Reflexionen · Plädoyer

Filme in Foresight- und TA-Analysen

Regula Valérie Burri, HafenCity Universität Hamburg (HCU) Überseeallee 16, 20457 Hamburg (regula.burri@hcu-hamburg.de)

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TATuP Bd. 27 Nr. 1 (2018), S. 73–75, https://doi.org/10.14512/tatup.27.1.73

Zukunftsvisionen wird seit einiger Zeit eine bedeutende Rolle für die Erkennung und Bewertung von Technologieentwicklungen und deren Folgen zugeschrieben. In diesem Beitrag plädiere ich speziell für eine größere Aufmerksamkeit der Technikfolgenabschätzung (TA) auf Filme als interessante und aufschlussreiche zusätzliche Quelle für die Untersuchung von soziotechnischen Zukunftsvisionen. Gerade in Filmen drücken sich gesellschaftliche Imaginationen über mögliche zukünftige Technikentwicklungen und deren Implikationen für die soziale Ordnung besonders deutlich aus. Filme sind deshalb, so der hier vertretene Ansatz, in Foresightstudien und TA-Analysen zu berücksichtigen.[1]

Schon zu einem frühen Zeitpunkt wurde eine Diskussion um Leitbilder in der Technikentwicklung geführt (Dierkes et al. 1996). Grunwald (2012) forderte die Analyse von „Technikzukünften“, die er als „Vorstellungen über zukünftige Entwicklungen, in denen Technik eine erkennbare Rolle spielt“ (ebd., S. 23), definiert sowie eine daraus folgende „hermeneutische Erweiterung der Technikfolgenabschätzung“ (Grunwald 2015). Grin und Grunwald (2000) wiesen auf die Bedeutung eines entsprechenden „Vision Assessment“ hin. Lösch et al. (2016) schlagen ebenfalls die Analyse technologiebezogener Zukunftsvorstellungen wie beispielsweise Zukunftsbilder, Technikvisionen, Szenarien und Leitbilder vor, die sie unter dem Begriff „soziotechnische Zukünfte“ zusammenfassen. Dabei erkennen Lösch et al. (2016) an, dass soziotechnische Zukünfte in höchst unterschiedlichen Formen wie beispielsweise in Technikleitbildern, Simulationen, Szenarien, Roadmaps oder allgemeiner in Utopien und Dystopien auftreten und nicht nur durch Texte, sondern auch in Geräten, Bildern oder Organisationen materiell artikuliert werden (ebd., S. 8). Filme werden nicht explizit erwähnt.

Solche „Projektionen und Vorstellungen, die implizit oder explizit Zusammenhänge zukünftiger gesellschaftlicher Verhältnisse imaginieren“ (ebd., S. 7), gelte es in der TA zu analysieren. Für die TA seien diese Vorstellungen dabei nicht als Prognosen, sondern in ihrer Bedeutung und Wirkung in der Gegenwart relevant, die es zu verstehen und beurteilen gelte. Dies ermögliche der TA, die Einengung der Entwicklungen auf bestimmte Zukunftsoptionen zu erkennen und damit die Pluralität von Optionen aufzuzeigen und das Denken in Alternativen zu fördern. Einerseits seien dabei die konkreten soziotechnischen Zukünfte als Objekt zu untersuchen, und andererseits sei der Fokus auf die gesellschaftlichen Konstellationen und Prozesse zu richten, in denen die jeweiligen Zukünfte wirksam sind. Diese beiden Aspekte verstehen die Autorinnen und Autoren unter den Begriffen „Gesellschaft in den Zukünften“ bzw. „Zukünfte in der Gesellschaft“ (ebd., S. 11) als zwei unterschiedliche analytische Dimensionen, deren implizite Grundannahmen durch die TA aufgedeckt und damit kritisierbar gemacht werden sollen – ein Anliegen, das die Science & Technology Studies zentral vertreten.

Nicht nur Science-Fiction-Filme, sondern alle Filme sind potenzielle Quellen für Foresight- und TA-Analysen.

Die „Nützlichkeit filmischer Zukunftsbilder […] für die Prospektive“ betonte zwar Kröger (2014) in seiner Untersuchung zu Visionen des autonomen Fahrens; allerdings hebt er lediglich die Bedeutung von Science-Fiction-Filmen hervor.[2] Demgegenüber möchte ich jegliche Filme als potenzielle Quellen für Foresight- und TA-Analysen verstehen, die sich vermehrt dafür interessieren, inwiefern Zukunftsvisionen als Ausdruck der Gegenwartsgesellschaft zu werten sind (Grunwald 2015, S. 66; Lösch et al. 2016, S. 5).

Das Foresight Filmfestival

Was in der oben genannten Foresight- und TA-Literatur noch ein Desiderat darstellt, wird interessanterweise im gesellschaftlichen Handeln bereits praktiziert. So förderte das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein spezielles Filmfestival im Rahmen seines zweiten Foresight-Prozesses, in welchem zentrale gesellschaftliche Zukunftsthemen, sogenannte „Innovationskeime“, eruiert worden waren, die durch das Festival gesellschaftliche Verbreitung finden sollten (BMBF 2015, S. 31; VDI 2015, S. 8; Hirt et al. 2016, S. 52).

Das erste Filmfestival fand im Juli 2015 in Halle (Saale) statt, organisiert unter der Leitung der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in enger Kooperation mit der science2public – Gesellschaft für Wissenschaftskommunikation e. V. (Halle, Saale) und dem Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung ISI (Karlsruhe). Die Ausschreibung benannte die folgenden Wettbewerbskategorien:

  1. Selbstoptimierung, oder: Das quantifizierte Ich – Wie erfolgreich, schön, glücklich und gesund kann man sein?
  2. Künstliche Intelligenz oder: Die Arbeitswelt von morgen – Von Computern, Robotern und menschlicher Kreativität
  3. Post Privacy, oder: Wohin trägt uns die Datenflut? – Von verräterischen Zahnbürsten und dem Öl des Informationszeitalters

Diese drei Kategorien basierten auf den im zweiten Foresight-Zyklus definierten „Innovationskeimen“: Bürgerforschung im Bereich Gesundheit, Automatisierung und Robotik, Privatsphäre im Wandel (VDI 2015, S. 11). Durch die entsprechende Ausschreibung der Wettbewerbskategorien für das Filmfestival fand hier also wie vom BMBF beabsichtigt ein Transfer der im Foresight-Prozess herausdestillierten zentralen Themen statt.

Auch die Wettbewerbskategorien des zweiten Foresight Filmfestivals im Juni 2016 ließen sich im Wesentlichen auf die im Foresight-Zyklus beschriebenen „Innovationskeime“ zurückführen, etwa Selbermachen in Deutschland, Digitale und virtuelle Bildungsangebote (VDI 2015, S. 11):

  1. Vom Do-it-yourself zum Do-it-together – Transformation durch Tauschen, Teilen, Selbermachen?
  2. Digitale Kompetenz – Wie, wo und was lernen wir in 20 Jahren?
  3. Die Zukunft ist Open Space – Selbstorganisation und Schwarmintelligenz als Schlüssel zur Innovation?

Im Herbst 2017 fand ein drittes Foresight Filmfestival statt, das jedoch nicht mehr vom BMBF, sondern durch regionale Sponsoren gefördert und mit einer lokalen Trägerschaft durchgeführt wurde. Dennoch griff auch diese Ausgabe des Festivals nochmals auf die im BMBF-Foresight-Prozess definierten Themen zurück.

Während in der Literatur die Bedeutung von Filmen für Foresight und TA bisher weitgehend vernachlässigt wurde, zeigt die Unterstützung der beiden ersten Ausgaben des Foresight Filmfestivals durch das BMBF und durch die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dass das Potenzial von Filmen für Foresight- und TA-Prozesse in der Praxis von wissenschaftlichen Institutionen und Akteuren erkannt ist, auch wenn die entsprechenden Implikationen noch genauer zu analysieren wären. Der TA-Forscher Michael Decker, Mitglied der Fachjury der ersten beiden Festivals erklärte, dass die Jury „Science Futures – und der Plural ist hier wichtig – [habe] sehen und analysieren können, die wir in die Technikfolgenforschung einbringen können“ (ITAS 2015).

Filme als Gegenstand von Foresight- und TA-Analysen

Was gilt es nun beim Einbezug von Filmen in Foresight- und TA-Analysen zu beachten? Eine Berücksichtigung von Filmen in diesen Analysen müsste in Anlehnung an Lösch et al. (2016) auf zumindest zwei Aspekte fokussieren. Erstens gilt es, die filmischen Zukunftsvisionen als Objekte zu untersuchen, das heißt zu analysieren, inwiefern sich soziotechnische Zukünfte in Filmen manifestieren. Es gilt also, die Filme als Ausgangspunkt der Analyse zu nehmen, um die soziotechnischen Visionen zu untersuchen, die mittels filmischer Bilder imaginiert werden.

Zweitens geht es darum, den Blick auf die gesellschaftlichen Konstellationen und Prozesse zu richten, in denen solche filmischen Zukünfte generiert werden. Ausgangspunkt der Analyse sind hier nicht die Filme selbst, sondern die Praktiken ihrer Produktion und Nutzung. Wie die „Social Studies of Scientific Imaging and Visualization“ (Burri und Dumit 2008) aufgezeigt haben, gilt es auch für die Analyse von Filmen in Foresight- und TA-Analysen, insbesondere die Herstellung, Interpretation, Verbreitung und den Gebrauch der filmischen Visionen zu untersuchen, um deren gesellschaftliche Wirkungsmechanismen zu analysieren.

Als konzeptuelle und methodische Folie können hier die Untersuchungen von Jasanoff und Kim (2015) dienen. Die in diesem Sammelband vertretenen Autoren verstehen „sociotechnical imaginaries“ als Imaginationen zukünftiger Formen technischer Entwicklungen und sozialer Ordnung. Diese können sich in einzelnen Objekten und Phänomenen manifestieren und werden kulturell produziert und verbreitet. Für deren Untersuchung eigneten sich vorzugsweise qualitative, interpretative Forschungsmethoden (ebd., S. 24).

Obschon in der Regel institutionell stabilisiert und kollektiv gestützt, können die „soziotechnischen Imaginationen“ ihren Ursprung in einzelnen Individuen oder kleinen Kollektiven haben. Insofern können auch Filme als Ausdruck von „publicly performed visions of desirable futures“ (ebd., S. 4), die durch Wissenschaft und Technologie erzielt werden, verstanden werden. „Soziotechnische Imaginationen“ korrelieren jedoch gleichzeitig mit dystopischen Visionen, d. h. mit „shared fears of harms that might be incurred through invention and innovation, or of course the failure to innovate“ (ebd., S. 5). Insofern dienen auch dystopische Filme, die die Zukünfte nicht als wünschbare, sondern als durch technische Entwicklungen negativ gestaltete Szenarien imaginieren, als relevanter Analysegegenstand für Foresight- und TA-Analysen.

Fußnoten

[1] Wie in Lösch et al. (2016, S. 6) wird hier diesbezüglich kein kategorialer Unterschied zwischen TA und Foresight gemacht, auch wenn diese beiden Felder in Bezug auf verschiedene Aspekte differenziert werden könnten (Zweck 2000).

[2] Die Auffassung, dass „ein wenig mehr Science Fiction in Foresight-Prozessen nur förderlich sein“ könne, vertrat auch bereits Steinmüller (2010, S. 29), jedoch bezog er sich auf das Genre allgemein und nicht spezifisch auf Filme.

Literatur

BMBF – Bundesministerium für Bildung und Forschung (2015): Zukunft verstehen, Zukunft gestalten. Deutschland 2030: Ergebnisse des zweiten Foresight-Zyklus. Berlin.

Burri, Regula Valérie; Dumit, Joseph (2008): Social studies of scientific imaging and visualization. In: Edward Hackett et al. (Hg.): New handbook of science and technology studies. Cambridge MA: MIT Press, S. 297–317.

Dierkes, Meinolf; Hoffmann, Ute; Marz, Lutz (1996): Visions of technology. Social and institutional factors shaping the development of new technologies. New York: St. Martin’s Press.

Foresight Filmfestival (2015): Mit großer Zukunft: Das Foresight Filmfestival No1. Information Sheet über das Foresight Filmfestival. Publiziert von science2public, Stand 2. Juli 2015. Halle (Saale).

Foresight Filmfestival (2016): Game Changers. Das Foresight Filmfestival No2. Information Sheet über das Foresight Filmfestival. Publiziert von science2public, Stand 25. Oktober 2015. Halle (Saale).

Grin, John; Grunwald, Armin (Hg.) (2000): Vision assessment. Shaping technology in 21st century society. Towards a repertoire for technology assessment. Berlin: Springer.

Grunwald, Armin (2012): Technikzukünfte als Medium von Zukunftsdebatten und Technikgestaltung. Karlsruhe: KIT Scientific Publishing.

Grunwald, Armin (2015): Die hermeneutische Erweiterung der Technikfolgenabschätzung. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 24 (2), S. 65–69. Online verfügbar unter http://www.tatup-journal.de/downloads/2015/tatup152.pdf, zuletzt geprüft am 19. 02. 2018.

Hirt, Michael; Braun, Matthias; Holtmannspötter, Dirk et al. (2016): BMBF-Foresight-Zyklus II. Vorgehensweise und Ergebnisse. In: Zeitschrift für Zukunftsforschung 5 (1), S. 42–56.

ITAS – Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (2015): Film-Visionen für die Welt von morgen. KIT ITAS News-Archiv. Online verfügbar unter https://www.itas.kit.edu/2015_028.php, zuletzt geprüft am 19. 02. 2018.

Jasanoff, Sheila; Kim, Sang-Hyun (Hg.) (2015): Dreamscapes of modernity. Sociotechnical imaginaries and the fabrication of power. Chicago: The University of Chicago Press.

Kröger, Fabian (2014): Die Zukunft, die nie eintrat. Über die Nützlichkeit filmischer Zukunftsbilder des autonomen Fahrens für die Prospektive. In: TATuP – Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis 23 (1), S. 9–12. Online verfügbar unter http://www.tatup-journal.de/downloads/2014/tatup141.pdf, zuletzt geprüft am 19. 02. 1018.

Lösch, Andreas; Böhle, Knud; Coenen, Christopher et al. (2016): Technikfolgenabschätzung von soziotechnischen Zukünften. Diskussionspapier des Instituts für Technikzukünfte 3. Karlsruhe: KIT – Karlsruher Institut für Technologie.

Steinmüller, Karlheinz (2010): Science Fiction. Eine Quelle von Leitbildern für Innovationsprozesse und ein Impulsgeber für Foresight. In: Kalle Hauss, Saskia Ulrich, Stefan Hornbostel (Hg.): Foresight. Between science and fiction. iFQ-Working Paper 7, S. 19–31. Online verfügbar unter http://www.forschungsinfo.de/publikationen/Download/working_paper_7_2010.pdf, zuletzt geprüft am 19. 02. 2018.

VDI Technologiezentrum (2015): Geschichten aus der Zukunft 2030. Ergebnisband 3 zur Suchphase von BMBF-Foresight Zyklus II. Herausgegeben von Innovationsbegleitung und Innovationsberatung der VDI Technologiezentrum GmbH im Auftrag und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Düsseldorf.

Zweck, Axel (2000): Drei Perspektiven für eine Zukunft. Foresight, Technikfolgenabschätzung oder Technologiefrüherkennung? In: Zukünfte 33, S. 14–18.