden pauschalierend auch alle drei Begriffe unter "Chemie" subsumiert. Nicht nur im Kontext von TA müssen diese drei Einheiten aber klar von einander differenziert werden, schließlich können Probleme, die sich bei der praktischen Anwendung von chemischen Produkten und Verfahren ergeben, nur bedingt durch Diskussion der Wissenschaft Chemie gelöst werden. Die Chemische Industrie hat es mit gänzlich anderen Problemen zu tun als die Wissenschaft Chemie. Aus den Ergebnissen der Wissenschaftsdisziplin Chemie folgt in keiner Weise eine determinierende Handlungsanleitung zur praktischen Umsetzung dieser Ergebnisse. Die Umsetzung ist ein sozialer und politischer Prozess, der durch das Wollen und Können von handelnden Menschen geprägt wird, nicht aber durch chemische Charakteristika, mit denen sich die Wissenschaft Chemie beschäftigt.

Die Wissenschaftsdisziplin Chemie ist weder handelndes Subjekt noch handelnde Institution im Rahmen der praktischen Umsetzung ihrer wissenschaftlicher Ergebnisse. Sie ist lediglich ein Satz von Verfahrens- und Handlungsregeln, auf die Wissenschaftler sich geeinigt haben, die sich mit der chemischen Reaktivität von Elementen und Verbindungen beschäftigen. In allen Naturwissenschaften besteht der Wissenszuwachs nicht nur in der monotonen Anhäufung von Messwerten. Es werden Beschreibungen und Interpretationen von Phänomenen, Objekten und Verfahren angehäuft, die als neue Mosaiksteine zu einem sich dadurch erweiternden Bild hinzugefügt werden. Dieses Bild liefert im Sinne eines Vexierbildes jedem Betrachter unter seinem speziellen Betrachtungsaspekt neue Darstellungen, welche er unter Angabe seiner Betrachtungsspezifikationen anderen zugänglich machen kann. Die darin entdeckten wirtschaftlichen Optionen und Potenziale werden durch Unternehmer und nicht durch Wissenschaftler erschlossen.

Die Rede von der "Wirtschaft" oder der "Industrie" als Teilsysteme der Gesellschaft ist in der TA Diskussion geläufig und vertraut, dennoch scheint es schwierig, die mit diesen Begriffen umschriebenen Akteure konkret zu benennen. In einer engen Auslegung beschreibt der Begriff "Industrie" Großunternehmen des produzierenden Gewerbes. Diese Unternehmen lassen sich weiter aufgliedern in Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Kapitalgeber. Um welche Gruppe(n) geht es, wenn das Verhältnis von TA und Industrie geklärt werden soll? Zweck ersetzt ebenso wie ich den Begriff "Industrie" durch den umfassenderen Begriff "Wirtschaft" (Zweck 2001, S. 144 Anmerkung). Sein Anliegen ist es, damit auch KMUs und Bereiche außerhalb des produzierenden Gewerbes mit einzubeziehen. Offen bleibt, welche gesellschaftlichen Akteure er einbezieht. In meiner Diktion umfasst "Wirtschaft" alle am wirtschaftlichen Geschehen unmittelbar teilnehmenden Akteure: Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Investoren und Verbraucher.

Das Modell der polyzentrischen, in autonome Teilsysteme untergliederten Gesellschaft verklärt die Tatsache, dass wir auch in den reichen Industrienationen nach wie vor in einer Welt leben, die durch soziale Ungleichheit, durch Schichtung und Klassendifferenzen charakterisiert ist. Der Abstand zwischen den Habenden und den Nichthabenden vergrößert sich stetig. Die Verteilungsgerechtigkeit zwischen den Klassen ist auch der Kern der "Globalisierungsdebatte". Paul Nolte führt in einem Beitrag in der ZEIT (DIE ZEIT, 2/2001) zu Recht aus, dass die Rede von der "zivilen Gesellschaft" die sozialen Unterschiede verkleistert. Ohne Kenntnis von sozialer Ungleichheit und Klassenstrukturen sind politische und sittliche Zivilität überhaupt nicht möglich. Es hat nichts mit Sozialneid oder kommunistischem Klassenkampf zu tun, wenn man sich bewusst macht, dass es Klassenunterschiede sind, die diejenigen trennt, die in ungesicherten, schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen leben, die viel fernsehen und wenig Bücher lesen, von denen, die von der wirtschaftlichen Entwicklung profitieren, gut verdienen und an den Bildungs- und Informationsangeboten teilhaben [3] . Bildung und Besitz sind nach wie vor die Grundlage für Klassenzugehörigkeit in unserer in soziale Schichten ausdifferenzierten Gesellschaft. Durch Kaufkraft bestimmter Konsum und Lifestyle bestimmen die Zugehörigkeit zu einer sozialen Schicht. Kaufkraft und Lifestyle bestimmen auch, welche Technik und welche Produkte in der Wirtschaft entwickelt werden.

2     Wirtschaft, TA und Gemeinwohl

Sowohl Grunwald als auch Zweck betonen die Gemeinwohlorientierung von TA:

    "In der Praxis des Innovationsgeschehens muss dem Gemeinwohl nachdrücklich Geltung verschafft werden, ohne Innovationen planerisch zu kanalisieren. Hier greift TA." (Zweck 2001, S. 142)

Obgleich Gemeinwohl als zentrales Element von TA eingestuft wird, ja, die "klassische" Gemeinwohlorientierung geradezu zur Identität von TA gehören soll (Grunwald 2000, S. 134), gibt es keine mir bekannte Abhandlung darüber, was im Kontext von TA hierunter zu verstehen ist. Selbst in der VDI-Richtlinie 3780 fehlt dieser Begriff. Stattdessen werden dort "Wirtschaftlichkeit" (beschrieben als betriebswirtschaftliche Rentabilität) und "Wohlstand" aufgeführt. Eine umfassende Interpretation der VDI-Richtlinie ließe den Schluss zu, dass "Gemeinwohl" sich aus der Summe aller im Wertekatalog aufgelisteten Werte ergibt. Aber selbst bei dieser Auffassung vermittelt die VDI-Richtlinie keine Vorstellung davon, was Gemeinwohl in einer in soziale Klassen und Teilsysteme aufgefächerten Gesellschaft, in der nationale Grenzen immer mehr an Bedeutung verlieren, bedeuten kann. Wenn TA im Prozess der Technikentwicklung in der Wirtschaft eine begleitende, moderierende oder beratende Funktion einnehmen will, im Rahmen derer dem Gemeinwohl Geltung verschafft werden soll, muss klar sein, was unter Gemeinwohl verstanden wird. Ohne eine solche Klärung ist eine Interaktion von TA und Wirtschaft nicht sinnvoll. Wenn die Gemeinwohlorientierung von TA mehr ist als ein (nicht begründbares) religiöses oder ideologisches Glaubensbekenntnis, dann hat TA hier eine klare Bringschuld.

Ergänzend zu der Interpretation von "Gemeinwohl" im Kontext von TA sollte die TA-Szene im Rahmen der aktuellen Diskussion eine weitere Klarstellung als Bringschuld einlösen, denn es wird postuliert, dass Technikentwicklung in der Wirtschaft zum Zwecke der Steigerung des gesellschaftlichen Wohlbefindens betrieben wird. - In der VDI-Richtlinie 3780 wird ausgeführt: 

    "Auch wenn Wirtschaftlichkeit und Rentabilität oft isoliert gesehen werden, sollen sie doch letzten Endes den gesamtwirtschaftlichen Wohlstand fördern." (VDI-Report 15, S. 71)

Im gleichen Sinne formuliert Grunwald: 

    "Aber die zentrale Frage ist doch, reicht es, wenn ein Technikentwickler ‚klare Visionen ... über Nutzen und Vorteile' einer Technik hat und ‚an deren Realisierung mit großer Verbissenheit' arbeitet, um anzunehmen, dass diese Technik das gesellschaftliche Wohlbefinden steigert?" (Grunwald 2001, S. 154)

Damit wird wirtschaftlich betriebene Technikentwicklung in den Dienst einer übergeordneten Zielsetzung gestellt.

TA beansprucht aber nicht nur, Anwalt des gesellschaftlichen Gemeinwohls zu sein, TA verfügt auch über die dazu notwendigen Instrumente: Für die Produktentwicklung 

    "bietet TA ein Instrumentarium, diese nicht an einem engen, sondern an einem offeneren, am Gemeinwohl orientierten Kalkül zu betrachten (VDI-Richtlinie 3780)" (Zweck 2001, S. 143)

Auch wenn Zweck eine politische Verantwortung von TA für das Gemeinwohl explizit ausschließt, (Zweck 2001, S. 144) bleibt der Eindruck, dass 

    "eine ausdifferenzierte TA-Szene mit eigenen Selbstverpflichtungen, Ansprüchen und spezifischer Eigenlogik" (Zweck 2001, S. 141f.)

als wichtiger Akteur in der Entwicklung von Technik gesehen wird, der zudem als ausgereiftes Instrument der Wirtschaft helfen kann, Fehlinvestitionen zu vermeiden, gleichwohl aber als Vermittler zwischen gesellschaftlichen Teilsystemen an Schlagkraft gewinnt, je offener er sich und seine Ergebnisse in alle Bereiche der Gesellschaft einbringt (Zweck 2001, S. 144). - Wenn ich die von mir wahrgenommene Realität der TA an diesen Ansprüchen messe, komme ich in der Tat nicht umhin, 

    "weit überzogene, teilweise unbegründete und auch schlicht weg unverschämte Ansprüche zu entdecken." (Fürstenwerth 2000, S. 162)

Nach meinem Wissen gibt es kein funktionierendes Modell einer Gesellschaft, in der technischer Wandel nach Kriterien von gesellschaftlichem Gemeinwohl zu geschehen hat. Zu den politisch erkämpften Freiheiten in aufgeklärten Demokratien gehört auch der Verzicht auf den Zwang, Technikentwicklung in den Dienst übergeordneter Ziele stellen zu müssen. Nur unter dieser Freiheit ist es möglich, spezifische Technik entsprechend den Präferenzen, den Wertvorstellungen, dem Lebensstil und der Kaufkraft der in sozialen Schichten und gesellschaftlichen Teilsystemen lebenden Verbraucher zu entwickeln. Deshalb stimme ich Grunwald zu, wenn er an anderer Stelle feststellt: 

    "Es besteht keine Verpflichtung für die Industrie, in ihren Produkten das gesamtgesellschaftliche Interesse zu realisieren. Von der Industrie ist in keiner Weise zu erwarten, dass sie die Folgen ihrer Produkte in einem umfassenden Sinne unter gesellschaftlicher Perspektive abschätzt und danach handelt." (Grunwald 2000, S. 134)

- Wobei ich unterstelle, dass mit "Industrie" die auf eigenes Risiko handelnden Verbraucher und Unternehmer gemeint sind. - Der unternehmerisch agierende Technikentwickler entscheidet, warum und für wen er welche Produkte und Verfahren entwickelt, der Verbraucher entscheidet, warum und vom wem er technische Produkte und Verfahren erwirbt und einsetzt.

3     TA und Gestaltungsanspruch

Anwendung und Entwicklung von Technik sind elementarer Bestandteil menschlicher Kultur. Sie sind integriert in die Fortentwicklung der sozioökonomischen Systeme, in denen Menschen leben. Aus Anwendung und Entwicklung von Technik ergeben sich vielfältige Fragestellungen, die unter verschiedenen Aspekten von unterschiedlichen Akteuren mit jeweils eigenen Zielsetzungen, Konzepten und Wertvorstellungen bearbeitet werden können. Hierauf basiert meine Definition von TA als "Technik und Technikentwicklung reflektierende Forschung und Kommunikation" (Fürstenwerth 2000, S. 161). TA ist nach meiner Auffassung keine gesellschaftliche Institution, kein Anwalt gesamtgesellschaftlicher Güter, kein Moderator politischer Prozesse wie dem der Technikentwicklung und auch kein handelnder Akteur in diesen Prozessen. Den weltweit zahlreich durchgeführten Studien, welche sich mit Fragen der Technikentwicklung befassen, kann man entnehmen, dass TA sich auch nicht durch spezifische Methoden und Instrumente auszeichnet. Fragen der Anwendung und Entwicklung von Technik werden in komplementärer Weise durch unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze und Disziplinen mit den in diesen Disziplinen bewährten und anerkannten Konzepten und Methoden bearbeitet. TA ist charakterisiert durch Fragestellungen und nicht durch Methoden oder Institutionen. Die in der Anwendung und Entwicklung von Technik handelnden Akteure können auf die in TA-Studien aufgezeigten Sachverhalte bei ihren Entscheidungen zurückgreifen - oder aber auch darauf verzichten. Dieses Schicksal teilen TA-Studien mit allen anderen wissenschaftlichen Studien, in denen Wissen generiert wird. Es besteht kein Anspruch darauf, dass TA-Studien Grundlage für Entscheidungen sein müssen oder zur Rechtfertigung von Entscheidungen oder auch Nicht-Entscheidungen genutzt werden. Unternehmern, Verbrauchern und Politikern steht es frei, ihre Entscheidungen gemäß ihrer eigenen Vorstellungen zu treffen.

Die Konzepte der partizipativen TA haben sich zum Ziel gesetzt, möglichst viele "Bürger" oder Betroffene in den Prozess der Technikentwicklung oder die Entscheidungen über Anwendungen von Technik einzubeziehen. Diese Ansätze fassen TA als sozialen Prozess auf, aus dem nahezu zwangsläufig Mitbestimmungsansprüche resultieren. [4] Damit steht partizipative TA immer im potenziellen Konflikt mit den durch die Verfassung vorgegebenen oder vom politischen System praktizierten Entscheidungsprozessen und -strukturen. Auch emanzipatorische Ideale einer bürgerorientierten Demokratie oder am "Gemeinwohl" orientierte Vorstellungen einer "Zivilgesellschaft" sollten die vom Staat garantierten Freiheiten von Verbrauchern und Produzenten akzeptieren. Die Entwicklung von Technik ist ein zielgerichteter Suchprozess, der keinen falsifizierbaren Theorien unterliegt, der experimentell gestaltet wird und nur in enger Kooperation von Anwendern und Produzenten zu praktischen Ergebnissen führt. Partizipation ist integrales Element der Technikentwicklung.

4     Modell "Silicon Valley"

Die alles entscheidende Voraussetzung für die Schaffung von Wohlstand in den heutigen Industrienationen war und ist die Herausbildung einer dem kontrollierenden Einfluss von politischer und religiöser Obrigkeit weitgehend entzogenen autonomen Wirtschaftssphäre mit der Freiheit, eigenverantwortlich Handel und Gewerbe treiben zu können. In diesem vom Staat zugestandenen Freiraum ist es das synergistische Zusammenwirken von wissenschaftlich-technischer Innovation mit Innovationen in Organisation und Finanzen, welches den Wohlstand von Gesellschaften hervorgebracht hat und weiter hervorbringen wird. Grenzen und Verfahrensregeln dieses Freiraumes werden in einem politischen Prozess in der Gesellschaft ausgehandelt, wo notwendig staatlich sanktioniert (Gesetzgebung). Sie können aufgrund neuer Befunde oder Initiative gesellschaftlicher Gruppierungen oder interessierter Akteure verändert und ergänzt werden. Weder der politische Gestaltungsprozess noch seine Ergebnisse unterliegen allzeit gültigen Naturgesetzen und nicht immer auch nur den Regeln formaler Logik. Insbesondere in moralischen Wertungsfragen versagt die formale Logik. Rechtsfrieden und Rechtssicherheit können auch erreicht werden, indem die Gesetzgebung ganz bewusst der logischen Widersprüchlichkeit der menschlichen Existenz Rechnung trägt (Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionsmedizin, pränatale Diagnostik, Forschung mit embryonalen Stammzellen, aber auch Prostitution und Genuss von Drogen).

Veränderungen werden bewirkt und initiiert von risikobereiten Individuen, denen Staat und Gesellschaft Anreizsysteme bieten, Risiken einzugehen. Es ist die eigenverantwortliche Initiative von Individuen, die Veränderungen bewirkt. In Bezug auf Technikentwicklung bietet der Staat Unternehmen und Privatpersonen über das Patentrecht den Anreiz, sich ein auf die Laufzeit der Patente beschränktes Monopol und damit Schutz vor Wettbewerb zu sichern. Auch mit finanziellen Anreizen - direkte und indirekte Subventionen, Forschungsförderung [5] , Bürgschaften, Steuerrecht und vieles andere mehr - wird die Eigeninitiative unterstützt. Die Gesellschaft bietet über vielfältige Formen der sozialen Anerkennung unternehmerischer Leistung ebenfalls Anreize, wirtschaftliche Risiken einzugehen. Viele Unternehmensgründer der "New Economy" haben weltweit einen Kultstatus erreicht, der denen von Popstars und Spitzensportlern in keiner Weise mehr nachsteht.

Die Rede von der "Industrie" oder der "Wirtschaft" im Kontext von Technikentwicklung verkennt die Tatsache, dass es in der Entwicklung von neuen Produkten und Verfahren immer wieder einzelne Individuen sind, die mit ihren Visionen und ihrem Können neue Technik konzipieren und umsetzen. Das gilt für start-up Unternehmen ebenso wie für große Konzerne. Exemplarisch nachvollziehen lässt sich diese Beobachtung am gut dokumentierten Beispiel der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, welche in den vergangenen drei Jahrzehnten ganz neue Wirtschaftssegmente geschaffen haben und mit ihren Produkten heute alle Bereiche des täglichen Lebens durchdringen.

Die Wiege dieser Entwicklungen ist das Silicon Valley, der Landstrich in Kalifornien, aus dem Ende der 90er Jahre pro Tag mehr als 60 Millionäre hervorgegangen sind. Nach Einschätzung von David Kaplan ist "Silicon Valley ... nicht nur das Epizentrum der Hightech-Entwicklung, sondern auch die Seele des Zeitgeistes." 

    Es ist der Ort, an dem "jeder geldgierige und ehrgeizige Dreiundzwanzigjährige ... der Meinung ist, er (in seltenen Fällen auch sie) werde die Art und Weise, wie wir leben, denken, spielen, sogar mit uns selbst umgehen, grundlegend verwandeln - wobei es allerdings meist nur um die hundertfünfzigste Methode geht, Gummibärchen im Internet zu verkaufen. Die meisten dieser Ideen gehen sowieso den Bach runter." (Kaplan 2000, S. 31)

Damit sind die essentiellen Elemente der Technikentwicklung beschrieben: Eigennutz (Geldgier), Unsicherheit (Risiko) und Visionen darüber, wie das Leben der Menschen verbessert werden kann. Diese Triebfedern bestimmen auch die Technikentwicklung in etablierten Konzernen.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Großunternehmen und start-up besteht in der Art und Weise, wie die Technikentwicklung finanziert wird. In Großunternehmen wird die Entwicklung aus dem laufenden Geschäft heraus finanziert, in den start-ups über den Kapitalmarkt. Ohne einen funktionsfähigen Kapitalmarkt wäre die Entwicklung von Informations-, Kommunikations- und Biotechnologie-Industrie nicht möglich gewesen. Eine herausragende Bedeutung für den Aufbau dieser neuen Industrien hat das "Venture Capital", für das sich im deutschen je nach ideologischer Vorprägung die Begriffe Risikokapital, Wagniskapital und Chancenkapital eingebürgert haben. [6]

Venture Capital wird in Unternehmensgründungen investiert, nicht in Existenzgründungen. Der klassische Existenzgründer ist darauf angewiesen, dass er seinen Lebensunterhalt aus dem laufenden Ertrag seiner Geschäftstätigkeit heraus bestreiten kann. Nicht so der Unternehmensgründer, dieser bezieht für seine Tätigkeit von dem von ihm gegründeten Unternehmen ein Gehalt, welches seine Existenz sichert. Bei Hightech Gründungen liegt dieses Gehalt durchaus in der Größenordnung dessen, was in den etablierten Unternehmen für vergleichbare Qualifikationen bezahlt wird, inklusive Dienstwagen und anderen Sozialleistungen. Das persönliche Risiko des Unternehmensgründers besteht darin, im Konkursfalle seines Unternehmens arbeitslos zu werden.

Hightech-Entwicklungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit hohen Risiken behaftet sind, mehrere Jahre dauern und einen hohen Kapitalbedarf haben. Es müssen vom Unternehmen bis zu mehreren hundert Millionen Euro aufgebracht werden, bevor es über den Verkauf von Produkten zu einem Rückfluss der Mittel kommt. Dieses Kapital wird den Unternehmensgründern von Venture Capital Investoren zur Verfügung gestellt. Der VC-Geber erhält für sein Kapital keine Zins- und Rückzahlungsgarantien, sondern Unternehmensanteile, wird also zum mithaftenden Unternehmer. Seine Rendite erzielt der VC-Investor nicht über Dividenden, welche das von ihm mit finanzierte Unternehmen in ferner Zukunft einmal ausschütten wird, sondern aus dem Weiterverkauf seiner Unternehmensanteile an andere Investoren.

Im Gegensatz zu Existenzen sind Unternehmen frei handelbare Güter. Käufer sind andere Investmentfonds, Unternehmen, die sich durch Aufkauf von start-ups verstärken wollen, oder auch Privatpersonen, an die über einen Börsengang des Unternehmens die Anteile veräußert werden können. 6,4 Millionen Deutsche besitzen Aktien, sind damit also direkt an Unternehmen beteiligt, 8,4 Millionen halten Fondsanteile und damit indirekte Beteiligungen. Ein Unternehmen muss beileibe nicht profitabel arbeiten, um Anteile dieses Unternehmens verkaufen zu können. So waren zum Beispiel nur knapp 20 Prozent der im 2. Quartal 2000 an der NASDAQ neu ausgebotenen Unternehmen zum Zeitpunkt des Börsenganges profitabel, 80 Prozent arbeiteten mit Verlust.

Der Wert eines Unternehmens definiert sich nicht über seine gegenwärtigen Erträge, sondern über das erwartete, mit hohem Risiko behaftete Ertragspotenzial. Gehandelt werden Hoffnungen und Visionen. Hoffnungen und Visionen basieren auf nicht messbaren Zukunftserwartungen, welche mit großen Fehlern behaftet sein können. Das Risiko selbst wird zum Handelsgut. Wie hoch Risiko und Gewinnchancen sind, sei an einigen Zahlen verdeutlicht: Zwischen dem 1. August 1995 und dem 31. Januar 2001 sind 394 Internet-Unternehmen an der NASDAQ ausgeboten worden, 90 % dieser Firmen sind noch nicht profitabel, aber die 40 profitablen Unternehmen haben in Summe einen Gesamtwert von mehr als 400 Milliarden Dollar. In den frühen 90er Jahren sind ca. 300 Biotechunternehmen an die Börse gegangen, von diesen existieren 200 nicht mehr. Heute sind etwa 400 Biotechunternehmen gelistet, von denen lediglich 23 profitabel arbeiten, aber 86 Prozent der Marktkapitalisierung der gesamten Branche auf sich vereinigen. Die Biotechindustrie produziert in Summe einen Nettoverlust von nahezu 7 Milliarden Dollar pro Jahr. In den letzten 18 Monaten sind VC unterstützt mehr als 700 Unternehmen gegründet worden, die sich mit Glasfasernetzen beschäftigen, noch arbeiten alle mit Verlust, nur wenige werden überleben.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die VC-Fonds ihren Investoren durchschnittlich nur eine marginale Verzinsung von wenigen Prozenten erwirtschaften. Der Reiz liegt in den exorbitanten Gewinnen, die einzelne Fonds mit einigen wenigen Investments für ihre Investoren machen: 1986 investierte Sequoia Capital 2,5 Mio. Dollar in die 2 Jahre alte Firma Cisco Systems und erhielt dafür 30 Prozent der Unternehmensanteile. Diese waren nach dem Börsengang von Cisco im Jahr 1990 ca. 10 Milliarden Dollar wert. 1976 hat Kleiner-Perkins 200.000 Dollar in die Gründung von Genentech investiert und dafür 25 Prozent der Unternehmensanteile erhalten. Nach dem Börsengang von Genentech 1980 hatten diese einen Wert von 160 Mio. Dollar. Aus einem Investment von 7,4 Mio. Dollar in @Home Network wurde für Kleiner-Perkins in wenigen Jahren ein Gewinn von mehr als 1 Milliarde Dollar.

Gründer und Mitarbeiter der start-ups besitzen Anteile an ihren Unternehmen, welche sie nach einem Börsengang frei handeln können. [7] Es sind nicht die Gewinne der Unternehmen und auch nicht die in der "New Economy" gezahlten Gehälter, die bisher schon einige hunderttausend Millionäre hervorgebracht haben. Es ist der Besitz von Aktien dieser Unternehmen. In Deutschland ist das Bewusstsein um die Bedeutung eines funktionierenden Kapitalmarktes für den Aufbau neuer Industriebranchen und insbesondere den Aufbau von Technologieunternehmen noch recht jung. Doch die Zahlen zeigen, welch überragende Bedeutung diesem Markt für die Entwicklung neuer Industriezweige zukommt: 1999 haben die US amerikanischen VC-Gesellschaften ca. 50 Milliarden Dollar in start-ups investiert. Das ist mehr als die Summe dessen, was in Deutschland von Staat und Privatwirtschaft in Summe für F&E aufgewandt wurde (92,6 Mrd. DM, davon 60,6 Mrd. DM von der Wirtschaft, 31,6 Mrd. DM vom Staat). Hinzu kommt ein Vielfaches dieses Betrages, welches den jungen Unternehmen über Börsengang und weiteren Kapitalerhöhungen zugeflossen ist. Etablierte Unternehmen beschäftigen sich vorwiegend mit der Pflege und der Verbesserung bekannter Technik. Es sind die VC finanzierten start-ups, die frei von der Verantwortung für einen laufenden Betrieb mit mehreren tausend Mitarbeitern weit höhere Risiken eingehen und damit auch häufiger wirklich bahnbrechende Innovationen hervorbringen können.

Unter Einbeziehung und Ausnutzung der bestehenden Wertschöpfungsmechanismen des Kapitalmarktes ist es risikobereiten Unternehmern in der Tat gelungen, die Art und Weise wie wir leben, grundlegend zu verändern. David Packard, Bill Hewlett, Robert Noyce, Gordon Moore, Andy Grove, Andreas Bechtolsheimer, Bill Joy, Steve Jobs, Steve Wozniak, Gary Kildall, Paul Allen, Bill Gates, Sandra Lerner, Leonard Bosack, Larry Ellison und viele andere mehr haben ihre technische Expertise, ihr unternehmerisches Können und ihre Visionen eingesetzt, um die Grundlagen zu schaffen für das, was heute als "Wissensgesellschaft" bezeichnet wird. Die von ihnen erarbeiteten Produkte und Dienstleistungen sind ihre in einem dynamischen Abgleich mit den Wünschen und Bedürfnissen ihrer Kunden realisierten Visionen. Sie haben die von Staat und Gesellschaft zugestandenen Freiräume schöpferisch genutzt. Sie sind dabei teilweise auch an Grenzen dessen gestoßen, was juristisch oder moralisch geregelt war. So haben die ersten privaten Radiosender in Europa ihre Sendeeinrichtungen auf Schiffen außerhalb der drei Meilen Zonen gehabt. Die gesellschaftliche Akzeptanz ihres Handelns hat dann später zur Legalisierung der privaten Medienunternehmen geführt. Heute dominieren diese Unternehmen den Medienmarkt. Napster hat auf eigenes Risiko, unterstützt durch VC-Investoren, zum Vorteil von Millionen, vor allem jugendlicher Nutzer ein Geschäftsmodell realisiert, von dem bis heute nicht klar ist, ob es legalisiert werden wird. Einige Biotechunternehmen haben frühzeitig mit der Forschung an embryonalen Stammzellen begonnen, auch hier ist offen - zumindest in Deutschland - ob diese Forschung legalisiert werden wird.

Marktinnovationen bewirken Veränderungen, die weit über den unmittelbaren Gestaltungsraum einzelner Unternehmen hinausgehen. Sie reichen tief in alle gesellschaftlichen Ebenen hinein. Marktinnovationen sind ein gesamtgesellschaftliches Vorhaben und damit Gegenstand politischer Auseinandersetzung. Marktinnovationen werden gestaltet durch Menschen. Menschen sind komplexe, in sich widersprüchliche Existenzen. Sie sind nicht wie von den Philosophen der Aufklärung postuliert, interessenlos, nur der Vernunft und ihrem Gewissen verpflichtet. Sie sind nicht die von den Wirtschaftswissenschaftlern postulierten Wesen, die ständig danach trachten, den wirtschaftlichen Nutzen ihres Handelns zu maximieren. Es sind Wesen, die jeden Tag ihr ökonomisches Eigeninteresse irgendeinem anderen Motiv unterwerfen, sei es ihren Gefühlen, ihrem Machtinstinkt, ihren Idealen, ihrer Spielleidenschaft oder ihrem Geschlechtstrieb. Diese Menschen gestalten und bestimmen den politischen Prozess der Technikentwicklung. Kraft ihrer Vorstellungen können sie die Regeln, nach denen dieser Prozess verlaufen soll, jederzeit ändern. Betrieben werden Veränderungen durch Personen, die neue Ideen umsetzen. Das gilt auch für TA, deshalb: think different - just do it!

5     Ausblick

In Deutschland wird politische Auseinandersetzung - in Erinnerung an den preußischen Stände- und Obrigkeitsstaat? - noch sehr stark auf der Ebene gesellschaftlicher Institutionen ausgetragen. Oft schimmert hierbei nach meiner Einschätzung die Hoffnung durch, es müsse doch eine legitimierte Institution geben, welche weiß, was richtig, und damit auch, was zu tun ist. Doch weder Staat, noch Kirche, noch Wissenschaft haben das Wissen und auch nicht die Kompetenz, diese Sehnsucht erfüllen zu können - auch nicht in Bezug auf den Einsatz und die Entwicklung von Technik. Als Akteure im Prozess der Technikentwicklung werden wir uns alle weiterhin darüber streiten müssen, was richtig und was zu tun ist. Wir werden in Staat und Gesellschaft diesen politischen Prozess gemeinsam gestalten müssen. Wir werden auch in Zukunft Fehlentscheidungen treffen. Wir werden auf nicht vorhergesehene oder nicht länger akzeptable Folgen des Einsatzes von Technik angemessen reagieren müssen. Politische Auseinandersetzungen werden wohl nie allein auf der Basis rationaler Argumente geführt werden. In den Auseinandersetzungen um Technik kann eine richtig verstandene TA das Mittel der Wahl sein, der Rationalität zumindest Gehör zu verschaffen. TA, verstanden als "Technik und Technikentwicklung reflektierende Forschung und Kommunikation" messe ich persönlich eine große Bedeutung bei. Eine solche TA hat ein breites Betätigungsfeld, auf dem sich vielfältige Kooperationen mit Akteuren der Technikentwicklung - der "Wirtschaft", dem dynamisch interagierenden Netzwerk von Verbrauchern, Unternehmern, Arbeitnehmern und Investoren - ergeben werden.

Anmerkungen

[1] Dieser Beitrag ist ein rein privater Diskussionsbeitrag, er gibt ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wieder. Der Autor ist Chemiker und verfügt über mehr als 20 Jahre praktische Erfahrungen in der Entwicklung von Technik. Seit langem beteiligt er sich aktiv an der TA-Diskussion, mehrere Jahre als Vertreter des VCI und der Bayer AG, in den letzten Jahren ausschließlich als Privatperson.

[2] In Deutschland werden immer mehr Entscheidungen nicht im politischen System erarbeitet, sondern vom Bundesverfassungsgericht getroffen. Ob Blauhelm Einsatz, Schwangerschaftsabbruch, Steuerrecht und Pflegeversicherung, ja selbst die Haltung von Legehennen, in immer mehr Fragen entziehen sich Parlament und Regierung ihrer Verantwortung und delegieren Entscheidungen nach Karlsruhe.

[3] Allein die Zahl der in Deutschland in Armut lebenden Kinder beträgt ca. 2 Millionen.

[4] Einen expliziten Gestaltungsanspruch von TA formuliert z. B. Barbara Skorupinski, wenn sie schreibt: "Ad absurdum geführt wird ein TA-Verfahren dann, wenn während des Verfahrens politische Entscheidungen getroffen werden, die sich auf die Ergebnisse des Verfahrens hätten stützen müssen." (Skorupinski 2000, S. 93)

[5] Forschung in der Privatwirtschaft wird in Deutschland mit ca. 5 Milliarden DM jährlich vom Staat bezuschusst. Damit erhält die Privatwirtschaft mehr Projektmittel als jede andere vom Staat finanzierte Forschungseinrichtung.

[6] Das Thema Venture Capital kann in diesem Kontext nicht umfassend dargestellt werden, ich beschränke mich auf Aspekte, die ich für den Kontext der Diskussion "TA und Wirtschaft" für wichtig halte.

[7] Die Steuerreform der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung befreit die Gewinne aus der Veräußerung von Unternehmensanteilen von jeglicher Steuer. Es bleibt das Geheimnis der rot-grünen Regierungskoalition, warum Aktienoptionen für Mitarbeiter der Unternehmen weiterhin versteuert werden müssen.

Literatur

Fürstenwerth, H., 2000: TA mit Politik und Wirtschaft. TA-Datenbank-Nachrichten, 4(2000) ITAS, Karlsruhe

Gethmann, C. F., 1999: Rationale Technikfolgenbeurteilung. In: A. Grunwald (Hrsg): Rationale Technikfolgenbeurteilung, Konzeption und methodische Grundlagen. Berlin: Springer Verlag, S. 1-10

Grunwald, A., 2000: TA-Politikberatung oder Unternehmensberatung? TA-Datenbank-Nachrichten, 3(2000) ITAS, Karlsruhe

Grunwald, A., 2001: Warum das Thema "TA und Industrie" umfunktionieren in eine Generaldiskussion über TA? TA-Datenbank-Nachrichten, 1(2001) ITAS, Karlsruhe

Kaplan, D. A., 2000: Silicon Valley - Die digitale Traumfabrik und ihre Helden. München: Heyne Verlag

Luhmann, J., 2001: Eine weitere Form "partizipatorischer" TA: Die Unternehmensstrategie Privater als Gegenstand eines Technology Assessment seitens öffentlicher Wissenschaft. TA-Datenbank-Nachrichten, 1(2001) ITAS, Karlsruhe

Skorupinski, B., 2000: Technikfolgenabschätzung und Ethik - Eine Verhältnisbestimmung in Theorie und Praxis. TA-Datenbank-Nachrichten, 2(2000) ITAS, Karlsruhe

VDI-Report 15, 1991: Technikbewertung - Begriffe und Grundlagen. Düsseldorf: VDI

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Dr. Hauke Fürstenwerth
Unterölbach, 51381 Leverkusen
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