Reflexionen · REZENSION

„Planungsethik“

Barbara Skorupinski, Arbeitsstelle für das Ethisch-Philosophische Grundlagenstudium, Universität Freiburg, Bismarckallee 22, 79098 Freiburg (barbara.skorupinski@epg.uni-freiburg.de)

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TATuP Bd. 28 Nr. 2 (2019), S. 74–75, https://doi.org/10.14512/tatup.28.2.s74

Müller, Albrecht (2017):
Planungsethik.
Eine Einführung für Raumplaner, Landschaftsplaner, Stadtplaner und Architekten.
Wien: utb, 126 S., 29,99 EUR, ISBN 9783825248758

Albrecht Müllers Buch „Planungsethik. Eine Einführung für Raumplaner, Landschaftsplaner, Stadtplaner und Architekten“ schöpft aus den langjährigen Erfahrungen des Autors als Professor für Umweltinformation und Umweltethik sowie als ehemaliger Mitarbeiter der Akademie für Technikfolgenabschätzung des Landes Baden-Württemberg (AFTA). Ausgehend von dem zentralen Dreischritt „Analyse – Bewertung – Planung“ schlägt er den Bogen von grundlegenden ethischen Fragen, über umwelt- und wirtschaftsethische Aspekte hin zur Rolle der Bürgerbeteiligung und zur intergenerationellen Gerechtigkeit. Das Buch steht im Kontext einer interdisziplinären „Ethik in den Wissenschaften“, wie sie seit mehr als 25 Jahren im Internationalen Zentrum für Ethik in den Wissenschaften in Tübingen entwickelt wurde und wird (Ammicht-Quinn und Potthast 2015). Dieser Ansatz will ethische Problemstellungen ausgehend von den Sachargumenten erheben und bearbeiten und somit FachwissenschaftlerInnen dort abholen, wo ihnen ethisch relevante Fragen in Forschung und Praxis begegnen. Die „Planungsethik“ stellt hier einen beispielhaften und vorzüglichen Beitrag mit einsichtigen Kontroversen aus der planerischen Praxis dar.

Die Einführung verdeutlicht den LeserInnen, wie sie – oft implizit – genötigt sind, wertende oder normative Urteile vorzunehmen und dass das Wahrnehmen planerischer Verantwortung einen Rückzug hinter die „normative Kraft des Faktischen“ nicht erlaubt. Auch in der Technikfolgenabschätzung erweisen sich scheinbare Faktenfragen bei näherem Hinsehen zugleich als normativ-ethische Fragen. Sorgfältig konturiert Müller die ethischen Fragestellungen, die sich für Raum-, Landschafts- und StadtplanerInnen stellen, und eröffnet Lösungsperspektiven unter Rekurs auf u. a. John Rawls (Fragen der Gerechtigkeit), Martha Nussbaum (Fähigkeiten-Ansatz, siehe auch Hillerbrand et al. 2019), Amartya Sen (Fragen des guten und gelungenen Lebens) oder Elinor Ostrom (Prinzipien zur Gestaltung der eigenen Lebenswelt). Räumliche Planung soll Menschen in ihrem guten Leben befördern, nicht aber hinsichtlich ihrer Vorstellungen vom guten Leben bevormunden. Für die Beteiligung von BürgerInnen an Planungsverfahren erläutert Müller das Konzept der Planungszelle, wie es auch von der AFTA eingesetzt und weiterentwickelt wurde. Er warnt eindringlich vor Missbrauch und Instrumentalisierung von Bürgerbeteiligung und zeigt, wie sich Regeln für die Deliberation aus der Diskurstheorie normativer Gültigkeit von Jürgen Habermas gewinnen lassen.

Im Abschnitt „Räumliche Planung und das Verhältnis zur Natur“ positioniert sich Müller auf der Seite einer anthropozentrischen Ethik. Patho- und Biozentrismus sowie Holismus werden anhand der exponierten Vertreter Peter Singer, Albert Schweitzer und Martin Gorke beschrieben und wohlwollend in ihren Stärken und Schwächen diskutiert. Ihre physiozentrischen Positionen werden jedoch gar nicht benötigt, um gegen die Zerstörung der menschlichen Lebensgrundlagen zu argumentieren, wenn eine aus dem Rawlsschen Gesellschaftsvertrag anthropozentrisch begründete Rücksicht auf die in der Gegenwart und in der Zukunft lebenden Menschen gilt: Konvergieren für konkrete umweltbezogene Entscheidungen die Argumentationen von Anthropo- und Physiozentrik, so spielen die Unterschiede auf der Begründungsebene keine Rolle. Konvergieren sie nicht, z. B. bei der Windkraft, sollte ein aufgeklärter Anthropozentrismus handlungsleitend sein.

Das Buch „Planungsethik“ holt FachwissenschaftlerInnen dort ab, wo ihnen ethisch relevante Fragen in Forschung und Praxis begegnen.

Am Instrument der Nutzwertanalyse erläutert der Autor die Nähe planerischer Analysen und Bewertungen zur Theorie des Utilitarismus. Im Anschluss an Peter Ulrich weist er auf, warum die Regeln des Marktes nicht ausreichen, um (raumplanerische) Spannungen zwischen Egoismus und Allgemeinwohl aufzulösen, da externe Effekte unberücksichtigt bleiben. Auch pareto-optimale Lösungen bleiben ungerecht, wenn ungleiche Ausgangssituationen die Entscheidungsfreiheit eines Vertragspartners beeinträchtigen. Insofern bleibt das Pareto-Kriterium als Rechtfertigung für einen weitgehend unregulierten Markt kritikwürdig. Mit dem Rawlsschen Differenzprinzip zeigt Müller auf, wie eine gerechte Entscheidung beispielsweise über die Einrichtung eines Nationalparks getroffen werden kann. Zugleich leitet er mit dem das Differenzprinzip einschränkenden gerechten Spargrundsatz „Jede Generation empfängt ihren gerechten Teil von ihren Vorfahren und erfüllt ihrerseits die gerechten Ansprüche ihrer Nachfahren“ (Rawls, zitiert nach Müller 2017, S. 93) über zu den Themenfeldern intergenerationelle Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.

Mit der Brundtland-Definition führt Müller die Forderung nach Nachhaltigkeit als genuin ethische Frage ein und kritisiert das „Drei Säulen-Modell“ (Ökologie – Ökonomie – Soziales) als zu einfach. Er legt anhand des zuvor von ihm ausgedeuteten philosophischen Bezugsrahmens seinen Ansatz einer Theorie Nachhaltiger Entwicklung dar. Ökonomie und Ökologie werden als Mittel zu einem guten Leben verstanden, in der Säule „Soziales“ verortet Müller die Kriterien der intra- und intergenerationellen Gerechtigkeit. Das gute Leben und die Gerechtigkeit wiederum sind Selbstzwecke, wobei die Gerechtigkeit die Mittel der Ökonomie und der Ökologie sowie das Streben nach einem guten Leben ggf. in ihre Grenzen weist. In Konfliktfällen zwischen Glücksstreben und Gerechtigkeit sei letzterer der Vorrang zu geben.

Das Buch führt einleuchtend vor Augen, welche Bedeutung ethische Reflexion für die räumliche Planung hat. Die verschiedenen Aspekte, wie „Räumliche Planung und Natur“, „Räumliche Planung und Markt“ oder „Räumliche Planung zwischen Strategie und Deliberation“ etc. sind so dargestellt und mit Beispielen veranschaulicht, dass sie das Interesse wecken, selbst weiter zu fragen und sich in die philosophische Originalliteratur einzulesen.

Literatur

Ammicht-Quinn, Regina; Potthast, Thomas (Hg.) (2015): Ethik in den Wissenschaften. 1 Konzept, 25 Jahre, 50 Perspektiven. Tübingen: IZEW.

Hillerbrand, Rafaela; Milchram, Christine; Schippl, Jens (2018): The Capability Approach as a normative framework for technology assessment. Capabilities in assessing digitalization in the energy transformation. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 28 (1), S. 52–57. DOI: 10.14512/tatup.28.1.52.

Müller, Albrecht (2017): Planungsethik. Eine Einführung für Raumplaner, Landschaftsplaner, Stadtplaner und Architekten. Wien: utb.