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TATuP Bd. 27 Nr. 1 (2018), S. 80

Praxis

Beratungspraxis in der TA

Karen Kastenhofer, Anja Bauer, Leo Capari, Daniela Fuchs, André Gazsó, Michael Nentwich, Walter Peissl, Tanja Sinozic, Mahshid Sotoudeh, Institut für Technikfolgen-Abschätzung, Apostelgasse 23, 1030 Wien (kkast@oeaw.ac.at), orcid.org/0000-0001-5843-6489

Wie sieht gute wissenschaftliche Politikberatung in der Technikfolgenabschätzung aus? Welchen Qualitätskriterien soll sie genügen? Welchen Erfolgsbedingungen unterliegt sie? Im Gegensatz zu Praktiken der Grundlagenforschung, denen sich TechnikfolgenabschätzerInnen in ihrer täglichen Arbeit ebenfalls bedienen, stehen für Praktiken der Politik- und Gesellschaftsberatung kaum allgemeine Güte- und Erfolgskriterien oder auch formalisierte Qualitätssicherungssysteme zur Verfügung. Zudem haben sich die oft impliziten und auch widersprüchlichen Ansprüche an politische Beratungs- und Entscheidungsfindungsprozesse seit der ersten Institutionalisierung von Technikfolgenabschätzung (TA) vor rund 50 Jahren verändert. Auch die Bedeutung von allgemeinen Kriterien wie Expertise, Transparenz, Inklusion oder Neutralität ist ständigem Wandel und situativer Neubestimmung unterworfen.

Zwischen 2016 und 2018 führte das Institut für Technikfolgen-Abschätzung in Wien (ITA) das interne Projekt „Pol[ITA] – Policy Advice at ITA“ durch, das sich diesen Herausforderungen mit einem empirisch-analytischen Ansatz widmete. Ziel war es, die oft unausgesprochenen individuellen Qualitätskriterien guter Beratungspraxis sowie das Rollenverständnis von TA in Hinblick auf Politik und Öffentlichkeit zu rekonstruieren wie auch Erfahrungen zu sammeln, wann Beratung unter welchen Voraussetzungen gut funktioniert. Methodisch greift das Projekt auf Literaturrecherche und eine neu erstellte, institutsinterne Datenbank zurück, die alle bisherigen Projekte des ITA mit Metadaten erfasst. Zudem widmeten sich 36 leitfadengestützte Interviews mit allen ITA-PraktikerInnen sowie externen KooperationspartnerInnen und AuftraggeberInnen den subjektiven Einschätzungen und individuellen Projekterfahrungen.

Die Ergebnisse richten sich einerseits an das ITA selbst, das die eigene Organisation und Praxis reflektiert und weiterentwickelt; andererseits verstehen sie sich auch als Diskussionsangebot an die internationale TA-Gemeinschaft und werden dementsprechend in Fachzeitschriften kommuniziert. Die Datenbank liefert einen Überblick über den Bestand und die historische Entwicklung bestimmter Projektqualitäten (am ITA): die Etablierung von Stakeholder- und Laienbeteiligung um 1996 bzw. 2006, eine Verschiebung des Fokus von umfassender TA hin zu themenfokussierter TA, die über die Einzelprojekte hinweg entwickelte Themenvielfalt oder auch die Entwicklung des Spektrums an Auftraggebern.

Aus den Interviews lassen sich zudem bestimmte subjektive Aspekte rekonstruieren. Dazu zählen die impliziten Vorstellungen, welche Rollen TA und TA-PraktikerInnen innerhalb von Gesellschaft und Politik einnehmen bzw. einnehmen sollen, inklusive der diesem Rollenverständnis zugrundeliegenden Konzeptionen des Verhältnisses von Wissenschaft und Politik. Die empirische Analyse kommt letztlich zu einem spezifischen Repertoire an möglichen Rollen: dem decisionist advisor, dem deliberative practitioner, dem governance facilitator, dem engaged academic sowie dem agenda-setter (Kastenhofer und Bauer 2017; Bauer und Kastenhofer under rev.). Eine weitere Rollenoption, der issue advocate, dient der abgrenzenden Darstellung. In ihrer Diversität und ihrer Bindung an bestimmte Projektkonstellationen stehen diese Rollen für die situative Bedingtheit der Praxis von TA, wie auch für eine je unterschiedliche Integration von Kernprinzipien der TA.

Eine zweite Serie an Interviews fokussierte auf bestimmte „Projektschienen“, also TA-Ansätze und Projektkonstellationen, die sich über mehrere Projekte hinweg stabilisierten, und widmete sich den subjektiven Qualitätskriterien, wahrgenommenen Schwierigkeiten und Bedingungen für gelingende Beratungspraxis. Zur Sprache kommen hier institutionelle Alleinstellungsmerkmale, fachliche und interdisziplinäre Kompetenz, Neutralität, Unabhängigkeit, Sensibilität gegenüber Instrumentalisierungsversuchen, eine Früherkennungsfunktion und Bewusstseinsbildungsauftrag, klare Kommunikation und Anwendbarkeit der Ergebnisse, wechselseitiges Lernen, Vermitteln und Vernetzen und letztlich auch ein (oft diffus bleibender) Wunsch nach politischem Impact. Dass diese Aspekte einander teils wechselseitig bedingen, teils aber auch in Konflikt stehen können, liegt auf der Hand.

Literatur

Kastenhofer, Karen; Bauer, Anja (2017): Science-based policy advice in TA. Implicit paradigms, professional ethos and bones of contention. 3rd European TA Conference, Cork/Ireland, 16. 05. 2017.

Bauer, Anja; Kastenhofer, Karen (under rev.): Policy advice in technology assessment. Shifting roles, principles and boundaries. Submitted to Technological Forecasting & Social Change.