Reflexionen · BERICHT

Menschen, Maschinen und Interdisziplinierung

Romy Rasper, Munich Center for Technology in Society (MCTS), Technische Universität München, Arcisstr. 21, 80333 München (romy.rasper@tum.de)

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TATuP Bd. 28 Nr. 1 (2019), S. 75–76, https://doi.org/10.14512/tatup.28.1.75

Die Verschmelzung von menschlichen Körpern und Technik ist ein relevantes Feld der Technikfolgenabschätzung (TA), u. a. wird es im EU-Projekt FUTUREBODY am Beispiel aktueller Neurotechnologien beforscht. Aus dieser Perspektive werden im Folgenden drei Themengebiete der dritten Nachwuchstagung des Interdisciplinary Network for Studies Investigating Science and Technology (INSIST) besprochen, die vom 7. bis 8. Oktober 2018 in Karlsruhe stattfand. Unter dem Titel „Von Menschen und Maschinen. Interdisziplinäre Perspektiven auf das Verhältnis von Gesellschaft und Technik in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“ wurden unterschiedliche theoretische Hintergründe, empirische Methoden und epistemisch-ontologische Annahmen in rund 40 inhaltlichen Programmpunkten diskutiert. Neben den gängigen Formaten wie Vorträgen, Workshops, Keynotes und Diskussionsrunden gab es auch eine experimentelle Audio-Video-Live-Performance sowie eine interaktive Kunstinstallation von Maja Urbanczyk zur sozialen Konstruktion des sich mittels (technischer) Reminder-Funktionen erinnernden Subjekts.

Trotz der akademisch breitgefächerten Vorträge gab es wenig marginalisierte Perspektiven, etwa von behinderten Menschen, die sehr häufig im Alltag auf Technik angewiesen sind, um autonom zu sein oder überhaupt überleben zu können, und damit häufig einen sehr intimen Zugang zu Mensch-Maschine-Interaktionen oder -Verschmelzung haben. Auch wären mehr Beiträge von nichtweißen Personen zuträglich gewesen, da diese, wie in der Keynote von Gabriele Gramelsberger veranschaulicht wurde, ganz eigene Erfahrungen mit Mensch-Maschine-Interaktionen machen.

Science-Fiction und Cyborgs

Der Workshop von Isabella Hermann (Brandenburgische Akademie der Wissenschaften) zeigte, wie Science-Fiction als Form politischer Bildung analysiert werden kann, in der implizit oder explizit über sozialpolitische Wertevorstellungen und menschliche Grundprobleme verhandelt wird. In Bezug auf verkörperte Künstliche Intelligenz (KI) wurde gezeigt, wie diese als allmächtiges quasi-göttliches oder -teuflisches Subjekt mystifiziert wird und dadurch konkrete Anwendungschancen vernachlässigt werden. In der Plenumsdiskussion wurden Chancen (Medizin, globale Verteilungsgerechtigkeit, Ressourcenplanung), Risiken (Kontrollverlust, Maschinenherrschaft) und philosophische Fragen (Wer hat Verantwortung? Welchen Werten soll KI folgen?) herausgearbeitet.

Ebenfalls mit Science-Fiction beschäftigte sich Björn Ewert (Universität Hamburg). Hier standen Cyborg-Repräsentationen aus Film und Literatur im Mittelpunkt sowie die Frage, wie diese aktiv in Subjektivierungsstrategien genutzt werden. Mit Bezug auf aktuelle Praktiken richtete sich der Blick auch auf bereits real existierende Cyborgs (ein Kofferwort aus cybernetic und organism, also ein organisch-maschinelles Mischwesen) und damit auf die im Konzept oft vergessene Materialität, die insbesondere bei als behindert markierten Körpern im medizinischen Diskurs wieder sichtbar wird. Er forderte dazu auf, Cyborgs im Sinne von Donna Haraways (1995) Metaphern in einem „Doppelhorizont“ von Sprache und Bild zu betrachten, da sowohl verbale als auch visuelle Repräsentationen von Technik auf die Grenzen des materiell Möglichen und Denkbaren rückwirken. So erfüllen z. B. filmisch dargestellte Zukunftstechnologien häufig die Funktion von „diegetischen Prototypen“ (Kirby 2010), die einem breiten Publikum scheinbaren Bedarf, Realisierbarkeit und Wohlwollen einer Technologie vor Augen führen. Haraways die Cyborg, in der deutschen Übersetzung mit weiblichem Artikel um sich vom männlich geprägten militärisch-industriellen Bild abzugrenzen, ist nicht nur ein Mischwesen, sondern zuvorderst eine Figur, mit der „Kritik an patriarchalen und kolonialen Herrschaftsverhältnissen geübt“ und Grenzüberwindungen gedacht wird, wie Lisa Schurrer (ETH Zürich) im darauffolgenden Vortrag vertiefend erläuterte, indem sie eine theoretische Analyse der Cyborg mit Bezug auf Hans Blumenbergs Metaphorologie präsentierte. In Ihren Worten könne die Cyborg als „absolute Metapher“ verstanden werden, die „Daseinsfragen [behandelt], die nicht anders als mit Metaphern adressiert werden können“.

Prothesen und Implantate

Drei Vorträge zu Prothesen und Implantaten warfen ein erhellendes Schlaglicht auf das Soziale im Technischen und das Technische im Sozialen und adressierten dabei auch Normen und Normierungsprozesse. Monika Kalmbach-Özdem (HU Berlin) behandelte die Verschmelzung von Menschen und Technik im medizinischen Kontext. Sie ging dem Spannungsfeld von subjektiven Empfindungen und objektivierten Messungen bei der tiefen Hirnstimulation nach, welche durch im Hirn eingesetzte Elektroden realisiert wird. Hervorgehoben wurde, dass es zwischen dem eigenen Erleben und den durchgeführten Messungen immer wieder zu Diskrepanzen komme. So könne objektiv eine Verbesserung der Symptome – wie Zittern oder Tourette – vorliegen, doch subjektiv werde aufgrund neuer Symptome (emotionale Wechselhaftigkeit, Persönlichkeitsveränderung) eine gefühlte Verschlechterung wahrgenommen. Dies werfe die Frage auf, wie das Verhältnis eines normgerechten Körpers zu einem nicht-zu-erkennenden Selbst bzw. dem Erhalt sozialer, emotionaler und kognitiver Fähigkeiten gewichtet wird, und damit stelle sich auch letztlich die Frage nach dem menschlichen Selbstverständnis.

In einer „maximal dystopischen“ Parallelgesellschaft der Maschinen wären nicht die Maschinen in den Alltag der Menschen integriert, sondern die Menschen in den Alltag der Maschinen.

Auch Richard Paluch (Universität Oldenburg) setzte sich mit der konflikthaften Beziehung des Subjektiven und Objektiven auseinander. Am Beispiel des sogenannten CASA-Algorithmus, der bei Hörgeräten eingesetzt wird, vertrat er die These, dass die Algorithmisierung die subjektive Wahrnehmung der Nutzer*innen delegitimiert, da der Algorithmus die nicht aus dem Blickfeld stammenden Geräusche als ‚Störquellen‘ herausfiltert, so auch mögliche Gesprächspartner*innen.

Des Weiteren thematisierte Mathis Nolte (Karlsruher Institut für Technologie) den konfliktbehafteten Paradigmenwechsel in der Beinprothetik am Beispiel des Begriffs Passing (Passung), der zwischen den 1950er- und 1970er-Jahren eine Inhaltsverschiebung von einer technisch-funktionalen zu einer kosmetischen Bedeutung erfuhr.

Das Verhältnis von Menschen und Maschinen

Die Keynotes der Tagung waren ein verbindendes Element und Fixpunkt für die Teilnehmenden, sie rahmten und kondensierten den grundsätzlichen Technikskeptizismus, der vielen Beiträgen innewohnte.

Martina Henßler (HSU Hamburg) hielt die erste Keynote der Tagung. Sie betonte, wie wichtig die Betrachtung des historischen Wandels des „Menschen- und Maschinenverhältnisses“ sei. Der von ihr verwendete doppelte Plural sollte signalisieren, dass es sich weder bei Menschen noch bei Maschinen um einheitliche Entitäten handelt, sondern dass diese in Abhängigkeit von Zeit, Ort und weiteren Faktoren wie bspw. Geschlecht sehr divers in Erscheinung treten können. Mit Hilfe dichter ethnografischer Beschreibungen sei es möglich, unterschiedliche Grade der Menschen-Maschinen-Verflechtungen erfassbar zu machen und aufzuzeigen, wie diese bedeutungsvoll in verschiedenen, parallel existierenden Geschichten eingebunden werden. Auf diese Weise, so Henßler, ließen sich die Konsequenzen der Verflechtungen hervorheben.

In der zweiten Keynote vertrat Gabriele Gramelsberger (RWTH Aachen) die von ihr selbst als „maximal dystopisch“ bezeichnete These der Parallelgesellschaft der Maschinen, in der nicht die Maschinen in den Alltag der Menschen integriert seien, sondern die Menschen in den Alltag der Maschinen. Unter Bezug auf das Konzept der Aware-IT verwies sie auf die zunehmende Verbreitung von Computern mit Sensoren und die für den Menschen nicht mehr nachvollziehbare Schnelligkeit und Fülle von Informationsverarbeitung und -austausch der Maschinen. Zudem entstünden Datenstrukturen und -modelle mit gefährlichen Verzerrungen, welche durch Technologie objektiviert würden. Dazu gehören Trainingsdaten für machine learning, die den „gesunden Menschenverstand“ in Maschinen abbilden sollen. Eine der am häufigsten genutzten Datensammlungen hatte jedoch keine Entsprechung für „Schwarze Frau“ und setzte „Schwarzer Mann“ mit „böse“ und „dämonisch“ gleich. Diese Bilder hätten weitreichende Folgen für Menschen, da Algorithmen zunehmend in Entscheidungsprozesse involviert seien. Eine weitere Folge dieser maschinellen Parallelgesellschaft sei, dass es zu einem Verlust der anthropologisch bedingten Hybridität des Menschen komme. Es setzten eine Verstetigung der Gegenwart sowie eine technisch eingebettete Verhaltenssteuerung ein, und es entstehe eine neue, maschinistische Natürlichkeit.

Weitere Informationen

Website des INSIST-Networks:
https://insist-network.com/

Proceedings 2016: „Schafft Wissen – Gemeinsames und geteiltes Wissen in Wissenschaft und Technik“:
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-58220-7

Proceedings 2014: „Auf der Suche nach den Tatsachen“:
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-454743

Literatur

Haraway, Donna (1995): Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Carmen Hammer und Immanuel Stiess (Hg): Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen. Frankfurt am Main: Campus.

Kirby, David (2010): The future is now. Diegetic prototypes and the role of popular films in generating real-world technological development. In: Social Studies of Science 40 (1), S. 41–70.