„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“?

Technikfolgenabschätzung und ihre Auftraggeber

Karen Kastenhofer, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Apostelgasse 23, 1030 Wien (kkast@oeaw.ac.at), orcid.org/0000-0001-5843-6489

Leo Capari, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften (leo.capari@oeaw.ac.at), orcid.org/0000-0002-7867-4975

Daniela Fuchs, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften (daniela.fuchs@oeaw.ac.at), orcid.org/0000-0002-2202-1027

Walter Peissl, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Österreichische Akademie der Wissenschaften (wpeissl@oeaw.ac.at), orcid.org/0000-0002-9993-0835

Weimer und Vining (1999) unterscheiden drei Rollen, die WissenschafterInnen in Politikberatung einnehmen können: den objective technician, den issue advocate und den client’s advocate. Dieser Beitrag widmet sich jener Rolle, die in der gegenwärtigen Diskussion kaum reflektiert wird, aber dennoch für die Normativität von Technikfolgenabschätzung (TA) relevant ist: dem client’s advocate. Basierend auf Daten aus einer empirischen internen Erhebung von Praxen, Konstellationen und Paradigmen der Politikberatung am österreichischen Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), stellen wir (1) das in den Projekten des Instituts realisierte Portfolio an Geldgebern bzw. Auftraggebern dar, setzen es (2) in Bezug zu den in den Projekten des ITA angesprochenen Issues und zu Ergebnissen aus vier projektspezifischen Fallstudien und formulieren (3) offene Fragen an die TA-Praxis und TA-Community.

“Whose bread I eat, his song I sing”?

Technology assessment and its clients

Weimer and Vining (1999) discern three roles for scientific policy advisers: the objective technician, the issue advocate, and the client’s advocate. This contribution focuses on the latter – a role that is rarely reflected upon in current discussions about technology assessment (TA) practice. Based on empirical data on the practices, constellations, and paradigms prevalent in policy advice activities at the Austrian Institute of Technology Assessment (ITA), we (1) present the portfolio and characteristics of the institute’s clients, (2) relate these to the issues addressed in the institute’s projects and to four project-specific case studies, and (3) present open questions to the practice and community of TA pertaining to its relation to its clients.

Keywords: technology assessment, policy advice, client’s advocacy

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TATuP Bd. 28 Nr. 1 (2019), S. 33–38, https://doi.org/10.14512/tatup.28.1.33

Submitted: 05. 11. 2018. Peer reviewed. Accepted: 07. 02. 2019

Einführung

Wissenschaftliche Politikberatung bedient die Schnittstelle von Wissenschafts- und Politiksystem, wie sie sich in modernen Gesellschaften ausgeprägt hat und institutionell wie diskursiv kontinuierlich stabilisiert wird. Sie ist somit unvermeidlich in der Situation, zwei gesellschaftliche Systeme miteinander zu verknüpfen und zugleich an deren fortwährender Differenzierung mitzuwirken. Wie diese Aufgabenstellung und die ihr immanente Paradoxie im Detail verstanden und prozessiert werden, hängt dabei von systemischen wie individuellen Faktoren ab: Wie sieht die institutionelle Landschaft in diesem Kontext aus? Welche bindenden Verfahren, welche politischen Traditionen gibt es? Wie positioniert sich eine Beratungsinstitution in dieser institutionellen Landschaft? Welche allgemeinen Prioritäten setzt sie und welche Paradigmen vertritt sie?

Während erstere Fragen jeweils in Bezug auf ein konkretes politisches System zu beantworten sind, können die letzteren Fragen vergleichend analysiert und diskutiert werden. Prominente Systematiken hierzu bieten Habermas (1963) in Hinblick auf unterschiedliche Modelle der Verschränkung von Wissenschaft und Politik (dezisionistisch, technokratisch und pragmatisch), Weimer und Vining (1999) in Hinblick auf unterschiedliche Werthaltungen und Priorisierungen von BeraterInnen (analytische Integrität, Verantwortung gegenüber dem Auftraggeber, Beitrag zu einer besseren Welt gemäß eigenen Überzeugungen) und Pielke (2007) in Hinblick auf unterschiedliche Konzeptionen von demokratischer Aushandlung einerseits (Interessensgruppenpluralismus versus Elitenkonflikt) und gesellschaftlicher Einbettung von Wissenschaft andererseits (lineares Modell versus Stakeholder-Modell). Am bekanntesten sind die hieraus resultierenden vier Typen pure scientist, science arbiter, issue advocate und honest broker (ebd.); für eine Auflistung alternativer Typologien, siehe Bauer und Kastenhofer (2019). Unterschiedliche Institutionalisierungsformen von Technikfolgenabschätzung (TA) finden sich in der Unterscheidung von TA-Einrichtungen, die direkt an Parlamente angebunden sind, und TA-Instituten, die sich im akademischen Kontext (an Akademien oder Universitäten) institutionalisiert haben. Eine Typisierung nach primären Interaktionspartnern – Parlament, Regierung, Wissenschaft und Technik, Gesellschaft – findet sich in van Est et al. (2016).

Art und Bedeutung der Beziehung zwischen politikberatender Institution und Auftraggeber nehmen dabei allein Weimer und Vining (1999) in den Blick. Sie unterscheiden zwischen der Rolle eines objective technician, eines issue avocate und eines client’s avocate und werfen damit die Frage auf, wie mit Interessen des Auftraggebers in wissenschaftlicher Politikberatung im Abgleich mit Normen der Objektivität und der eigenen Mission umzugehen ist. Dies ist einerseits selbst eine wertebasierte Entscheidung; andererseits schlägt sich eine Entscheidung zugunsten einer client’s advocacy normativ nieder, indem sie Interessen und Werthaltungen des Auftraggebers in die Beratungspraxis einspeist.

In diesem Sinne lassen sich drei Fragen an die aus dem Projekt Pol[ITA] resultierenden Forschungsdaten stellen, welche Aufschluss über die bisherigen Forschungsprojekte des Institut für Technikfolgenabschätzung in Wien (ITA) geben: (1) Wer sind die Auftraggeber des ITA, welche Interessen und Werthaltungen repräsentieren sie und welche Interessen fließen daher potenziell in die Beratungspraxis ein? (2) Lassen sich Spuren einer client’s advocacy in den Beratungsprojekten wiederfinden und (3) was folgt daraus für eine good practice in der TA.

 

Das Projekt „Pol[ITA] – Politikberatung am ITA“ wurde von Juni 2016 bis Juni 2018 am Institut für Technikfolgen-Abschätzung in Wien (ITA) von Karen Kastenhofer, Anja Bauer, Leo Capari, Daniela Fuchs, André Gazsó, Walter Peissl und Tanja Sinozic durchgeführt (Kastenhofer et al. 2018). Für die hier gedruckte Veröffentlichung wurden insbesondere eine in Pol[ITA] erstellte Datenbank aller am ITA durchgeführten Projekte (inklusive Auftraggeber, Projektart, bearbeitete Technologiefelder und Themen) sowie vier Fallstudien zu verstetigten Projektschienen des ITA (basierend auf Interviews mit involvierten TA-PraktikerInnen, Auftraggebern und Kooperationspartnern) herangezogen.

Die Auftraggeber des ITA

Ist eine TA-Einrichtung nicht direkt an ein Parlament angebunden, sondern wie das ITA an einer akademischen Einrichtung institutionalisiert (Nentwich und Fuchs 2018), findet sich typischerweise ein veränderliches Portfolio an Auftraggebern, die als Geldgeber für Drittmittelprojekte fungieren und dem öffentlichen Sektor zuzuordnen sind. Der damit eingeworbene Drittmittelanteil an der institutionellen Forschungsfinanzierung schwankt dabei gegenwärtig um die 35 Prozent und steht somit für eine wesentliche Einkommensquelle. Eine Gesamterhebung und Auswertung aller seit Institutsgründung 1987 bis April 2017 durchgeführten 193 Projekte des ITA ermöglicht einen Überblick über die Kooperationsform, den konkreten Mix an Auftraggebern und dessen Veränderung über die Zeit.

In Hinblick auf die Kooperationsform lässt sich zwischen Auftragsforschung, Programmforschung, Eigenforschung und Antragsforschung unterscheiden. Auftragsforschung umfasst konkrete Projektaufträge an das ITA – etwa von Ministerien oder Parlamenten. Programmforschung umfasst durch das ITA im Rahmen von Forschungsförderungsprogrammen der EU oder der österreichischen Forschungsförderungsgemeinschaft FFG beantragte Projekte. Diese Programme gehen meist mit einer gesellschaftlichen Mission, thematischen und operativen Vorgaben einher, so dass hier auch von einer Mischform zwischen Antrags- und Auftragsforschung gesprochen werden kann. Eigenforschung entspricht einem Eigenauftrag und Eigenfinanzierung. Antragsforschung umfasst bewilligte Forschungsförderungsanträge etwa an den österreichischen Wissenschaftsfonds FWF oder ein Stipendienprogramm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Insgesamt entfallen 46 Prozent der Projekte auf Auftragsforschung, 30 Prozent auf Programmforschung, 16 Prozent auf Eigenforschung (ohne externe Auftraggeber) und acht Prozent auf Antragsforschung (Abb. 1). Somit geht in drei Viertel aller Projekte eine wesentliche Initiative vom Geldgeber aus – als konkreter Auftrag oder weiter gefasstes Förderprogramm; nur ein Viertel ordnet sich Eigenfinanzierung oder thematisch offener Fremdfinanzierung zu (letzteres insbesondere im Rahmen akademischer Qualifikationsarbeiten), so dass hier tatsächlich nur von einem Geldgeber, nicht aber von einem Auftraggeber im engeren Sinn gesprochen werden kann.

Abb. 1: Verteilung der 193 ITA-Projekte seit 1987 nach Beauftragungsart. Quelle: Eigene Darstellung

Wiederkehrende Geldgeber mit Auftraggeber-Status im engsten Sinn (Auftragsforschung) sind österreichische Ministerien, das Europäische Parlament und die österreichische Arbeiterkammer. Häufigste Geldgeber für Programmforschungsprojekte sind das Directorate-General for Research and Innovation der EU-Kommission über die großen Forschungsförderungsrahmenprogramme sowie die österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG). Häufigster Geldgeber für Antragsforschung ist der österreichische Wissenschaftsfonds (FWF). Private Auftraggeber schließt das ITA qua interner Kriterien aus. Der nach Förderhöhe weitaus relevanteste Geldgeber für Drittmittelprojekte sind österreichische Ministerien (knapp die Hälfte aller Fördermittel entstammen österreichischen Ministerien), gefolgt von der Europäischen Kommission (knapp ein Drittel). Weitere quantitativ wichtige Geldquellen stellen FWF und FFG dar.

Die Relevanz von Auftraggebern bemisst sich allerdings nicht ausschließlich nach Förderhöhe; Interviewaussagen aus den einzelnen Fallstudien folgend geht es auch um symbolisches Kapital (entsprechend „politische Legitimierung“ bei Weimer und Vining 1999) – etwa bei der Beauftragung durch ein Parlament – und um die Übernahme von Aufgaben wie etwa Öffentlichkeitsarbeit.

Werte und Interessen der Auftraggeber

Auf der normativen Ebene bedeutet dies, dass die Auftraggeber bzw. Geldgeber des ITA in ihrer Gesamtheit nicht für private oder privatwirtschaftliche Interessen stehen. Dies gilt insbesondere auch für die Trägerorganisation und wesentlichste Budgetquelle des ITA, die über das Wissenschaftsministerium finanzierte ÖAW, mit der ihr gesetzlich auferlegten Aufgabe es laut Österreichischem Bundesgesetz (ÖAW Gesetz) ist, „die Wissenschaft in jeder Hinsicht zu fördern“.

Sucht man nach partikularen Interessen, so finden sich: (a) anzunehmende unterschiedliche Priorisierungen unterschiedlicher ministerieller Ressorts oder auch parteipolitisch unterschiedlich besetzter Ministerien; (b) organisationale Eigeninteressen im möglichen Kräftespiel politischer Institutionen (etwa Parlament und Regierung); (c) nationale Interessen, z. B. der FFG, deren erste Aufgabe laut Forschungsförderungsgesellschaftsgesetz „die Förderung von Forschung, Technologie, Entwicklung, Innovation und Digitalisierung (FTEI + D) zum Nutzen Österreichs“ ist; (d) Ausrichtung auf die Sozialverträglichkeit von Innovation (beispielhaft sogenannte Begleitforschung zu ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten neuer Technologien); und (e) die partikularen Interessen der sich als Sozialpartner gegenüber stehenden österreichischen Arbeiterkammer und der österreichischen Wirtschaftskammer. Ob sich diese zumindest vorstellbaren partikularen Interessenskonstellationen auf die Durchführung und das Ergebnis von TA-Projekten wie auch längerfristig auf die Institution selbst auswirken, hängt allerdings nicht nur vom konkreten Mix der Geldgeber und ihrer jeweiligen quantitativen und qualitativen Bedeutung, sondern von mehreren weiteren Faktoren ab. Im Folgenden soll insbesondere auf das Selbstverständnis der TA-PraktikerInnen in Hinblick auf client’s advocacy eingegangen werden, wie auch auf die von ihnen gelebte Projektpraxis.

Client’s advocacy in Beratungsprojekten?

Verstehen sich TA-PraktikerInnen am ITA als client’s advocates (Bauer und Kastenhofer 2019) und handeln dementsprechend rollenkonform, oder auch nicht? Entsprechend der Rollenkonzeption in Weimer und Vining sieht sich der client’s advocate vornehmlich dem Auftraggeber verpflichtet:

„He or she believes that analysts derive their legitimacy as participants in the formation of public policy from their clients, who hold elected or appointed office, or who represent organized political interests. In return for access, clients deserve professional behaviour that includes loyalty and confidentiality. Like physicians, analysts should ‘do no harm’ to their clients; like attorneys, they should vigorously promote their clients’ interests. […] Because analysis rarely produces definitive conclusions, analysts can emphasize the possible rather than the most likely when doing so favours their clients. […] Clients’ advocates must relegate their policy preferences to a secondary position once they make commitments to clients. Therefore, their selection of clients matters greatly.“ (Weimer und Vining 1999, S. 46 f., Herv. d. AutorInnen)

Bereits der erste Aspekt ist komplex: TA erhält durch die Qualität ihrer Auftraggeber zweifellos politische Legitimität. Ebenso legitimierend wirkt allerdings die wissenschaftliche Qualifikation und Qualität ihrer Arbeit, wie auch in manchen Fällen die mögliche Funktion, unterrepräsentierte Perspektiven (etwa jene auf Sozialverträglichkeit oder jene einer beteiligten Öffentlichkeit – seien es direkt Betroffene oder interessierte BürgerInnen) einzubringen. Der zweite Aspekt – Loyalität und Vertraulichkeit gegenüber dem Klienten – ist zumindest insofern limitiert, als es klare Institutsregel ist, Projektergebnisse öffentlich zugänglich zu machen. Es gibt auch keine Loyalitäts-, Vertraulichkeits- oder Schweigevereinbarungen gegenüber Auftraggebern. Im Falle langjähriger, wiederholter Kooperation kann jedoch von einer Beziehung zwischen den Kooperationspartnern ausgegangen werden, die auf dem Vertrauen basiert, dass die Beteiligten einander keinen Schaden zufügen, der das Ausmaß des wechselseitigen Nutzens übersteigt.

Geht es um die Frage, wie mit einem eventuellen Spielraum zwischen dem „Möglichen“ und dem „Wahrscheinlichen“ umgegangen wird, wird es nochmals voraussetzungsreicher. Hier, so Weimer und Vining (1999), zeige sich, ob ein Berater der Loyalität gegenüber dem Klienten oder der Loyalität gegenüber der subjektiv definierten „guten Sache“ folge und diesen Spielraum in die ein oder andere Richtung ausnutze. In den Interviews tauchen kaum Erzählungen von Konflikten auf, die sich aus einer solchen Diskrepanz speisen könnten und deren Bearbeitung Schlüsse in die eine oder andere Richtung zuließe. Dafür lassen sich mehrere mögliche Gründe denken: (1) das ITA und seine Auftraggeber selektieren sich wechselseitig nach Passung von Werten und Interessen; (2) die ausgewählten Beispielfälle waren gerade solche, wo es keine wesentlichen Konfliktlinien gab und sich daher Kooperation über mehrere Projekte stabilisierte; (3) es gibt zumindest vorab von beiden Kooperationspartnern eine informierte Erwartungshaltung darüber, welche Werthaltungen und Interessen das Gegenüber charakterisieren und diese sind bereits strategisch „einkalkuliert“; (4) die Beratungsthemen sind ausreichend konkret, so dass es in ihrer Bearbeitung wenig oder gar keinen Spielraum gibt; und als letzte Alternative (5); das ITA steht für eine Reihe unterschiedlicher Werthaltungen und Interessen, die durch je unterschiedliche MitarbeiterInnen in unterschiedlichen Projekten vertreten werden.

TA erhält durch die Qualität ihrer Auftraggeber politische Legitimität. Ebenso legitimierend wirkt die wissenschaftliche Qualität und die mögliche Funktion, unterrepräsentierte Perspektiven einzubringen.

So decken – in Bezugnahme auf (1) – die Auftraggeber die gesamte Breite möglicher Interessens- bzw. Wertespektren öffentlich-rechtlicher Institutionen ab: alle technologie-relevanten Ministerialressorts, nationale Regierung und nationales Parlament, EU Kommission und EU Parlament, FFG und FWF, Arbeiterkammer und Wirtschaftskammer sind vertreten. Der hohe und tendenziell zunehmende Anteil von Forschungsförderung durch EU-Forschungsförderprogramme lässt allerdings die Frage offen, wie die jeweilige (auf dieser Ebene „alternativlose“) interessen- und wertespezifische Ausrichtung dieser großen Programme zu Buche schlägt. Ebenso lässt sich in Bezug zu (2) fragen, welche Interessens- oder Wertekoalitionen sich innerhalb anderer verstetigter Kooperationen ab- oder herausbilden. Es gibt in den Interviews auch Hinweise auf (3), wobei es dabei weniger um Erwartungshaltungen bezüglich Werten und Interessen im engeren Sinne, als vielmehr um Erwartungshaltungen bezüglich Perspektiven geht; dass nämlich das ITA die Perspektive auf Lebensrealitäten, Werte und Interessen von BürgerInnen, VerbraucherInnen oder ArbeitnehmerInnen ergänzend einbringen könne. So erklärt etwa ein Auftraggeber die Attraktivität des ITA für ihn damit, dass man „auch in Europa lange suchen muss, bis man jemanden findet, der sich des Themas aus diesem [nicht-kommerziellen, Erg. d. A.] Blickwinkel angenommen hat“ (I I/3: 42). Bezüglich eines anderen Projektes heißt es von Seiten des TA-Praktikers, „dass [dieses] als mögliche Ausnahme in den vielen industriegeleiteten oder von Industrieinteressen geleiteten Projekten erwähnt wurde. Und von dem her hat es auch […] relativ viel Eindruck beim Auftraggeber hinterlassen“ (I II/1: 17).

Insgesamt erschließt sich das Gesamtbild einer eher limitierten client’s advocacy. Ein offensichtlicher Spielraum (4) scheint vorwiegend in Bezug auf die Auswahl der adressierten Technologien sowie in Bezug auf die Auswahl behandelter Themen oder issues. In Hinblick auf einen Fokus auf das „Mögliche“ anstelle des „Wahrscheinlichen“ im Sinne von Weimer und Vining (1999) lässt sich konstatieren, dass sich eine dem vorsorgenden Paradigma verpflichtete TA immer auch für das prinzipiell mögliche und nicht nur für das wahrscheinlichste Szenario interessiert. Es gilt demnach auch einen sehr unwahrscheinlichen, jedoch potenziell extrem hohen Schaden vermeiden zu helfen (entsprechend dazu die Ansätze der post-normal science und der risk governance bei Funtowicz und Ravetz 1993 bzw. Klinke und Renn 2002). Und auch wenn das ITA nicht miteinander unvereinbare Interessen vertritt (5), so folgen unterschiedliche Projekte doch unterschiedlichen Ansätzen, Wissenschaft und Politik zu verschränken, womit teils auch recht unterschiedliche Rollen für TA-PraktikerInnen einhergehen (Bauer und Kastenhofer 2019).

Der Spielraum der TA

Wo genau liegt nun jener Spielraum der TA, der sich aus der Themenwahl im Bereich des soziotechnischen Wandels ergibt? In der Pol[ITA]-Projektdatenbank wurde erhoben, welche issues durch Projekte des Instituts adressiert wurden und werden; die daraus entstandene Liste deckt alternative Perspektiven jenseits der ökonomischen (nämlich auf Gesundheit, Umwelt und Nachhaltigkeit) ebenso ab, wie die Perspektiven und Interessen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen (KonsumentInnen, ArbeitnehmerInnen, alternde Bevölkerung), Grundrechtsfragen (wie jene um Überwachung/Sicherheit, Privatsphäre oder Inklusion/Gerechtigkeit/Gleichheit) oder Steuerungs- bzw. Governancefragen (im Kontext von Demokratie, Mobilisierung/Kontroversen, Transition, Technowissenschaft, und Foresight/Innovation). Daraus lässt sich – wie auch aus dem Leitbild des Instituts – schließen, dass das ITA sich einerseits prinzipiell allen Themen öffentlichen Interesses im Kontext soziotechnischen Wandels widmet, in diesem Rahmen aber vielfach eine ergänzende oder ausbalancierende Rolle übernimmt:

„Das ITA betreibt interdisziplinäre Technikforschung mit drei Zielen: (1) die komplexen Wechselwirkungen von Technik und Gesellschaft aus verschiedenen Perspektiven zu verstehen, (2) die Technologieentwicklung begleitend zu analysieren und (3) durch Politik- und Gesellschaftsberatung zu einer sozialverträglichen Technologiepolitik beizutragen. […] Das ITA widmet sich besonders der Analyse von unbeabsichtigten Folgen des soziotechnischen Wandels.“ (ITA 2018)

Weniger erscheint es daher als issue advocate im engeren Sinne, denn als „Einbringer“ neuer issues und Verstärker von orphan issues oder vernachlässigten Perspektiven. Die Funktion early warner bzw. early expert wurde auch in Interviews mit Kooperationspartnern häufig als Asset des Instituts genannt. In den letzten Jahren wird das Einbringen vernachlässigter Perspektiven durch den Einsatz partizipativer Methoden befördert und erhält dadurch einen neuen Charakter.

Die relativ hohe Kontinuität der Themen über die Zeit deutet darauf hin, dass diese vom Institut selbst kommen, potenziellen Auftraggebern bekannt sind und dann in Aufträgen aufgegriffen werden. Interviewaussagen verstärken diesen Eindruck. Damit besteht Abhängigkeit vordringlich darin, dass TA- bzw. Institutsthemen von Auftraggebern tatsächlich aufgegriffen werden bzw. in Forschungsförderungsprogrammen „unterzubringen“ sind. Dies ist der Fall, wo Auftraggeberinteressen, -werte und/oder -aufgaben mit den von Seiten des ITA adressierten Themen harmonieren. So kommen etwa die meisten Aufträge für Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen aus dem Umweltressort des Bundesministeriums, während das Technologieressort am häufigsten Foresight-Projekte beauftragt. Die EU-Kommission hat, vorwiegend über ihre Forschungsrahmenprogramme, die absolut häufigste Förderbeteiligung bei den Themen Demokratie und Inklusion/Gerechtigkeit, gefolgt von Technowissenschaft und Foresight. Der relativ häufigste Geldgeber ist die EU auch bei Überwachung/Sicherheit und Kontroversen/Mobilisierung. Gleich häufig wie die Arbeiterkammer firmiert sie als Auftraggeberin für Studien zur Privatsphäre.

Zu einem gewissen Grad bringen Forschungsförderungsprogramme und Auftraggeber ihrerseits Themen und Missionen ein. Bei dem nach Förderhöhe in Summe bedeutendsten Auftraggeber, den nationale Ministerien, ist dabei noch Diversität und Wahlmöglichkeit über die unterschiedlichen Ressorts gegeben. Die nach Förderhöhe zweitbedeutendste Geldquelle, die EU-Rahmenprogramme, hingegen lässt nur die Wahl zwischen unterschiedlichen Sektionen, während die zunehmend propagierten übergeordneten Missionen und die Instrumente ihrer Umsetzung (die obligatorische Beteiligung industrieller Partner, Vorgaben bezüglich der Mindestanzahl der in einem Projekt vertretenen Länder oder thematische Fokussierungen) ohne alternative Wahlmöglichkeit vorgegeben sind und auch nur sehr eingeschränkt öffentlich zur Diskussion gestellt werden. So zielt Horizon 2020 laut Homepage „at securing Europe’s global competitiveness […] as a means to drive economic growth and create jobs […]“ (EU 2019).

Es kann passieren, dass TA ungewollt zu einem Technologie-Hype beiträgt.

Hier kann es durchaus passieren, dass TA ungewollt zu einem Technologie-Hype beiträgt, indem sie einen vorgegebenen Technologiebereich aufgreift und damit dessen (zukünftige) Wirkmächtigkeit signalisiert – unabhängig davon, mit welchen konkreten issues sie diesen dann verknüpft (Kastenhofer und Torgersen 2016).

Fazit

TA hat es – je nach Institutionalisierungsform in unterschiedlicher Weise – nicht mit einem klassischen Klienten zu tun. Ein geläufigerer und auch treffenderer Begriff ist gerade bei akademisch institutionalisierter TA jener des Auftraggebers oder Geldgebers (je nach Beauftragungsart mehr reiner Geldgeber oder mehr Auftrag- und Geldgeber). Ergänzend ist für TA auch der Begriff des Adressaten wichtig; dieser muss nicht mit dem Auftraggeber/Geldgeber übereinstimmen und übt dann keinen ökonomischen Einfluss aus, fällt aber strategisch ins Gewicht.

In Folge von Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb spielen auch hier externe Geldquellen eine zunehmende Rolle im alltäglichen Projektbetrieb und verändern zugleich zusehends dessen Charakter. Etablierte Förderschienen wie die EU-Rahmenprogramme verändern dabei ihren Anspruch und ihre Rolle – so im ablaufenden Rahmenprogramm Horizon 2020, das mit dem deutlichen Ziel ökonomischer Konkurrenzfähigkeit das Paradigma Responsible Research and Innovation ausrief und damit auch die Aufgaben- und Rollendefinition von TA in Vielem vorwegnahm. Das nun folgende Rahmenprogramm Horizon Europe scheint diesen Weg der missions-orientierten Forschungsförderungspolitik weiter zu beschreiten.

Auf Basis der Analyse von empirischem Material aus dem Projekt Pol[ITA] zur Praxis der Politikberatung in der TA erwächst ein Bild, das TA nicht direkt mit der Rolle der client’s advocacy von Weimer und Vining (1999) in Deckung bringt, eine Interferenz mit Werten und Interessen von Auftraggebern/Geldgebern aber auch nicht gänzlich ausschließt. Konkret ist es das ergänzende Einbringen alternativer Ansätze (interdisziplinär, komplexitätsbewusst, nebenfolgenorientiert) und Perspektiven (insbesondere jener auf und von BürgerInnen, VerbraucherInnen, KonsumentInnen oder ArbeitnehmerInnen), durch das die TA-Praxis die Basis politischer Entscheidungen qualitativ zu erweitern sucht.

Allgemeine Leitlinien im Umgang mit Auftraggebern/Geldgebern bestehen auf Institutsebene bereits etwa in Hinblick auf einen Ausschluss privatwirtschaftlicher Akteure aus dieser Position, einem klaren Bekenntnis zu Transparenz (Veröffentlichung aller Projektberichte) oder Abstinenz von TA-PraktikerInnen von parteipolitisch zuordenbaren Aktivitäten. Offen bleibt, ob innerhalb dieses Rahmens die Auswahl der Klienten Regeln der Selektivität (etwa Selektion nach Passung mit der eigenen Mission), Repräsentativität oder Ausgewogenheit genügen soll; wie genau die nötige Nähe und Distanz zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu bemessen und wie sie zu gewährleisten ist; wie genau die nötige Nähe und Distanz zu politischen Prozessen zu operationalisieren ist; ob die gleichzeitige Beauftragung durch unterschiedliche Institutionen wie etwa Nationalrat, Ministerien und Grundlagenforschungsförderung mit institutioneller Differenzierung zu beantworten wäre; wie die ergänzende, reaktive Qualität von TA-Studien klar positioniert werden kann, ohne in den Verdacht einseitiger Interessensvertretung zu geraten; wie mit der gegenwärtig national wie international boomenden missions-orientierten Forschungsförderungspolitik umzugehen ist; und letztlich ob jenseits der Institutsebene Leitlinien guter TA-Praxis dazu beitragen könnten, die Eigenständigkeit und verlässliche Qualität von TA zu wahren und nach außen zu kommunizieren.

Literatur

Bauer, Anja; Kastenhofer, Karen (2019): Policy advice in technology assessment. Shifting roles, principles and boundaries. In: Technological Forecasting and Social Change 139, S. 32–41.

EU – European Union (2019): What is Horizon 2020? Online verfügbar unter https://ec.europa.eu/programmes/horizon2020/what-horizon-2020, zuletzt geprüft am 29. 01. 2019.

Funtowicz, Silvio; Ravetz, Jeremy (1993): Science for the post-normal age. In: Futures 25 (7), S. 739–755.

Habermas, Jürgen (1963): Verwissenschaftlichte Politik und öffentliche Meinung. In: Ders. (Hg.): Technik und Wissenschaft als „Ideologie“. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 120–145.

ITA – Institut für Technikfolgenabschätzung (2018): Leitbild, Fassung vom 22. 10. 2018. Online verfügbar unter https://www.oeaw.ac.at/ita/ueber-uns/leitbild, zuletzt geprüft am 29. 01. 2019.

Kastenhofer, Karen et al. (2018): Beratungspraxis in der TA. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 27 (1), S. 80.

Kastenhofer, Karen; Torgersen, Helge (2016): Transhumanismus und Neuroenhancement. Technowissenschaftliche Visionen als Herausforderung für die Technikfolgenabschätzung. In: FIfF-Kommunikation 2 (16), S. 52–56.

Klinke, Andreas; Renn, Ortwin (2002): A new approach to risk evaluation and management. Risk-based, precaution-based, and discourse-based strategies. In: Risk Analysis 22 (6), S. 1071–1094.

Nentwich, Michael; Fuchs, Daniela (2018): 30 Jahre Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In: Geistes-, sozial- und kulturwisssenschaftlicher Anzeiger der ÖAW, Bd. 153, S. 5–68.

Pielke Jr., Roger (2007): The honest broker. Making sense of science in policy and politics. Cambridge: Cambridge University Press.

van Est, Rinie; Nentwich, Michael; Ganzevles, Jurgen; Krom, André (2016): Seeing technology assessment with new eyes. In: Lars Klüver, Rasmus Nielsen und Marie Jørgensen (Hg.): Policy-oriented technology assessment across Europe. London: Palgrave Macmillan, S. 18–36.

Weimer, David; Vining, Aidan (1999): Policy analysis. Concepts and practice. New Jersey: Prentice Hall.

Autorinnen und Autoren

Dr. Karen Kastenhofer

ist Wissenschafts- und Technikforscherin sowie promovierte Biologin. Sie befasst sich mit der Rekonstruktion unterschiedlicher (Techno-)Wissenschaftskulturen, der Analyse von Technikkontroversen sowie mit Governance-Modellen im Bereich der Biotechnologien. Seit 2007 ist sie Mitarbeiterin des ITA und leitete von 2016 bis 2018 das institutsinterne Projekt „Pol[ITA] – Politikberatung am ITA“.

Leo Capari

ist Humanökologe und arbeitet seit 2013 im Bereich „Technologie und Nachhaltigkeit“ am ITA. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Ambient Assisted Living (AAL), Umweltwissenschaften, Nachhaltigkeitsforschung und Bibliometrie/Szientometrie. Sein methodischer Interessensschwerpunkt liegt in der computergestützten sozialen Netzwerkanalyse und Netzwerkvisualisierung.

Daniela Fuchs

ist Humanökologin und seit 2014 im Bereich „Governance kontroverser Technologien“ am ITA beschäftigt. Aktuell arbeitet sie in mehreren Projekten an Fragen der Öffentlichkeitsbeteiligung im Kontext von Nanotechnologie, Neuroenhancement oder Synthetischer Biologie und zur Rolle von Computermodellbildung und Simulation in der Politikberatung.

Dr. Walter Peissl

ist promovierter Sozial- und Wirtschaftswissenschafter und begeisterter Technikfolgenabschätzer. Seit 1990 ist er stellvertretender Direktor des ITA. Schwerpunkte seiner Arbeiten liegen im Bereich neue Informationsgesellschaft, dem Schutz der Privatsphäre sowie bei methodischen Fragen der Technikfolgenabschätzung.