Reflexionen: Rezension

Der Kampf gegen den Klimawandel ist gewinnbar

Jeremy Leggetts Sicht auf den „carbon war“

Hans-Jochen Luhmann, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Döppersberg 19, 42103 Wuppertal (jochen.luhmann@wupperinst.org)

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TATuP Bd. 26 Nr. 1–2 (2017), S. 78–81, https://doi.org/10.14512/tatup.26.1-2.78

Leggett, Jeremy (2016): The Winning of The Carbon War. Power and Politics on the Front Lines of Climate and Clean Energy. London: Selbstverlag, 366 S., 9,99 GBP, ISBN 9781364485436

Freier Download unter: http://www.jeremyleggett.net/wp-content/uploads/dlm_uploads/2016/01/The-Winning-of-The-Carbon-War-January-20161.pdf, zuletzt geprüft am 08. 06. 2017.

Gut 40 Jahre währt bereits die Auseinandersetzung um den Stopp des menschgemachten Klimawandels. Angesichts dessen fragen sich manche Aktivisten, ob dieser „Kampf“ um die klimapolitischen Reduktionsziele, insbesondere beim Verbrauch fossiler Energieträger, noch zu gewinnen sei. Die Klimaengagierten aller Länder haben sich zwar vereinigt, aber es handelt sich doch, des ausbleibenden Erfolgs wegen, um eine in Teilen depressionsgeneigte Gemeinschaft. Jeremy Leggett, Mitstreiter der ersten Stunde, will mit seinem aktuellen Buch „The Winning of the Carbon War“ dagegen Hoffnung und Zuversicht verbreiten. Ein Erfolg sei möglich und bereits in Ansätzen absehbar. Seine Erfahrungsbasis: Zugänge, die sich aus dem facettenreichen, beruflichen Weg des Autors ergeben. Wer ist dieser Jeremy Leggett und worauf fußt seine Expertise?

Leggett hat Geologie studiert und war zunächst an der zentralen Ausbildungsstätte für Erdölgeologen, dem Imperial College in London, als Ausbilder tätig. Außerdem war er zu dieser Zeit Consultant für Ölunternehmen und ist auf die Gefährdung des Klimasystems durch den Menschen aufmerksam geworden. Er hat daraus Konsequenzen gezogen, indem er als Klima-Campaigner zu Greenpeace gegangen ist. In dieser Rolle hat er die alljährlichen Konferenzen der multilateralen Klimapolitik der United Nations Framework Convention on Climate Change (UNFCCC) miterlebt. Leggett ist Koautor des Szenarienberichts im First Assessment Report (FAR) des IPCC (Leggett et al. 1992). Im Anschluss daran engagierte ihn die internationale Versicherungswirtschaft, ihre spezifischen Interessen bei den UNFCCC-Verhandlungen zu vertreten. Was die Strukturen und Feinheiten multilateraler Klimapolitik als auch das Finanzwesen hinter den produzierenden Unternehmen angeht, verfügt er somit über ein intimes Insiderwissen. In der dritten Phase seines Berufslebens gründete er das Solarenergieunternehmen SolarCentury und, als dessen gemeinnützige Tochter, SolarAid, mit der Marke SunnyMoney, mit dem Ziel, die verbreiteten häuslichen Petroleumlampen in Afrika zu ersetzen. Leggett bespielt also auch die Sparte Social Entrepreneurship. Hinzugekommen ist jüngst der Aufsichtsratsvorsitz des Analysten-Unternehmens Carbon Tracker.

Über die Jahre hat Leggett eine Reihe erfolgreicher Sachbücher (1999; 2006; 2014) geschrieben. Darin ist es jeweils um eine Antwort auf die Frage gegangen, welche Chancen für welchen Ausgang des klimapolitischen Ringens bestehen. Dabei leitete ihn ein Verständnis von Politik, für deren Erfolg weniger die originären Interessen von Staaten als von Wirtschaftszweigen entscheidend seien. Also fokussierte er auf die verschiedenen Fraktionen der Energieindustrie: die Kohle-, Öl- und Gasindustrien sowie die Industrien, die sich auf Sonne und Wind stützen. Dies stilisierte er als einen finalen Kampf zwischen „schwarz“ und „weiß“ – ein wenig an Amory Lovins „Endspiel“ (2004) erinnernd.

Das Buch als Tagebuch

Methodisches Spezifikum des hier angezeigten Leggettschen Buches ist, dass es – anders als seine bisherigen Bücher – ein „Tagebuch“ ist. Der Reiz eines Tagebuches besteht darin, dass es Authentizität und eine Schlüssellochperspektive verspricht. Für einen Leser, der die Lektüre wissenschaftlicher Berichte gewohnt ist, mag sich der Verdacht des Unseriösen aufdrängen. Legitim ist die Wahl dieser Darstellungsform nur, wenn sie zu leisten verspricht, was spezifisch transportiert werden soll. Überbringen will und muss Leggett bei seinem Anliegen Zweierlei: (i) (ansteckende) Hoffnung – nicht lediglich Optimismus zur Schau stellen; und (ii) einen Eindruck geben von dem, was in den vielfältigen Schaltstellen der Wirtschaft gegenwärtig alles an Kalkülen, Bewegungen und Bestrebungen los ist. Um Aufgabe (i) gerecht zu werden, braucht es Authentizität; um Aufgabe (ii) gerecht zu werden, braucht es die „Schlüssellochperspektive“, vulgo „teilnehmende Beobachtung“. Der Zusammenhang von (i) und (ii) ist, dass es überhaupt „Schaltstellen“ gibt, wenn auch in diverser, aber doch überschaubarer Form und Zahl.

Ad (i) (ansteckende) Hoffnung zu verbreiten stellt methodisch eine Herausforderung dar. Eine pure „Predigt“ der Zuversicht, die schlichte, auf der Sachebene verbleibende Behauptung, dem Rad des Systems im Selbstlauf sei noch rechtzeitig in die Speichen zu greifen, würde nicht reichen – das wäre als larvierte Depression durchschaubar und würde unter den historisch Erfahrenen und Ernüchterten das Gegenteil des Intendierten provozieren. Leggetts Methode ist einfach und einleuchtend: Er bringt sich selbst als Person ins Spiel; er bietet den Lesern an, teilzuhaben an seiner eigenen aufkeimenden Zuversicht, die er im Tagebuch dokumentiert vorfindet. Leggett schreibt schon länger Tagebuch, was seiner sachlichen Fokussierung aber auch seiner Selbstbeobachtung dient. Er entschied sich (a) am Jahreswechsel 2014/15, sein Tagebuch zu publizieren. Anlass war, dass er an seinen Einträgen festmachen konnte, wie in seiner Gestimmtheit im Verlauf der Jahre 2013/2014 ein Wechsel eingetreten war: Er war „guten Mutes“ geworden, dass das Endspiel zugunsten der Erneuerbaren ausgehen könnte. (b) Auf Basis dieser Selbstbeobachtung hat sich der Autor für Zweierlei entschieden: zur umgehenden Online-Publikation der Einträge ab Mai 2013 und zur Ankündigung, allmonatlich eine weitere Lieferung seines Tagebuches bis zum Abschluss der Klimakonferenz in Paris 2015 zu publizieren. (c) Das damit abgeschlossene Tagebuch, die Sammlung der allmonatlich fortlaufend bereits zur Verfügung gestellten Einträge, ist dann im Jahre 2016 zwischen Buchdeckel gepresst worden.

Ad (ii), zur sachlichen Ebene: Leggetts beruflicher Lebensweg sowie seine heutige Position bringen es mit sich, dass er von vielfältigen Kreisen der Wirtschaft und der Politik aus vielen Regionen der Welt eingeladen wird, um Vorträge zu halten, an Paneldiskussionen teilzunehmen, Know-how auf Vorstandsebene zu vermitteln oder auch um seinen Aufgaben bei der Analystenfirma Carbon Tracker gerecht zu werden.

Was er in seinem Tagebuch davon festhält, ist anonymisiert und in den Sachdetails so dezent formuliert, dass keiner seiner Gesprächspartner sich offenbart sehen muss – Leggett pflegt einen Stil, der hinsichtlich seiner Gesprächskontakte bzw. teilnehmenden Beobachtung keine „verbrannte Erde“ hinterlässt. Er bietet zwar eine „Schlüssellochperspektive“, aber mit Dezenz. Der Medien(un)sitte, als Quelle immer Ross und Reiter in personal identifizierbarer Weise zu benennen, folgt er gerade nicht.

Einsichten, die Leggetts Hoffnung nähren

Leggetts Hoffnung wird in der Sache, so mein Eindruck, von zwei neu aufkeimenden Einsichten unterfüttert. Das erste Element ist die strukturelle Einsicht in das, was das Paris-Abkommen besiegelt hat: Der Kampf wird nicht auf einer einzigen supranationalen Kampfstätte unter dem Dach der UNFCCC entschieden, sondern in der je nationalen freiwilligen Ausfüllung von Nationally Determined Contributions (NDCs). Es kommt auf die Binnen- und Wirtschaftspolitik der Vertragsstaaten an. Methodisch gesehen entsteht dadurch die Aufgabe, das Ohr am Puls einer Diversität von Binnenpolitiken und ihrer wirtschaftlichen Akteure zu haben. Leggett kann, dank der Breite seiner Berufserfahrungen und seiner beruflichen Commitments, von seinen Einsichten aus dem Umgang mit unterschiedlichen Interessengruppen und Milieus aus diversen Staaten dieser Erde berichten.

Das zweite Element stelle ich unter den Titel „Investoren – die letzten Hoffnungsträger“. Hier geht es um die multilaterale Wechselwirkung je nationaler Akteure – gleichsam qua „Unterfliegen“ der multilateral-staatlichen Ebene. Leggett bietet hierzu einen exzeptionellen Erfahrungszugang, vor allem weil er von Carbon Tracker berichten kann, einer Ratingagentur speziellen Zuschnitts, die er selbst aus der Taufe zu heben geholfen hat und dessen Aufsichtsrat er jetzt vorsitzt. Die Blicke der Investoren richten sich, nach dem kollektiven Versagen des politikbetonten Ansatzes, auf Entwicklungen, die unabhängig von Entscheidungen der Top-Ebene der Politik, jenseits von G20 und UN, sind. In deren Fokus gerückt wird eine als solche „autonome“ Scherenbewegung:

Die Kosten-Kurven beider „Backen“ (der Schere) werden sich eines Tages schneiden – das ist sicher. Ab diesem Tag werden die fossilen Energieträger ausgedient haben, der dann ungenutzte Rest wird „von alleine“ unter der Erde verbleiben, er wird dann seine Eigenschaft, ein „Bodenschatz“ zu sein, verloren haben. Das ist, so abstrakt formuliert, unstrittig.

Offen ist lediglich, wann das der Fall sein wird. Die Sorge ist, dass dieser „Umschlagspunkt“ zu spät kommt und das Zwei-Grad-Ziel nicht eingehalten werden kann. Da diesem Ziel ein Restvolumen noch verbrennbarer fossiler Energieträger in der Größenordnung von 750 Gt CO2 entspricht, lässt sich dasselbe in Kohlenstoffbudgets formulieren: Wird an diesem Tag ein Teil des (dann) „burned carbon“ jenseits der Klima-Grenze von 750 Gt CO2 liegen, die eigentlich „unburnable“ sein sollen? Der Klärung dessen, wo dieser Schnittpunkt auf der Zeitachse liegen wird, dienen die Antworten auf die beiden folgenden Fragen:

  1. Mit welcher Methodik wird dieser „Tag“ bestimmt? Ergibt er sich von alleine aus dem Konflikt der technischen Optionen oder ist er auch beeinflusst durch die Metrik von (kollektiven) Planungen?
  2. Wo liegt er eigentlich – fern oder nah?

Ad 1.: Auf beiden Seiten der Scherenbewegung geht es um Energien, deren Produktion nach langfristigen Kalkülen geplant wird. In diese Kalküle gehen Erwartungen über die Zukunft während der Errichtungs- und Nutzungszeit einer Kohlemine, einer Öl-Fördereinrichtung oder eines Solarparks ein. Zudem bedarf es komplementärer Infrastrukturen, für Nutzungszeiten von 50 Jahren und mehr. Für diese Investitionen ist somit kaum das Kalkül des je einzelnen Investors ausschlaggebend. Die Einzelinvestitionen sind vielmehr eingebettet in kollektive Planungen. Als Beispiel auf Landesebene weist Leggett auf Saudi-Arabiens jüngste Umstiegsplanung für 2040 hin: Diese enthält eine Roadmap für erneuerbare Energien mit mehr als 40 GWe solarer gekoppelt mit 17 GWe nuklearer Kapazität.

Fracking, CCS oder Braunkohletagebau sind absehbar obsolete Technologien.

Ad 2.: Die Vorstellung, dass der erwartete Umschlag erst „eines fernen Tages“ eintreten werde, ist irrig. In der (von zeitüberbrückenden Kapitalkalkülen gesteuerten) modernen Wirtschaft ist ein in Zukunft erwarteter Umschlag in der relativen Wirtschaftlichkeit in der Gegenwart wirksam, also „real“. Der „Tag des Umschlags“ ist deswegen potenziell heute.

Unternehmen sind nach Branchen organisiert. Sie haben, so betont Leggett, eine Tendenz, ihre eigene Existenz möglichst lange zu bewahren – entsprechend funktioniert ihre Unternehmenskultur. Was ein Ölunternehmen gut könne, sei eben Öl fördern – also werde es auch die Herausforderung angehen wollen, das in der Arktis zu tun. Die Förderung in solch extremen Grenzertragslagen ist aber äußerst aufwändig, dazu technologisch und wirtschaftlich hochriskant. Und was für ein Ölunternehmen gilt, gilt auch für Gas- bzw. Braunkohle-Förderer: Sie wollen weitermachen, was sie gut können. So kommt es zu Debatten um Fracking, CCS oder Braunkohletagebau – alles absehbar obsolete Technologien, die die politische Energie, die in sie gesteckt wird, nicht wert sind.

Die Rolle von Carbon Tracker – Genese und Erfolg

Ein Gutteil der Tagebucheinträge Leggetts verdankt sich Sitzungen und Reisen, die er als Aufsichtsratschef von Carbon Tracker unternommen hat. Solche Firmen sind häufig Teil von Investmentbanken, stehen also auf der Seite der Anleger. Die oben beschriebene Scherenbewegung sowie die Festlegung der Staatengemeinschaft auf das Zwei-Grad-Ziel stehen, in die Sprache der Finanzwelt übersetzt, für das Aufkommen neuer Risiken. Die Frage ist seitdem, welche der getätigten oder noch zu tätigenden Investments in fossile Vorkommen zu den 80% gehören werden, die nicht mehr und welche zu den „glücklichen“ 20%, die noch verwertet werden können. Jedes der investierten Unternehmen behaupte von sich, so Leggett, dass seine Investments so günstig seien, dass sie noch in die Verwertung gelangen werden. Je einzeln mag das überzeugend sein – in der Summe aber könne es nicht wahr sein. Das unternehmensindividuell festzustellen, ist klassische Aufgabe der Finanzanalysten. Bislang hatte sich dieser Aufgabe aber keine spezialisierte Analystenfirma gewidmet.

Das tat erstmals Carbon Tracker. Leggett beschreibt, dass es mit Carbon Tracker gelang, den Verdacht von „carbon bubbles“ zur Überprüfung an staatliche bzw. multilaterale Institutionen zu übertragen, die nach der Finanzsystemkrise mit der Verantwortung für die Stabilität des Finanzsystems betraut worden waren (ESRB 2016; TCFD 2016).

Fazit

Leggets Buch bringt zwei neuartige Ansätze von „Analyse“ bzw. „Assessment“, die er für öffentlich und somit zum Teil des legitimen Aufgabenspektrums von Wissenschaft erklärt: erstens sein Tagebuchansatz; zweitens das Feld, welches er mit „Analyse“ so scheinbar unschuldig-akademisch bezeichnet. Doch auch da wird – wie auch in manch anderen Feldern, die etabliert als wissenschaftlich gelten – mit harten Bandagen gekämpft.

Die Gründung des Non-Profit-Unternehmens Carbon Tracker wurde von etlichen Ölkonzernen, insbesondere aber von Bergbauunternehmen, als gegen sie gerichtet verstanden. IPIECA, die Umweltorganisation der Ölindustrie, habe, so berichtet Leggett, umgehend eine Task Force eingerichtet, mit dem Ziel, Carbon Tracker wesentliche Fehler nachzuweisen und so dessen Reputation in Zweifel zu ziehen. Bislang war der Versuch nicht von Erfolg gekrönt. Im Erfolgsfall stünde es der Wissenschaft gut an, dem Begraben des „Geschäftsmodells“ Klimaanalytik nicht zuzusehen, sondern es zu retten.

Literatur

ESRB (2016): Too Late, too Sudden: Transition to a Low-carbon Economy and Systemic Risk. Online verfügbar unter http://www.esrb.europa.eu/pub/pdf/asc/Reports_ASC_6_1602.pdf, zuletzt geprüft am 08. 06. 2017.

Leggett, Jeremy; Pepper, William; Swart, Robert (1992): Emissions Scenarios for the IPCC: an Update. A3 in IPCC FAR, Supplement. Online verfügbar unter https://www.ipcc.ch/ipccreports/1992%20IPCC%20Supplement/IPCC_Suppl_Report_1992_wg_I/ipcc_wg_I_1992_suppl_report_section_a3.pdf, zuletzt geprüft am 08. 06. 2017.

Leggett, Jeremy (1999): The Carbon War. Global Warming and the End of the Oil Era. London: Penguin Books.

Leggett, Jeremy (2006): Half Gone. Oil, Gas. Hot Air and the Global Energy Crisis. London: Portobello Books, Paperback edition.

Leggett, Jeremy (2014): The Energy of Nations. Risk Blindness and the Road to Renaissance. London: Routledge.

Lovins, Amory B.; Datta, E. Kyle; Bustnes, Odd-Even; Koomey, Jonathan G.; Glasgow, Nathan J. (2004): Winning the Oil Endgame. Innovation for Profits, Jobs and Security. London: Earthscan.

TCFD (2016): Recommendations of the Task Force on Climate-related Financial Disclosures. Online verfügbar unter https://www.fsb-tcfd.org/publications/recommendations-report, zuletzt geprüft am 08. 06. 2017.